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»Die Uhr tickt« - Warten am Grenzübergang nach Gaza

Die Versorgung der Menschen im Gazastreifen wird immer schwieriger. Etliche LKW stehen am Grenzübergang in Ägypten bereit. Warum kommt dennoch keine humanitäre Hilfe in der Küstenenklave an?

Gazastreifen
Palästinenser warten am Grenzübergang Rafah auf die Einreise nach Ägypten. Foto: Fatima Shbair/DPA
Palästinenser warten am Grenzübergang Rafah auf die Einreise nach Ägypten.
Foto: Fatima Shbair/DPA

Etliche Hilfstransporte stehen vor dem ägyptischen Grenzübergang zum Gazastreifen Schlange. Denn auch am zehnten Tag nach dem Hamas-Massaker in Israel und dem Beginn israelischer Gegenangriffe in der Küstenenklave bleibt Rafah geschlossen. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen sind ägyptischen Medienberichten zufolge in der Nacht zum Dienstag rund 150 Hilfslastwagen sowie Krankenwagen zum Grenzübergang gefahren.

Dies weckte vor Ort die Hoffnung, dass nun bald Hilfe in den Gazastreifen fließen könnte. Als Zeichen des Jubels darüber hupten die Lkw-Fahrer auf ihrer Fahrt zum Grenzübergang, wie in ägyptischen Medien veröffentlichte Videos zeigen. Auf einigen Lastwagen steht geschrieben: »Für unser Volk in Palästina«. Augenzeugen berichteten von einem Großaufgebot an Sicherheitskräften entlang der Grenze. Rund 2000 Tonnen Hilfsgüter stehen nach Angaben des ägyptischen Roten Halbmonds zur Lieferung bereit, darunter Decken, Medikamente und Kleidung. Auch viele Helfer warten derzeit auf der ägyptischen Seite des Grenzübergangs auf ihren Einsatz. Doch der lässt auf sich warten.

3000 Tonnen Güter stehen bereit

Derzeit würden noch Reparaturen am Grenzübergang vorgenommen, berichteten ägyptische Medien unter Berufung auf den zuständigen Gouverneur des Nord-Sinais, Mohammed Abdel Fadil Schuscha. Er hofft demnach, dass die Hilfslieferungen noch am Dienstag oder Mittwoch im Gazastreifen ankommen. Seinen Angaben nach stehen rund 3000 Tonnen Güter bereit. Unklar war zunächst, auf welcher Seite der Grenze und was genau repariert wurde. Augenzeugen hatten zuvor berichtetet, eine Zufahrtsstraße auf der palästinensischen Seite sei bei israelischen Luftangriffen beschädigt worden.

Bereitstehende humanitäre Hilfslieferungen für die Bevölkerung im Gazastreifen können gegenwärtig nur über die ägyptische Grenze gebracht werden. Beobachter gehen davon aus, dass Ägypten auch angesichts seiner angeschlagenen Wirtschaft Sorge hat, zahlreiche palästinensische Flüchtlinge könnten bei einer Grenzöffnung ins Land kommen. Außerdem befürcht Kairo, unter den Flüchtlingen könnten sich auch Hamas-Terroristen mischen. Die Hamas steht der Muslimbruderschaft nahe, die in Ägypten als Terrororganisation eingestuft wird.

Tunnel bei Rafah diente dem Waffenschmuggel

Berichte über neue Luftangriffe Israels in der Nähe des Rafah-Grenzübergangs im Süden des Palästinensergebiets konnte eine israelische Armeesprecherin am Dienstag derweil weder bestätigen noch dementieren. Vergangene Woche hatte die Armee mitgeteilt, sie habe bei Rafah einen unterirdischen Tunnel angegriffen, der zum Waffenschmuggel in den Gazastreifen gedient habe.

Terroristen der im Gazastreifen herrschenden Hamas hatten am 7. Oktober während des Großangriffs auf Israel auch den Erez-Grenzübergang zerstört, der für Personenverkehr diente. Israel verhängte nach den Gräueltaten gegen seine Bevölkerung eine komplette Abriegelung des schmalen Küstenstreifens.

Die USA und Israel wollen nach Angaben von US-Außenminister Antony Blinken gemeinsam eine Strategie für humanitäre Hilfe im Gazastreifen entwickeln und dabei sicherstellen, dass die Hilfsgüter nicht in die Hände der Hamas fallen. Es gehe darum, »Zivilisten in Gaza und nur sie allein zu erreichen«, sagte Blinken am Montagabend auf einer Pressekonferenz in Tel Aviv. Berichten zufolge haben sich Ägypten und Israel bislang auch noch nicht einigen können, wie die LKW mit den Hilfsgütern kontrolliert werden. Israel will einen Schmuggel von Waffen in den Gazastreifen ausschließen.

Fliehen - oder bleiben?

»Es ist wichtig, dass die Menschen auf ihrem Land standhaft und präsent bleiben, und wir werden unser Möglichstes tun, um Hilfe zu leisten«, betonte Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Auch die im Gazastreifen herrschende Hamas will, dass die Bevölkerung im Gazastreifen vor Ort bleibt. Die von EU und USA als Terrororganisation eingestufte Gruppierung hatte die Menschen dazu aufgefordert, israelischen Aufrufen zu einer Evakuierung aus dem Norden in den Süden des Gazastreifens keine Folge zu leisten.

Israel hatte einer Einfuhr humanitärer Hilfsgüter in den Gazastreifen nach Medienberichten bisher nicht zugestimmt, weil es den Druck auf die Hamas für eine Freilassung von rund 200 Geiseln aufrechterhalten wolle.

In Vorbereitung auf eine mögliche Öffnung von humanitären Korridoren stellt Caritas international, das Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, unterdessen 300.000 Euro für Nothilfe bereit, um im Falle sofort handlungsfähig zu sein. »Mit unseren Partnerorganisationen in Gaza stehen wir täglich im Austausch und bereiten die Nothilfemaßnahmen vor«, sagte Oliver Müller, der Leiter von Caritas international, laut einer Mitteilung vom Dienstag. Geplant werde die Verteilung von Lebensmitteln, Trinkwasser, Hygiene-Artikeln sowie von Medikamenten. »Unsere Partner berichten uns, dass die humanitäre Lage immer prekärer wird und gerade Ältere und Menschen mit Behinderung besonders unter der Notlage leiden.«

In dem schmalen Küstenstreifen wird die Lage derweil immer dramatischer. Das Palästinenserhilfswerk UNRWA hat angesichts ausbleibender Hilfslieferungen in den vergangenen zehn Tagen gewarnt, seine Vorräte gingen zur Neige. »Deshalb ist es absolut wichtig, jetzt Nachschub nach Gaza zu bringen«, sagte Sprecherin Juliette Touma. »Die Uhr tickt.«

Die Kinderrechtsorganisation Save the Children forderte unterdessen eine Feuerpause, damit die dringend benötigte Hilfe zu den Menschen gebracht werden kann. »Das Wasser wird knapp, und den Kindern in Gaza läuft die Zeit davon«, sagt Jason Lee, Länderdirektor von Save the Children für die palästinensischen Gebiete. »Es muss eine Feuerpause vereinbart werden, um das Leben der Kinder zu retten. Ohne ein Ende der Kämpfe steht das Leben von tausenden Kindern auf dem Spiel.«

© dpa-infocom, dpa:231017-99-592208/4