Es ist eine Mischung aus Wehmut und Erleichterung, Trotz und Aufbruch, die dieses Ende begleitet. 18 Jahre nach ihrer Gründung im September 2005 ist die Linksfraktion im Bundestag von heute an Geschichte. Die 38 Mitglieder stehen im Parlament erstmal als Einzelkämpfer da. Wenn die Mehrheit im Bundestag mitmacht, sortieren sie sich bald neu: 28 Linke in einer neuen Gruppe. Und zehn Abgeordnete des »Bündnis Sahra Wagenknecht« in einer anderen. Künftig sind sie Konkurrenten. Die politische Landschaft wird damit nicht übersichtlicher.
»Es ist traurig und angesichts des Rechtsrucks bei allen anderen Parteien schlecht für den Zusammenhalt in diesem Land«, sagt Jan Korte, bisher Parlamentarischer Geschäftsführer, zum Ende der Linksfraktion. »Zugleich haben wir die Chance, eine erneuerte, starke sozialistische Partei auf die Spur zu bringen.« Diese Hoffnung bemüht auch der ehemalige Parteichef Bernd Riexinger: »Jetzt geht es für uns richtig los.« Ohne quälenden Streit Politik für Mieter, Beschäftigte, Rentner: »Wir haben die Chance, mit einer guten und verlässlichen Politik Vertrauen bei den Wählern zurückzugewinnen«, meint Riexinger.
Die »Rest-Linke« und die anderen
Beide gehören zu den 28, die die Gegenseite nun bisweilen die »Rest-Linke« nennt. Sie sind die Mehrheit, aber sie wirken irgendwie übrig geblieben, seit die frühere Fraktionschefin Sahra Wagenknecht im Oktober mit großer Geste die Scheidung einreichte. Sie will im Januar ihre eigene Partei gründen und liegt nur auf Grundlage dieser Ankündigung in Umfragen zweistellig. Der Linken hingegen bescheinigte das Institut Insa im Auftrag der »Bild am Sonntag« nur noch drei Prozent Wählerzustimmung. Diese Werte sagen zwar vorerst wenig. Aber das von Riexinger erhoffte Vertrauen der Wähler wäre für die Linke sicher günstig.
Vorerst zieht das »Bündnis Sahra Wagenknecht« fast die ganze Aufmerksamkeit auf sich. »Man freut sich ein bisschen auf das Neue, das kommt«, sagt ihr Mitstreiter und Ex-Linke Alexander Ulrich. »Der Zuspruch in der Bevölkerung ist ja auch sehr groß.« Er lässt anklingen, dass er durchaus mit gemischten Gefühlen geht. »Ich bin seit 2005 im Bundestag, seit der ersten Sekunde der Linksfraktion bin ich dabei«, sagt Ulrich. »Das ist Teil meines Lebens gewesen.«
Die Fraktion gab es zuerst, bevor 2007 die Westpartei WASG und die SED-Nach-Nachfolgerin Linkspartei.PDS zur Partei Die Linke fusionierten. Die Neugründung schoss bei der Bundestagswahl 2009 auf einen Spitzenwert von 11,9 Prozent und hatte 2013 und 2017 noch um die 9 Prozent. 2021 stürzte sie dann auf 4,9 Prozent ab. Mitten im Wahlkampf hatte Wagenknecht in ihrem Bestseller »Die Selbstgerechten« auch ihre eigenen Genossen kritisiert. Inhaltlich nahm dies die Spaltung quasi schon vorweg.
Was die neuen Konkurrenten trennt
»Im Sozialen Bereich gibt es Überschneidungen, da wäre eine Trennung sicher nicht nötig gewesen«, sagt Wagenknecht-Unterstützer Ulrich. Höhere Rente, höhere Steuern für Reiche, höherer Mindestlohn, bessere Bildung - da unterscheiden sich die frisch geschiedenen Ex-Partner kaum. Beide fordern Frieden durch Diplomatie in der Ukraine und lehnen deutsche Waffenlieferungen ab. Wird interessant, ob sie im Bundestag bei solchen Themen doch an einem Strang ziehen.
Die Geister scheiden sich vor allem an den zentralen Themen Migration und Klimaschutz. Die Linke will eine großzügige Aufnahme von Geflüchteten und ein viel ehrgeizigeres Klimaziel: eine Wirtschaft ohne zusätzliche Treibhausgase ab 2035. Wagenknecht will dagegen weniger Geflüchtete aufnehmen. Und Deutschland soll erstmal weiter billiges Gas aus Russland verfeuern und Autos mit Verbrenner fahren. Da ging am Ende nichts mehr zusammen.
Klaus Ernst, der mit Wagenknecht die Linke verließ, sagt es so: »Ich bedaure das schon sehr, dass es so kommen musste, immerhin habe ich die Partei die Linke einmal mit gegründet. Aber sie hat sich so weit vom Pfad der Tugend entfernt, dass es jetzt wirklich besser so ist.« Seinen Posten als Vorsitzender des Energieausschusses habe er »gern genutzt, um ein bisschen Vernunft in die Klimapolitik zu bringen, auch gegenüber unserem eigenen Laden«. Die Mehrheit in der Linken hat er nicht überzeugt. Der Ausschussvorsitz ist im übrigen mit der Auflösung der Fraktion weg.
Was jetzt passiert
Die Linksfraktion hört am 6. Dezember um 00.00 Uhr auf zu existieren - das hat die Fraktion Mitte November beschlossen und dem Bundestag angezeigt, weiterer formaler Schritte bedarf es nicht mehr. Alle 38 Abgeordneten sind dann zunächst »fraktionslos«, also im Bundestag auf sich gestellt. Den etwa 100 Mitarbeitern wird gekündigt. Ein Team von Liquidatoren um den bisherigen Fraktionsmanager Thomas Westphal wickelt alles ab, vom Sozialplan bis zur Büromiete. Der bisherige Fraktionssaal im Reichstagsgebäude ist schon geräumt, die großen Plakate von Lothar Bisky, Clara Zetkin und Heiner Müller sind abgehängt, wie es heißt.
Die Linke um den bisherigen Fraktionschef Dietmar Bartsch hat sich bereits zur Gruppe erklärt und die offizielle Anerkennung bei Bundestagspräsidentin Bärbel Bas beantragt. Ein Beschluss im Plenum wird festlegen, welche Rechte die neue Gruppe hat und wie viel finanzielle Unterstützung sie bekommt.
Wann über den Antrag der Linken entschieden wird, da will sich die Bundestagspressestelle noch nicht festlegen. Theoretisch ginge das nächste Woche, wahrscheinlicher ist ein Termin nach Neujahr. Bis dahin ist wohl auch die Wagenknecht-Gruppe startklar: Sie will sich am 12. Dezember konstituieren und ebenfalls den Gruppenstatus beantragen, bevor Wagenknecht im Januar ihre Partei gründet. Gerätselt wird noch, wo beide Gruppen künftig im Bundestag sitzen. Muss die Wagenknecht-Gruppe etwa neben die AfD auf die Rechte des Plenums? Auch dazu sagen Bas' Leute noch nichts.
Dann geht es ins Wahljahr 2024 mit der Europawahl im Juni und den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September. Für die Wagenknecht-Partei die erste Bewährungsprobe, für die Linke der erste Hinweis, ob das erhoffte Comeback realistisch ist.
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