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Einigung bei Corona-Gipfel wurde mit Geschenken erkauft

Äußerst mühevoll haben die EU-Staats- und Regierungschefs ein Milliardenpaket zur Finanzierung der EU und des Kampfs gegen die Corona-Krise geschnürt. Das Europaparlament schaltet sich nun ein und fordert Änderungen.

Ursula von der Leyen
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußert sich im Europäischen Parlament. Von der Leyen verteidigte die Beschlüsse des. Foto: Francois Walschaerts/AFP Pool/dpa
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußert sich im Europäischen Parlament. Von der Leyen verteidigte die Beschlüsse des. Foto: Francois Walschaerts/AFP Pool/dpa

BRÜSSEL. Die von der EU erzielte Einigung zu den Corona-Hilfen und zum langfristigen Gemeinschaftshaushalt wurde nach einer Analyse des Europaparlaments mit teuren Geschenken erkauft.

Um die Zustimmung bestimmter Länder zu sichern, habe Ratspräsident Charles Michel eine »Serie von Zugeständnissen in letzter Minute« gemacht, heißt es in dem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Text. Beispiele seien die deutlich erhöhten Beitragsrabatte für Länder wie Österreich und Dänemark sowie zusätzliche Sonderzahlungen.

Nach der Analyse des Parlaments hat das Vorgehen zum großen Teil dazu beigetragen, dass die sogenannten Kohäsionsmittel im Vergleich zu den letzten Plänen noch einmal um 6,6 Milliarden Euro aufgestockt werden müssen. Bei den Landwirtschaftshilfen betrage das Plus 3,2 Milliarden Euro.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bei dem am Dienstag geendeten EU-Gipfel in den letzten Stunden noch einmal Zugeständnisse erzielt. So handelte sie 650 Millionen Euro für Regionen in Ostdeutschland aus. Eine weitere Sonderzahlung in derselben Höhe wird es für die deutsche Landwirtschaft geben.

Das Europaparlament fordert nun Änderungen an dem beim Gipfel verhandelten Finanzpaket in Höhe von insgesamt 1,8 Milliarden Euro. Es will vor allem mehr Geld für Klimaschutz, Forschung, Gesundheit und Studenten herausholen. In diese Bereiche wird nach der Gipfeleinigung deutlich weniger Geld fließen als von der EU-Kommission vorgeschlagen.

»Wir sind derzeit nicht bereit, diese bittere Pille zu schlucken«, sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber heute. Ähnlich sehen das die anderen großen Fraktionen. Sie verlangen auch eine klare Regelung, dass EU-Geld bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit künftig gekürzt werden kann. Die Entscheidung im Parlament fällt wahrscheinlich im September.

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union hatten sich bei ihrem Gipfel diese Woche auf ein Corona-Krisenprogramm im Umfang von 750 Milliarden Euro und einen siebenjährigen EU-Haushalt von 1.074 Milliarden Euro geeinigt. Der Haushalt braucht die Billigung des EU-Parlaments, das nun in einem Vermittlungsverfahren Änderungen durchsetzen will. Auch die Parlamente in allen 27 EU-Staaten müssen Ja sagen.

Der Haushaltsrahmen soll zum 1. Januar in Kraft treten und bis Ende 2027 gelten. Das erste Geld aus dem 750-Milliarden-Paket soll ebenfalls im Laufe des Jahres 2021 fließen.

EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verteidigten die Ergebnisse. »Wir haben geliefert - vielleicht über das hinaus, was noch vor wenigen Wochen vorstellbar war.« Der Belgier betonte erneut die historische Dimension des insgesamt 1,8 Billionen Euro starken Pakets und der Neuerung, dass die EU gemeinsam Schulden für das Corona-Krisenprogramm aufnimmt.

Von der Leyen betonte, dass viele Milliarden in die Modernisierung der Wirtschaft flössen und damit zum Beispiel in den Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes oder in besser gedämmte Häuser. Die Kommissionschefin räumte aber ein, dass es gegenüber ihrem ursprünglichen Entwurf schmerzliche Einschnitte gebe - vor allem beim Forschungsprogramm Horizon, bei Gesundheit, beim Investitionsplan InvestEU und beim Geld für die internationale Zusammenarbeit. »Dieser schmale Mehrjährige Finanzrahmen ist eine bittere Pille.«

Das griff dann nicht nur Weber auf, sondern etliche weitere Redner in der Debatte. »Diese bittere Pille, die Sie heute erwähnt haben, die uns serviert wurde, werden wir so nicht schlucken«, formulierte auch der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken.

In einer von allen großen Fraktionen ausgehandelten Resolution wurden die Nachforderungen formuliert: mehr Ausgaben für Forschung, Gesundheit, das Studentenprogramm Erasmus und den »Fonds für einen gerechten Wandel« hin zur klimafreundlichen Wirtschaft - dazu ein stärkerer Rechtsstaatsmechanismus, mit dem Staaten wie Ungarn oder Polen bei Einschränkungen von Justiz, Medien oder Demokratie die Subventionen aus Brüssel gekappt werden könnten.

Eine solide Garantie, dass die Vergabe von EU-Mitteln an die Rechtsstaatlichkeit gebunden werde, sei Voraussetzung für die Zustimmung zum Haushalt, sagte der liberale Fraktionschef Dacian Ciolos. Die vom Gipfel formulierte Klausel wurde als zu vage gerügt.

Die Redner der großen Fraktionen lobten, dass die 27 EU-Staaten trotz langen Streits überhaupt eine Einigung fanden. Sie würdigten auch das Corona-Konjunkturprogramm und die Finanzierung über gemeinsame Schulden. Linken-Fraktionschef Martin Schirdewan sagte jedoch: »Es wird Sie nicht überraschen, dass ich nicht enthusiastisch in Ihre Lobeshymnen einstimmen kann.«

Das Corona-Paket falle zu klein aus und die Gegenfinanzierung der Schulden zu schwach. Bisher absehbar sei als neue europäische Einnahme nur die Abgabe auf Plastikabfälle, die nur drei Milliarden Euro pro Jahr bringen werde. Damit würde die Rückzahlung der Schulden 130 Jahre dauern. Die Abgeordneten forderten einen klaren Zeitplan zur Einführung weiterer neuer Finanzquellen. Im Gespräch sind eine Digitalsteuer, eine Ausweitung des Emissionshandels und Klimazölle auf Importwaren, die im Ausland nicht umweltfreundlich produziert wurden. (dpa)