Der russische Söldnerführer Jewgeni Prigoschin ist nach Einschätzung britischer Geheimdienste »sehr wahrscheinlich« tot. Zwar gebe es noch keinen endgültigen Beweis, dass Prigoschin an Bord des abgestürzten Flugzeugs gewesen sei, zumal er stets außergewöhnliche Sicherheitsmaßnahmen ergreife, betonte das britische Verteidigungsministerium. Doch Prigoschins Tod würde die Privatarmee Wagner zutiefst destabilisieren, hieß es in London weiter.
»Seine persönlichen Eigenschaften wie Hyperaktivität, außergewöhnliche Kühnheit, Ergebnisorientierung und extreme Brutalität haben Wagner geprägt und dürften von keinem Nachfolger erreicht werden«, teilte das britische Ministerium weiter mit. Das Führungsvakuum bei Wagner würde sich noch verschärfen, wenn Berichte zuträfen, dass Gründer und Feldkommandant Dmitri Utkin und Logistikchef Waleri Tschekalow tot sind.
Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine im Februar 2022 täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Moskau wirft London Desinformation vor.
Bundesregierung: Tod Prigoschins nicht überraschend
Nach dem mutmaßliche Tod des russischen Söldnerführers Jewgeni Prigoschin hält es die Bundesregierung für denkbar, dass der Absturz seines Flugzeugs mutwillig herbeigeführt worden ist. »Besonders überraschend wäre ein gewaltsames Ende Prigoschins nicht«, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner in Berlin.
Gleichzeitig betonte er, dass die Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse über die Umstände des Vorfalls habe. Der Chef der Privatarmee Wagner soll am Mittwochabend beim Absturz eines Flugzeugs in Russland ums Leben gekommen sein.
US-Institut: Prigoschins Tod beendet Wagners Unabhängigkeit
Der mutmaßliche Tod des Söldnerführers Jewgeni Prigoschin bedeutet auch nach Einschätzung von US-Militärexperten wohl das Ende der Wagner-Gruppe als quasi-unabhängige Privatarmee.
Der Verlust der zentralen Führungsfigur schwäche ihre Fähigkeit, der Kampagne des Kremls und des russischen Verteidigungsministeriums entgegenzutreten, die die Gruppe nach ihrer Rebellion am 24. Juni destabilisieren und zerstören wollten, schrieb das US-Institut für Kriegsstudien ISW in seiner Analyse.
Berichten zufolge habe das Ministerium bereits selbst private Militärgruppen eingerichtet, welche derzeitiges und früheres Wagner-Personal rekrutierten, hieß es weiter. Dabei gehe es um die Kontrolle von Wagner-Operationen im Ausland.
Wie geht es für die Gruppe weiter?
Unklar sei, ob der Kreml Wagner komplett auflösen oder als kleinere, dem Verteidigungsministerium unterstehende Organisation neu aufstellen wolle. Dass Wagner als quasi-unabhängige Gruppe mit neuer, kremltreuer Führung erhalten bleibe, sei als dritte Option zwar möglich, aber nach ISW-Einschätzung unwahrscheinlich.
Die US-Experten verwiesen darauf, dass sich Wagners Kommandantenrat seit Prigoschins mutmaßlichem tödlichen Flugzeugabsturz noch nicht öffentlich zur Zukunft der Gruppe geäußert hat. Dies könne für ein allgemeines Chaos innerhalb der Befehlsränge sprechen oder für eine explizite Schweige-Anweisung russischer Autoritäten, schrieb das ISW.
Wladimir »Putins fast sichere Ermordung von Wagners Führung hat sehr deutlich gemacht, dass der Kreml nach außen hin feindselig gegenüber denen sein wird, die versuchen, die Unabhängigkeit ihrer eigenen parallelen Militärstrukturen zu sichern«, hieß es in der Analyse.
Ein von Putin persönlich ausgewählter Prigoschin-Nachfolger liefe wiederum Gefahr, sich den Zorn der Wagner-Basis zuzuziehen. Nach dem Wagner-Aufstand werde der Kreml wahrscheinlich jegliche künftige Gründungen militärischer Gruppen anhand seiner Erfahrungen mit Wagner und Prigoschin beurteilen, so die Einschätzung aus Washington. Der mutmaßliche Mord an dem Söldnerführer werde damit zur stehenden Drohung an alle, die versuchten, ähnliche Parallelstrukturen zu errichten.
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