Dass sich Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping bei seiner ersten Auslandsreise seit mehr als zweieinhalb Jahren ohne Maske mit Wladimir Putin unterhält, feiern Moskaus Medien schon mal als Erfolg. Der Kremlchef pfeift schon immer auf Masken zum Schutz vor dem Coronavirus.
Der 69-jährige Putin probte am Freitag in der orientalischen Idylle der jahrtausendealten usbekischen Stadt Samarkand den Schulterschluss mit seinem gleichaltrigen »Freund« aus China im Streben nach einer multipolaren Welt. Immerhin räumte Putin selbst ein, dass Xi Jinping Fragen und Sorgen habe wegen Russlands Krieg gegen die Ukraine.
Doch lobte der Russe bei dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) insgesamt Chinas Position als »ausgewogen«. Im UN-Sicherheitsrat ziehen die zwei Vetomächte an einem Strang. Und Putin nutzte das Treffen der Staatschefs in der zentralasiatischen Stadt, wo die Politiker auch gemeinsam Bäume pflanzten, um der Welt zu zeigen, dass er international keineswegs so isoliert sei, wie es der Westen gern hätte.
»Ich sollte sagen, dass die Versuche, eine monopolare Welt zu schaffen, in den letzten Zeit absolut hässliche Formen annehmen und absolut inakzeptabel sind für die meisten Staaten der Welt«, sagte Putin vor den überwiegend autokratischen Staatschefs. Der Kremlchef verwies genüsslich darauf, dass mit den SCO-Mitgliedern China, Indien und anderen ein großer Teil der Weltbevölkerung vertreten sei. Die Shanghaier Organisation sei heute die weltweit größte regionale Organisation. Und sie solle wachsen, wofür sich auch Xi Jinping aussprach.
Fehltritt Jinpings aus Video geschnitten
Dessen Auslandsreise begann mit einem kleinen Ausrutscher auf der Flugzeugtreppe. An einer Stufe glitt Xi Jinping mit dem rechten Fuß auf dem roten Teppich ab, doch konnte sich der 69-Jährige noch schnell am Geländer festhalten. »Ein schlechtes Omen«, »Er ist etwas eingerostet, war lange nicht draußen« oder »Instabil?«, höhnten Kommentare im Internet. Chinas Staatsfernsehen schnitt den Fehltritt prompt aus dem Video von dem feierlichen Empfang am Flughafen in Nur-Sultan in Kasachstan.
Trotz des Missgeschicks konnte Xi Jinping bei der Rückkehr auf das internationale Parkett und vor allem bei seinem Treffen mit Putin wie gewohnt als »starker Mann« auftreten. ZuLetzt hatten die beiden sich in Peking im Februar zu den Olympischen Winterspielen getroffen - wenige Wochen vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Fast jovial nahm Chinas Staats- und Parteichef zur Kenntnis, dass der russische Präsident Verständnis für chinesische »Sorgen« in der Ukraine-Krise äußert - wohlwissend, dass er seinem chinesischen Partner für dessen Unterstützung in der Krise einiges abverlangt.
Öffentlich erwähnte Xi Jinping die Ukraine mit keinem Wort, beschrieb Putin aber als »alten Freund«. Er wolle mit Russland kooperieren, um die »jeweiligen Kerninteressen des anderen« zu unterstützen. Die Asymmetrie zwischen dem wirtschaftlichen Riesen China und seinem rezessionsgeplagten Nachbarn Russland war jedoch zu spüren. Schon vor Krieg und Sanktionen war das Ungleichgewicht groß. Es ist noch einmal gewachsen. Russland braucht China heute mehr als umgekehrt. In dem »außenpolitischen Tandem«, das Putin beschwört, sitzt Peking am Lenker. US-Außenamtssprecher Ned Price fand es »auffällig«, dass ausgerechnet Putin offen »Sorgen« der chinesischen Seite einräumte.
Jinping im geopolitischen Machtspiel an Putins Seite
Auch wenn China der Krieg vielleicht nicht gefällt und das Reich der Mitte mit Russland immer schon ein ambivalentes Verhältnis hatte - Xi Jinping steht im geopolitischen Machtspiel jedoch fest an der Seite Putins, um gegen den Rivalen USA und den Westen Front zu machen. »Es ist unwahrscheinlich, dass die Beziehungen zwischen China und Russland in Spaltung oder Konfrontation gehen, wie es von den USA und dem Westen erwartet und gefördert wird«, schreibt das chinesische Parteiblatt »Global Times«.
Der gemeinsame Feind, die Sicherung der Macht, die Angst vor einem Zusammenbruch wie einst in der Sowjetunion und das Ziel einer neuen Weltordnung, die - fern von Demokratie, Menschenrechten oder regelbasierter Ordnung - angestrebt wird: All diese Dinge einen China und Russland mehr, als der Ukraine-Krieg sie zu trennen vermag. Darum drehte sich auch alles auf dem Gipfel in Samarkand. Dass Kriegsschiffe beider Länder im Pazifik parallel zum Gipfel gemeinsam auf Patrouille gingen, war auch als Machtdemonstration gedacht.
Putin war bei den vielen bilateralen Gesprächen, darunter mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der als Gast beim Gipfel war, einmal mehr voll in seinem Element. Beim informellen Dinner am Vorabend des Gipfels reihten sich alle Staats- und Regierungschefs neben dem russischen Präsidenten auf. Doch fehlte Xi Jinping - vielleicht eher aus Angst, dass es allzu informell zugehen und er sich mit dem Virus anstecken könnte. Deswegen hatte er seit Anfang 2020 sein Land nicht verlassen - und blieb auch sonst in Samarkand meist mit Mund- und Nasenschutz eher auf Distanz.
Ungeachtet dessen, wie der Krieg in der Ukraine ausgehen wird, bleibt China allemal der Gewinner, glaubt Yun Sun, Direktor des China-Programms am Stimson Center in den USA. »Wenn Russland siegt, gewinnt China einen mächtigen Verbündeten. Wenn Russland verliert, wird es wahrscheinlich ein Vasallenstaat Chinas werden«, sagte Yun Sun dem »Wall Street Journal«.
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