Als Reaktion auf das Video mit rassistischem Gegröle auf Sylt haben sich mehrere Dutzend Menschen zu einer Mahnwache im Inselort Kampen versammelt. Die Veranstaltung mit etwa 70 bis 80 Teilnehmern sei ohne Störungen verlaufen, sagte eine Polizeisprecherin. Zu dem Protest hatte ein Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Gruppe von Sylt aufgerufen. Auf einem Plakat war etwa zu lesen »Sylt. Oben links. Nicht rechts!«
Vonseiten der Veranstalter hieß es bei der Kundgebung zu dem auf Video dokumentierten Vorfall im Lokal Pony: »Das macht einen betroffen, und das macht einen besorgt, dass so etwas hier auf Sylt stattfindet.«
Auch am kommenden Sonntag soll es eine Demonstration unter dem Motto »Sylt gegen rechts!« geben. »Wir zeigen klare Kante: Rassismus und rechtsextremes Gedankengut haben keinen Platz auf Sylt. Egal ob Inselbewohner oder Tourist, wir stehen für eine bunte und lebenswerte Insel«, sagte eine Vertreterin von »Sylt gegen rechts«.
Pony Club: Erhalten Morddrohungen
Die Betreiber des Pony Clubs in Kampen haben eigenen Angaben zufolge Morddrohungen erhalten. »Wir werden aufs Übelste beleidigt und erhalten Morddrohungen«, schreiben sie auf dem Instagramprofil des Clubs. Dazu veröffentlichten sie eine Sequenz aus einem Überwachungsvideo, das die Szene aus einem anderen Blickwinkel zeigt. »An alle, die ständig fragen: «Hat man das nicht mitbekommen?» Ihr seht selbst, dass die Mehrheit auf dem Video ihren Spaß hat, während eine kleine Gruppe etwas skandiert, das mit unseren Grundwerten nicht vereinbar ist.«
Man habe sich nach langer Überlegung entschlossen, das Video zu veröffentlichen, »um uns, unsere Mitarbeiter und unsere treuen Gäste zu schützen«. Bereits in den vergangenen Tagen hatten die Betreiber des Lokals betont, dass das Personal nichts von dem Vorfall mitbekommen habe. Zuvor hatten Medien berichtet.
Die bekannte Bar Pony hatte nach Bekanntwerden des kurzen Videos Strafanzeige gestellt, der Staatsschutz der Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen.
Die rassistischen Gesänge junger Partygäste auf Sylt alarmieren die Politik und schüren Ängste vor einem Rechtsruck bis hinein in die gesellschaftlichen Eliten. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte am Wochenende, menschenfeindliche Ideologie sei inzwischen ganz offensichtlich »Teil der Popkultur«. Und sie sei in Milieus salonfähig, denen klar sein müsse, dass Ausländer maßgeblich zum Wohlstand beitrügen. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte: »Wer so rumpöbelt, ausgrenzt und faschistische Parolen schreit, greift an, was unser Land zusammenhält.« Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) rief zu Zivilcourage in solchen Situationen auf.
»Ganz schlimmen Fehler« gemacht
Einer der Beteiligten, der in dem Video eine Geste andeutet, die an den Hitlergruß denken lässt, schrieb laut "Bild" in sozialen Medien: "Alle, die wir damit vielleicht verletzt haben, bitte ich um Entschuldigung." Er habe einen »Ganz schlimmen Fehler« gemacht und schäme sich. Er gab demnach an, sich der Polizei gestellt zu haben und die rechtlichen Konsequenzen tragen zu wollen.
In dem Video, das am Donnerstag viral gegangen war und zu Pfingsten entstanden sein soll, ist zu sehen und zu hören, wie junge Menschen zur Melodie des mehr als 20 Jahre alten Party-Hits »L’amour toujours« von Gigi D'Agostino rassistische Parolen grölen. Scheinbar ungeniert und ausgelassen singen sie »Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!«. Von den Umstehenden scheint sich niemand daran zu stören. Der Antisemitismusbeauftragte Klein sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, das sei Beleg für das Vordringen menschenfeindlicher Ideologie in die Gesellschaft.
Bundestagspräsidentin Bas sagte im Sender Phoenix: »Wenn man solche unappetitlichen Auftritte sieht, fragt man sich wirklich, was in den Köpfen dieser jungen Menschen vorgeht. Ich wünsche mir viel Zivilcourage und dass andere dagegenhalten.«
Für einige Beteiligte hatte das Gegröle ein schnelles Nachspiel: Die Werbeagentur-Gruppe Serviceplan Group erklärte, sie habe einen beteiligten Mitarbeiter fristlos entlassen. Auch die Hamburger Influencerin Milena Karl entließ nach eigenen Angaben eine Mitarbeiterin, die dabei war. »Ich bin selbst Migrantin und als werdende Mutter steht alles, was in diesem Video zu sehen ist, für eine Gesellschaft, in der ich mein Kind nicht großziehen möchte.«
Die Betreiber des Lokals schrieben dazu auf Instagram: »Hätte unser Personal zu irgendeinem Zeitpunkt ein solches Verhalten mitbekommen, hätten wir sofort reagiert. Wir hätten umgehend die Polizei verständigt und Strafanzeige gestellt. Das haben wir mittlerweile tun können.« Bei der Party waren mehrere Hundert Gäste.
DJ Gigi D'Agostino, dessen Song verhunzt wurde, stellte klar, dass sich dieser ausschließlich um Liebe drehe. »In meinem Lied «L'amour toujours» geht es um ein wunderbares, großes und intensives Gefühl, das die Menschen verbindet«, teilte D'Agostino mit. Zentral sei zudem die Freude über die Schönheit des Zusammenseins.
Merz: »Mit Alkoholkonsum nicht mehr zu erklären«
Wirtschaftsminister Habeck nannte die Video-Szenen verstörend und absolut inakzeptabel. Den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte er, Deutschland habe es geschafft, zu einer starken Demokratie zu werden, die auf Respekt und Pluralität gebaut sei. »Das zu schützen ist unsere Aufgabe.« Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz fragte: »Was geht eigentlich in den Köpfen dieser Leute vor, das ist doch auch mit Alkoholkonsum nicht mehr zu erklären.«
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich mit Blick auf die rassistischen Gesänge besorgt über die Verrohung der politischen Umgangsformen. Weiter sagte er beim Demokratiefest in Bonn, offensichtlich seien es nicht nur »die Randständigen, Abgehängten«, die sich radikalisieren. »Sondern das ist eine Radikalisierung, die mindestens in Teilen in der Mitte der Gesellschaft auch stattfindet.« Am Freitag hatte schon Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Parolen als »ekelig« und »nicht akzeptabel« bezeichnet.
Auch aus Sicht der Expertin Pia Lamberty zeigt das Sylt-Video eine Normalisierung rechtsextremer Inhalte in der Gesellschaft. »Ohne dass es irgendeine Form von Widerspruch gibt, werden die sozialen Normen einfach gebrochen«, sagte die Co-Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), das Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz untersucht.
Vorfälle auch in Bayern und Niedersachsen
Auch der Club Rotes Kliff im Nobelort Kampen berichtete von einem »Rassismus-Vorfall« zu Pfingsten. Die betroffenen Personen seien des Clubs verwiesen worden und hätten jetzt Hausverbot, schrieben die Betreiber am Freitag auf Instagram. Daneben soll es noch einen weiteren rassistischen Vorfall auf der Insel gegeben haben: Eine schwarze Frau erhob auf Instagram den Vorwurf, sie sei an Pfingsten in einem Restaurant in Kampen beleidigt und ins Gesicht geschlagen worden. Die Polizei bestätigte, dass eine Anzeige vorliege.
Der Missbrauch des Lieds »L'amour toujours« auf Sylt ist kein Einzelfall. In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Vorfälle, bei denen zu dem Lied Nazi-Parolen gerufen wurden - etwa in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern.
In Erlangen skandierten nun zwei Männer auf der Bergkirchweih rassistische Parolen zu »L'amour toujours«. Wie die Polizei am Samstag mitteilte, bekamen die Verdächtigen im Alter von 21 und 26 Jahren am Freitagabend ein Betretungsverbot - der Staatsschutz leitete Ermittlungen ein.
Schon am Freitag wurde bekannt, dass es ebenfalls an Pfingsten in Niedersachsen zu einem ähnlichen Fall kam. Auch auf dem Schützenfest im niedersächsischen Löningen westlich von Cloppenburg wurden rassistische Parolen gegrölt, auch zu »L’amour toujours«, auch dort ermittelt der Staatsschutz.
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