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Die Misere mit Geheimdokumenten in den USA

Bei immer mehr US-Spitzenpolitikern tauchen geheime Regierungsdokumente auf. Einiges spricht dafür, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist. Das Land fragt sich, wie das sein kann.

Geheimdokumente
Das Nationalarchiv hat allen noch lebenden Präsidenten und deren Vizes schriftlich darum gebeten, zuhause nach geheimen Unterlagen Ausschau halten. Foto: Alex Brandon
Das Nationalarchiv hat allen noch lebenden Präsidenten und deren Vizes schriftlich darum gebeten, zuhause nach geheimen Unterlagen Ausschau halten.
Foto: Alex Brandon

Manche in den USA sprechen bereits von einer neuen Pandemie. Der Fernsehkomiker Seth Meyers zum Beispiel scherzte eben in seiner Talkshow: »Man hört von einem Fall, dann vom nächsten. Und ehe man sich's versieht, sitzen wir alle eingesperrt in unseren Wohnungen, wischen unsere Post ab und haben Angst, dass geheime Dokumente hereinflattern.« Die allermeisten verstanden sofort, worauf Meyers damit anspielte: die Entdeckung von Geheimdokumenten aus früheren Amtsjahren in den Privaträumen verschiedener Spitzenpolitiker.

Im Rampenlicht - oder vielmehr im Licht der Suchscheinwerfer der Ermittler - stehen drei Männer: Ex-Präsident Donald Trump, Amtsinhaber Joe Biden und Trumps ehemaliger Vize, Mike Pence. Angefangen hatte alles mit Trump. Sein Auszug aus dem Weißen Haus am 20. Januar vor zwei Jahren war, gelinde gesagt, chaotisch. Bis zuletzt war nicht klar, ob er den Wohn- und Amtssitz aller US-Präsidenten seit mehr als 200 Jahren freiwillig verlassen würde. Seine Wahlniederlage hat er bis heute nicht zugegeben.

Auf Hubschrauberbildern sah man Umzugskisten, die aus dem Weißen Haus gekarrt und in Lieferwagen verladen wurden. Womöglich waren darin auch jene geheimen Dokumente, die das FBI vergangenen Sommer bei einer Razzia aus Trumps Privatanwesen Mar-a-Lago in Florida holte. Das FBI war aktiv geworden, weil sich der Republikaner trotz mehrerer Aufforderungen weigerte, alle Dokumente in seinem Besitz herauszurücken. Mehr als 300 Verschlusssachen soll er insgesamt zuhause gehabt haben.

Geheimdokumente in Bidens Garage entdeckt

Die Empörung war groß, auch beim Nachfolger. Er habe sich gefragt, wie so etwas nur passieren könne, sagte Biden in einem Fernsehinterview im September. Wie jemand nur so verantwortungslos sein könne. Fragen, über die er sich heute wahrscheinlich ärgert - spätestens, seit sie ihm selbst gestellt werden. »Was haben Sie sich nur dabei gedacht?«, löcherte ihn ein Reporter, nachdem bekannt wurde, dass auch in seiner Garage geheime Dokumente entdeckt wurden.

Biden mag solche Fragen nicht. Schnell wirkt es, als fühle er sich auf den Schlips getreten. Es sei ja nicht so, als hätten die Dokumente auf der Straße gelegen, gab der Präsident von den Demokraten schnippisch zurück. Schließlich sei die Garage abgesperrt gewesen. Auf der Straße lagen die Akten allerdings auch Trump nicht.

Der große Unterschied zwischen beiden Fällen sei, so betont das Weiße Haus unermüdlich: Das Biden-Team habe - anders als Trump - vom ersten Moment an eng mit den zuständigen Behörden zusammengearbeitet, um die Rückgabe der Dokumente zu arrangieren. Trotzdem: Schnell wurden Vorwürfe von Doppelmoral und Scheinheiligkeit laut. Aber lange konnten sich auch die Republikaner nicht in ihrer Schadenfreude suhlen.

Auch bei Mike Pence Geheimdokumente gefunden

Am Dienstag wurde bekannt, dass auch bei Trumps ehemaligem Vize Pence geheime Dokumente gefunden wurden. Er habe sie sofort ans Nationalarchiv übergeben, erklärten seine Anwälte. Gemeinhin gilt Pence als äußerst pflichtbewusst. Wenn also selbst bei einem wie ihm Geheimdokumente lagern, liegt der Hase vielleicht ganz woanders im Pfeffer.

Ein Problem sei die schiere Menge an Verschlusssachen in den USA, erklärte der Historiker Matthew Connelly von der Columbia-Universität im Radiosender NPR. 2012 seien jede Sekunde drei Dokumente als geheim eingestuft worden. Inzwischen versuche man schon gar nicht mehr zu schätzen, wie viele geheime Dokumente in Umlauf seien. Etwa vier Millionen Menschen hätten in den USA Zugang zu geheimen Akten, sagte der auf Geheiminformationen spezialisierte Anwalt Bradley Moss dem Sender CNN. Ständig würden welche verlegt, berichtete Tom Blanton, Experte für Verschlusssachen, der britischen BBC.

Dabei ist geheim nicht gleich geheim: Das US-System unterscheidet im Groben zwischen »vertraulichen«, »geheimen« und »streng geheimen« Informationen - je nachdem, wie viel Schaden eine Veröffentlichung mutmaßlich anrichten würde. Welche Informationen aber die nationale Sicherheit tatsächlich gefährden, ist nicht immer klar.

Kann KI Abhilfe schaffen?

Ein ehemaliger Anwalt der Regierung von Präsident Richard Nixon meinte schon vor Jahren, dass nicht einmal durch die Veröffentlichung der »streng geheim« eingestuften »Pentagon Papers« - rund 7000 Seiten über die US-Politik in Vietnam von 1945 bis 1967 - Gefahr entstanden sei. Viel zu viele Dokumente würden als geheim eingestuft.

Eine mögliche Lösung, um zu bestimmen, welche Dokumente nicht oder nicht mehr zurückgehalten werden müssten, könnte künstliche Intelligenz sein, meint der Historiker Connelly. Oft hätten die, die Zugang zu Staatsgeheimnissen haben, aber kein Interesse an einer Veröffentlichung. Die Logik dahinter: Wenn Entscheidungen nicht nachvollziehbar sind, kann auch niemand zur Rechenschaft gezogen werden.

Alle noch lebenden Präsidenten angeschrieben

Ob sich Trump, Biden und Pence verantworten müssen, muss jetzt das Justizministerium klären. Am meisten zu befürchten hat wohl Trump - nicht, weil er die Dokumente mitgenommen hat, sondern weil er sie nicht wieder herausrücken wollte. Politisch dürfte es jedoch schwierig werden, den Ex-Präsidenten anzuklagen, Biden aber nicht. Für Pence ist das Thema unangenehm, weil auch ihm Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt werden.

Ob noch mehr Ehemalige betroffen sind, könnte sich bald zeigen. Das Nationalarchiv hat allen noch lebenden Präsidenten und deren Vizes schriftlich darum gebeten, zuhause nach geheimen Unterlagen Ausschau halten. Das Büro von Barack Obama hat nach einem Bericht der »Washington Post« schon wissen lassen, dass bei den Obamas nichts mehr herumliege. Das allerdings dachten auch andere schon.

© dpa-infocom, dpa:230128-99-389452/2