Hubert Aiwangers Ehrenrunde beginnt am Sonntag schon wenige Minuten, bevor Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in München eine Pressekonferenz zur Zukunft seines Stellvertreters gibt.
Der Freie-Wähler-Chef steigt am Eingang des Bierzelts in Grasbrunn (Landkreis München) auf eine Bierbank, grüßt in die Menge, genießt den Applaus, schüttelt Hände. Der Weg nach vorn zur Bühne ist nicht der kürzeste, sondern führt mehrmals von einer Seite zur anderen - an möglichst vielen Besuchern vorbei. Einzelne »Hubsi, Hubsi«-Rufe erschallen. Aiwanger lächelt.
Ob er da schon weiß, dass Söder ihn vorerst als Vize und Wirtschaftsminister behält - trotz aller Vorwürfe rund um ein antisemitisches Flugblatt, das in der Schulzeit bei Aiwanger in der Schultasche gefunden wurde und zuletzt die Koalition ins Wanken gebracht hatte? Die Entscheidung habe er erst von Journalisten mitbekommen, sagt Aiwanger nach seinem Auftritt.
Sollte er sich zu Beginn seines Auftrittes darüber unsicher gewesen sein, lässt er sich das nicht anmerken. In CSU-Kreisen wurde allerdings darauf verwiesen, dass Aiwanger sehr wohl schon am Samstagabend erfahren habe, dass er im Amt bleiben darf.
Im Gegenteil: »Das war ein schmutziges Machwerk«, ruft Aiwanger auf der Bühne ins Mikrofon. »Die Freien Wähler sollten geschwächt werden.« Doch die Partei sei durch die Vorwürfe »gestärkt worden«, sagt er, noch während Markus Söder sein Statement abgibt. »Wir haben ein sauberes Gewissen.« Seine Gegner seien mit ihrer »Schmutzkampagne gescheitert«. Applaus.
Eine klassische Aiwanger-Wahlkampfrede
Eine gute halbe Stunde lang nimmt der 52-jährige Niederbayer im weißen Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln seine Lieblingsgegner ins Visier: die Ampel-Regierung in Berlin und besonders die Grünen. Eine klassische Aiwanger-Wahlkampfrede mit bekannten Botschaften: Erbschaftsteuer abschaffen, Heizungsgesetz kippen, der arbeitenden Bevölkerung helfen statt Bürgergeld-Beziehern. Und vor allem »an dem festhalten, was sich bewährt hat«.
Aus Aiwangers Sicht bedeutet das für Bayern: CSU und Freie Wähler sollten auch nach der Landtagswahl regieren. Schließlich sei seine Partei der »Garant dafür, dass die Grünen nicht in die bayerische Landesregierung kommen«. Etwa zeitgleich betont CSU-Chef Söder ungefähr 20 Auto-Minuten entfernt in der Staatskanzlei: »Es wird definitiv in Bayern kein Schwarz-Grün geben.«
Ob Aiwanger nach allem, was in den vergangenen Tagen war, der Forderung von Ministerpräsident Söder nachkommt, etwa Gespräche mit Vertretern jüdischer Gemeinden zu suchen? »Das muss ich jetzt prüfen, um in den nächsten Tagen hier die Gespräche zumindest vorzubereiten«, sagt er.
Eine Journalistin fragt, was er jetzt tun werde angesichts der Vorfälle um das Flugblatt, für die er sich entschuldigt hatte. Buße tun? »Zum nächsten Termin fahren, zum nächsten Termin fahren«, sagt Aiwanger.
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