Geheimdienstexperten und -praktiker haben den Bundesnachrichtendienst (BND) gegen Kritik wegen angeblich zu später Information der Bundesregierung verteidigt. Ex-BND-Präsident Gerhard Schindler warf der Politik vor, die Fähigkeiten des Dienstes zu stark beschnitten zu haben. Ein Zusammenschluss früherer hochrangiger deutscher Nachrichtendienstmitarbeiter forderte eine »rigorose Bestandsaufnahme« der personellen und operativen Fähigkeiten des Auslandsgeheimdienstes - ebenso wie der rechtlichen Rahmenbedingungen.
Nach dem bewaffneten Aufstand des Chefs der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin vor gut einer Woche war Kritik an einer angeblich zu späten Information der Bundesregierung durch den BND laut geworden. Das Nachrichtenportal »The Pioneer« berichtete, in der SPD gebe es Gedankenspiele über eine Ablösung von BND-Präsident Bruno Kahl, der den Dienst seit 2016 führt.
Die Bundesregierung erteilte Spekulationen über eine Ablösung Kahls eine Absage. »Der Bundeskanzler arbeitet (...) mit allen Chefs der obersten Bundesbehörden eng und vertrauensvoll zusammen«, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf die Frage, ob Kahl noch das vollste Vertrauen von Kanzler Olaf Scholz (SPD) habe. Auf die Frage, ob die Regierung angesichts von Kritik, der BND habe nicht ausreichend gesetzliche Befugnisse, um seinem Auftrag nachzukommen, eine Überarbeitung des BND-Gesetzes plane, sagte er: »Solche Überlegungen sind mir nicht bekannt.«
Bundestagsgremien befassen sich mit Vorwürfen gegen BND
Die Vorwürfe gegen den BND im Zusammenhang mit den Vorgängen um die Gruppe Wagner werden nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) an diesem Mittwoch im Auswärtigen Ausschuss als auch im für die Kontrolle der Geheimdienste zuständigen, geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages eine Rolle spielen. Kritik am BND war vor allem aus den Reihen der Ampel-Parteien SPD und FDP laut geworden.
Unter Nachrichtendienstexperten in der Union hieß es, die Analyse des BND könne immer nur so gut sein wie die Beschaffung. Ampel-Vertreter rühmten sich, Deutschland habe mit dem BND den am besten kontrollierten Geheimdienst weltweit. Dies sei in der Praxis so, als solle man mit auf den Rücken gebundenen Händen rohe Eier jonglieren.
Bei den westlichen Verbündeten war der BND im Winter negativ in den Fokus geraten, weil ein BND-Mitarbeiter am 21. Dezember in Berlin unter Spionage-Verdacht festgenommen worden war. Er soll nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im vergangenen Jahr Informationen, die er im Zuge seiner Arbeit erlangt hat, an Russland übermittelt haben. Bei den ausspionierten Informationen handele es sich um ein Staatsgeheimnis im Sinne des Strafgesetzbuchs, hatte die Bundesanwaltschaft damals mitgeteilt.
Ex-BND-Präsident Juristische Brocken in den Weg gelegt
Der frühere BND-Präsident Schindler, der den Dienst zwischen 2012 und 2016 führte, kritisierte: »Wer dem BND einen juristischen Brocken nach dem anderen in den Weg legt, der muss sich nicht wundern, dass dies Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit bei der Informationsbeschaffung hat.« Er sagte der dpa weiter: »Die Mutation von einem operierenden Nachrichtendienst in eine mit sich selbst beschäftigte Verwaltungsbehörde ist politisch gewollt. Die Gesetzesänderungen der letzten Jahre haben doch genau dies bewirkt.«
Schindler war in Zusammenhang mit der Affäre um die weltweite Datenschnüffelei des US-Geheimdienstes NSA und BND-Abhöraktionen gegen befreundete Staaten im Juni 2016 entlassen worden.
Forderung: BND operativ stärken, Hemmnisse abbauen
Schindler sagte nun: »Diejenigen, die heute die Ablösung des Präsidenten fordern, haben selbst an der Beschneidung der Befugnisse des BND mitgewirkt. Von den eigenen Fehlern abzulenken, ist aber keine Problemlösung.« Erforderlich sei »dringend eine Stärkung der operativen Fähigkeiten des Dienstes und eine gründliche Durchforstung der zahlreichen gesetzlichen Hemmnisse«.
Ex-Geheimdienstvertreter: Sicherheitsarchitektur renovieren
Der Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland (GKND), in dem sich seit 2003 frühere führende deutsche Geheimdienstvertreter zusammengeschlossen haben, forderte eine sach- und lösungsorientierte Aufarbeitung der Vorwürfe gegen den BND. Dringend nötig sei eine »weitere Ertüchtigung des Dienstes als Teil der insgesamt renovierungsbedürftigen Sicherheitsarchitektur«, heißt es in einer GKND-Stellungnahme. Notwendig sei zudem eine rigorose Bestandsaufnahme der »personellen, materiellen, operativen und prozeduralen Befähigungen« des BND sowie der rechtlichen Rahmenbedingungen für den Dienst.
Die GKND-Position wurde von Gerhard Conrad verbreitet, einem der bekanntesten deutschen Geheimdienstler. Conrad war bis zu seinem Ruhestand 2019 Chef des nachrichtendienstlichen Lage- und Auswertungszentrums der EU (Intcen). Im GKND-Beirat sitzen unter anderem die Ex-BND-Präsidenten August Hanning und Hansjörg Geiger sowie ehemalige prominente Vertreter anderer deutscher Geheimdienste.
Wagner-Chef Prigoschin hatte vor gut einer Woche unter anderem die südrussische Stadt Rostow am Don besetzt und seine Kämpfer dann Richtung Moskau marschieren lassen. Rund 200 Kilometer vor der russischen Hauptstadt gab er überraschend auf. Prigoschin und seinen Söldnern wurde von Putin Straffreiheit zugesichert.
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