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Erleichterung nach Einigung des EU-Gipfels auf Corona-Paket

Es war ein Ringen wie schon lange nicht mehr unter den 27 EU-Staaten. Mehrfach stand der Brüsseler Sondergipfel vor dem Scheitern. Dass nach vier Tagen doch noch ein Kompromiss gelingt, kommentieren viele mit Genugtuung - andere mit scharfer Kritik.

EU-Spitzen
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel gratulieren sich mit einem Ellenbogen-Stoß. Foto: Stephanie Lecocq/EPA Pool/AP/dpa
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel gratulieren sich mit einem Ellenbogen-Stoß. Foto: Stephanie Lecocq/EPA Pool/AP/dpa

BRÜSSEL. Mit einem Haushalts- und Finanzpaket von historischem Umfang nimmt die Europäische Union den Kampf gegen die coronabedingte Wirtschaftskrise auf.

Nach einem gut viertägigen, zwischendurch immer wieder dem Scheitern nahen Verhandlungsmarathon einigte sich der Sondergipfel der 27 Mitgliedsstaaten am frühen Morgen auf einen Kompromiss im Umfang von 1,8 Billionen Euro. Zahlreiche Staats- und Regierungschefs - voran Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron - sowie die Spitzen der EU zeigten sich erleichtert und sprachen von einem Erfolg. Rechtspopulisten in Europa reagierten mit beißender Kritik.

Das Paket umfasst 1074 Milliarden Euro für den siebenjährigen Haushaltsrahmen bis 2027 und 750 Milliarden Euro für ein Konjunktur- und Investitionsprogramm. Dieser Wiederaufbauplan beinhaltet 390 Milliarden Euro an nicht zurückzuzahlenden Zuschüssen und 360 Milliarden Euro an Krediten. Ursprünglich sollte das Verhältnis 500 Milliarden Euro an Zuschüsse zu 250 Milliarden Euro an Krediten betragen.

Damit will sich die Europäische Union gegen den beispiellosen Wirtschaftseinbruch stemmen und den EU-Binnenmarkt zusammenhalten. Gleichzeitig soll in eine digitalere und klimafreundlichere Wirtschaft investiert werden.

Erst am Montag waren zwei der umstrittensten Punkte gelöst worden. Das machte den Weg zum Gesamtdeal frei. Zum einen akzeptierten die sogenannten sparsamen Staaten, dass gemeinsame Schulden aufgenommen werden und Geld als Zuschuss an EU-Staaten geht. Im Gegenzug willigten Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien ein, die Summe dieser Zuschüsse zu verringern.

Zudem fand man eine Formel zur Koppelung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit, die alle 27 Staaten annahmen. Zuvor hatten sich Polen und Ungarn strikt gegen einen solchen Rechtsstaatsmechanismus gewehrt, zumal gegen beide Staaten Verfahren wegen Verletzung von EU-Grundwerten laufen. Im Kompromiss heißt es nun, dass der Europäische Rat die Bedeutung des Schutzes der finanziellen Interessen der EU und des Respekts der Rechtsstaatlichkeit unterstreiche. Wie diese Formel konkret ausgelegt wird, wurde direkt nach dem Gipfel sehr unterschiedlich interpretiert.

»Das war nicht einfach«, sagte Merkel nach der Gesamteinigung. Für sie zähle aber, »dass wir uns zum Schluss zusammengerauft haben«. Der Haushalt sei auf die Zukunft Europas ausgerichtet. »Historischer Tag für Europa«, schrieb Macron auf Twitter. Auch EU-Ratschef Charles Michel und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen feierten den Beschluss als historisch. »Wir haben es geschafft«, sagte Michel. Das sei der richtige Deal für Europa. »Wir sind uns bewusst, dass dies ein historischer Moment in Europa ist«, ergänzte von der Leyen.

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sprach von einem »guten Resultat für die EU und Österreich«. Er lobte namentlich das Bündnis, das Österreich mit Schweden, Dänemark und den Niederlanden eingegangen war. »Vielen Dank an alle Kollegen, besonders an die «Sparsamen»«, twitterte er. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sprach von einem »umfangreichen und guten Paket, durch das die niederländischen Interessen gewahrt bleiben«.

Ähnlich äußerte sich die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Es handele sich um eine solidarische Abmachung mit einem weiterhin großen Volumen, das jedoch nun eine bessere Balance habe. Aus dänischer Sicht sei wichtig, einen großen Rabatt erhalten zu haben. »Das lässt erkennen, dass man gleichzeitig für dänische und für europäische Interessen kämpfen kann«. Trotz aller Schwierigkeiten habe die EU gezeigt, dass sie in einer schwierigen Lage handeln könne, sagte Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin laut dem Sender Yle. Aus finnischer wie aus europäischer Sicht sei das Ergebnis zufriedenstellend.

Erleichtert zeigten sich auch die Regierungen, deren Staaten am stärksten von der Corona-Pandemie betroffen sind und daher am dringendsten Hilfe brauchen. Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez sagte, er sei »zu 95 Prozent zufrieden« mit dem Ergebnis. Für sein Land stünden »in etwa« 140 Milliarden zur Verfügung, davon 72,7 Milliarden nicht rückzahlbare Subventionen. »Wir sind zufrieden«, sagte auch Italiens Regierungschef Giuseppe Conte. Der Wiederaufbauplan entspreche den enormen Herausforderungen der Krise. Für Italien seien etwa 209 Milliarden Euro vorgesehen. »Es ist ein historischer Moment für Europa, es ist ein historischer Moment für Italien«, betonte Conte.

Die Reaktionen von Rechtspopulisten fielen derweil ganz anders aus: »Doch 390 Milliarden Euro Zuschüsse für Südeuropa. ... Wahnsinn! Milliarden weggeschmissen, die wir im eigenen Land ausgeben müssten«, twitterte der Niederländer Geert Wilders. »Noch nie hat eine Regierungschefin so lange und hartnäckig darum gekämpft, die Steuergelder ihrer Bürger im ganz großen Stil an andere verschenken zu dürfen, wie Angela Merkel in Brüssel«, erklärte die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel. Merkel betreibe einmal mehr Europapolitik gegen die Interessen der Bürger, »um sich als «große Europäerin» feiern zu lassen«.

CSU-Chef Markus Söder lobte dagegen das Ergebnis. »Zum Glück konnte sich Europa einigen. Das neue Finanzpaket ist die entschlossene Antwort auf Corona«, schrieb er bei Twitter. In der CSU gibt es aber auch kritische Stimmen. »Der Preis des Deals ist hoch«, monierte der Europaabgeordnete Markus Ferber. »Jeder Mitgliedstaat hat ein «Zuckerl» für die Heimfahrt in die Hauptstädte bekommen, aber wer das Ganze als großen Wurf verkauft, lügt sich in die eigene Tasche.«

Zu dem von Ferber angesprochenen Punkt gehören teure Zugeständnisse an die »Sparsamen Vier« - also die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden. Sie sollen deutlich höhere Nachlässe auf ihre Einzahlungen in den EU-Haushalt bekommen als ursprünglich vorgesehen. So wurde etwa die jährliche Rabattsumme für Österreich von 237 Millionen Euro auf 565 Millionen Euro angehoben - eine Steigerung um 138 Prozent.

Umstritten ist auch, wie strikt künftig die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien gekoppelt ist. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sagte in Brüssel: »Jeder Versuch, der darauf abzielte, zwei wichtige Fragen - die der EU-Gelder und die der Rechtsstaatlichkeit - miteinander zu verbinden, wurde erfolgreich zurückgewiesen.«

Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley, warf den EU-Staats- und Regierungschefs zu große Nachgiebigkeit gegenüber Staaten wie Ungarn und Polen vor. »Ja, man ist eingeknickt und das Schlimme ist, man ist schon sehr früh eingeknickt«, sagte die SPD-Politikerin dem TV-Sender »Welt«.

Von der Leyen und Michel bestritten dagegen, dass eine starke Lösung zugunsten des Kompromisses geopfert worden sei. Mit qualifizierter Mehrheit der EU-Staaten könnten bei Verstößen Maßnahmen ergriffen werden, sagte von der Leyen. Rutte, der die Rechtsstaatsklausel zur Bedingung für eine Zustimmung gemacht hatte, betonte, mit der gefundenen Lösung »können die Auszahlungen gestoppt werden«. (dpa)