Nach seiner Wiederwahl ist der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan für weitere fünf Jahre als Präsident vereidigt worden. Der 69-Jährige stellte am Samstag zudem sein Kabinett zum Großteil neu auf und ernannte den angesehenen Ökonomen Mehmet Simsek zum Finanzminister. Das wurde als Zeichen gewertet, dass Erdogan von seiner umstrittenen Niedrigzinspolitik abkehren könnte. Erdogan ernannte zudem seinen langjährigen Vertrauten, Geheimdienstchef Hakan Fidan, zum neuen Außenminister.
Die Türkei kämpft mit einer Währungskrise und einer massiven Inflation von offiziell rund 44 Prozent. Entgegen der gängigen Praxis, einer hohen Inflation mit einer Anhebung des Leitzinses zu begegnen, drängt Erdogan immer wieder auf Zinssenkungen. Kritiker werfen dem Präsidenten vor, Einfluss auf die Notenbank zu nehmen.
Finanzminister Simsek kündigt rationale Politik an
Simsek gilt als konventioneller, westlich orientierter Ökonom. Er war schon früher Finanzminister und kehrt nun nach fünf Jahren Pause in die türkische Politik zurück. Der Kampf gegen die Inflation habe Priorität, sagte Simsek. Er kündigte eine rationale Politik an. Inwieweit Erdogan ihm die Führung der Wirtschaft überlassen wird, bleibt abzuwarten.
Seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 hat Erdogan weitreichende Befugnisse. Nach dem Wahlsieg seiner islamisch-konservativen AKP im Jahr 2002 wurde Erdogan ein Jahr später zunächst Ministerpräsident, seit 2014 ist er Staatspräsident.
Erdogan wurde am vergangenen Sonntag in einer Stichwahl mit gut 52 Prozent der Stimmen als Präsident bestätigt. Am 14. Mai hatten seine islamisch-konservative AK-Partei und ihre Partner bereits die Mehrheit im Parlament gewonnen. Die Wahl galt wegen der Kontrolle Erdogans über staatliche Ressourcen und die Medien im Land als unfair.
Cavusoglu scheidet aus Kabinett aus
Mevlüt Cavusoglu, der seit fast zehn Jahren Außenminister der Türkei war, ist nicht mehr Teil des neuen Kabinetts. Sein Nachfolger Fidan ist ein ehemaliger Soldat. Er leitete ab 2010 den türkischen Geheimdienst MIT. Zuletzt nahm der 55-Jährige an Gesprächen in Moskau teil, bei denen es um eine mögliche Annäherung zwischen der Türkei und Syrien ging. Nach dem Putschversuch 2016 war Fidan in die Kritik geraten, Erdogan hielt aber an ihm fest.
Erdogan ernannte den bisherigen Generalstabschef Yasar Güler zum Verteidigungsminister. Die Personalien deuten darauf hin, dass Erdogan in den kommenden Jahren eine sicherheitsorientierte Politik verfolgen wird.
Yerlikaya ist Innenminister
Neuer Innenminister ist der bisherige Istanbuler Gouverneur Ali Yerlikaya. Erdogan ersetzte damit den Ultranationalisten Süleyman Soylu, der die Opposition immer wieder scharf attackiert hatte und dem Westen Verschwörungen gegen die Türkei vorwarf. Einzige Frau im Kabinett ist Familienministerin Mahinur Özdemir Göktas.
Erdogan wurde unter dem Applaus seiner Regierungsallianz vereidigt. Mitglieder der Oppositionsparteien missachteten die Regeln und standen aus Protest nicht auf. Die Opposition wirft Erdogan vor, in seiner 20-jährigen Regierungszeit einen »Ein-Mann-Staat« errichtet zu haben.
Er werde sich an die Werte der säkularen Republik halten und die Menschenrechte wahren, hieß es in dem Eid, den Erdogan ablegte. Er kündigte eine neue »integrative« Verfassung an und sagte, er wolle das Ansehen der Türkei in der Welt steigern. Erdogan hatte schon in der Vergangenheit angekündigt, eine neue Verfassung durchsetzen zu wollen. Zurzeit hat er dafür aber nicht die nötige Mehrheit im Parlament.
Mehr als 30 Staatsoberhäupter zu Gast
An der Vereidigungszeremonie nahmen nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu mehr als 30 Staatsoberhäupter teil, darunter aus Südafrika, Venezuela, Pakistan und Libyen. Auch der ehemalige deutsche Fußball-Nationalspieler Mesut Özil war dabei. Nach Angaben der Nato reiste zudem Generalsekretär Jens Stoltenberg nach Ankara.
Stoltenberg wollte sich auch bilateral mit Erdogan und weiteren hochrangigen Vertretern in der Türkei treffen. Dabei wird es voraussichtlich vor allem um die von der Türkei blockierte Aufnahme Schwedens in die Nato gehen.
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