Wegen der angekündigten Massenabschiebung von Flüchtlingen aus Pakistan verlassen weiter Tausende Afghanen das südasiatische Land. Am wichtigen Grenzübergang Torkham zwischen Pakistan und Afghanistan bildete sich eine kilometerlange Schlange aus Lastwagen und Menschen, wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur berichtete.
»Wir wissen, dass es dort Dunkelheit geben wird«, sagt Sangina, eine afghanische Frau unter den Wartenden. In ihrem von den islamistischen Taliban beherrschten Heimatland sieht sie eine schwere Zukunft. »Ich mache mir Sorgen um meine Töchter.«
Wie viele andere fühlt sie sich zur Rückkehr gezwungen. Die »Erniedrigung« durch die Polizei in Pakistan habe sie nicht mehr ertragen, sagt Sangina. Ständig hätten Beamte zuletzt Schmiergeld gefordert und mit Verhaftung gedroht.
Pakistans Regierung will Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus abschieben, die nicht bis Ende Oktober das Land verlassen haben. Von der Maßnahme sind vor allem Menschen aus dem Nachbarland Afghanistan betroffen, die den größten Anteil irregulärer Migranten ausmachen.
1,7 Millionen afghanische Geflüchtete ohne gültige Papiere
Nach Regierungsangaben lebten zuletzt etwa 4,4 Millionen afghanische Geflüchtete in Pakistan, 1,7 Millionen davon ohne gültige Papiere. Seit der Ankündigung haben nach Angaben von Behörden vor Ablauf der Frist am 1. November schon mehr als 140.000 Afghanen das Land verlassen.
Behörden und Hilfsorganisationen in Afghanistan stehen vor der Herausforderung, die Rückkehrer unterzubringen. Die Afghanen, die nun in ihr Heimatland zurückkehrten, hätten keinen Platz, an den sie zurückgehen könnten, warnten der Norwegische Flüchtlingsrat (NRC), der Dänische Flüchtlingsrat (DRC) und das International Rescue Committee (IRC).
Rund 30.000 afghanische Flüchtlinge hätten innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen, berichteten am Donnerstag Behördenvertreter der pakistanischen Grenzprovinzen der dpa. Hingegen sprachen die Hilfsorganisationen von derzeit täglich 9000 bis 10.000.
»NRC, DRC und IRC teilen schwere Bedenken hinsichtlich der Überlebens- und Wiedereingliederungsaussichten von Rückkehrern aus Pakistan in die afghanische Gesellschaft, vor allem angesichts des Wintereinbruchs«, schrieben die Organisationen.
Katastrophale Bedingungen
Die Bedingungen dabei seien katastrophal: Viele der Afghanen hätten beschwerliche, mehrtägige Reisen hinter sich, bei denen sie der Witterung ausgesetzt gewesen seien. Oft seien sie dabei dazu gezwungen gewesen, ihren Besitz im Tausch für Transportmöglichkeiten aufzugeben. Zugleich überfordere der jüngste Anstieg der Rückkehrer die Ressourcen der Hilfsorganisationen und die fragile Infrastruktur in Afghanistan. Es gebe großen Bedarf an internationaler Hilfe.
Als Grund für die Abschiebungen hatte Innenminister Sarfraz Bugti eine Verschärfung der Sicherheitslage genannt. Pakistan kämpft neben einer schweren Wirtschaftskrise mit einem Erstarken der pakistanischen Taliban (TTP). Dafür seien auch afghanische Flüchtlinge verantwortlich, so die Regierung. Die Abschiebungen finden wenige Monate vor den Parlamentswahlen im Januar statt.
Flüchtlingsorganisationen in Sorge
Die Hilfsorganisation Save the Children erwartet, dass viele afghanische Familien den Winter in Lagern in der Grenzregion verbringen müssten. UN-Generalsekretär António Guterres äußerte nach Angaben seines Sprechers seine Sorge. Afghanistan sei in vielfacher Hinsicht nicht darauf vorbereitet, die Menschen wieder aufzunehmen.
Seit Mittwoch gehen die pakistanischen Behörden aber hart gegen die Geflüchteten vor. Mehrere Abschiebezentren wurden eingerichtet. Die pakistanische Flüchtlingsbehörde berichtete von Festnahmen, von denen auch Menschen mit Aufenthaltsstatus betroffen seien.
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