»Die Gefahr erhöht den Mut«, schrieb Shakespeare. Monate vor der Parlamentswahl scheint das Zitat des Dichters genau auf den britischen Premierminister zu passen. »Dies sind gefährliche Zeiten für Rishi Sunak«, sagte der Politologe Mark Garnett. Denn die Probleme des konservativen Regierungschefs sind immens: bis zu 30 Punkte Rückstand in den Umfragen, Schlappe vor Gericht und ein immer deutlicherer Riss in seiner Konservativen Partei.
Bei seinem wohl letzten Versuch, das Steuer herumzureißen, ließ Sunak seinen Finanzminister Jeremy Hunt die ersten Steuersenkungen seit Jahren ankündigen.
Für viele Kommentatoren wirkt dies wie der Mut der Verzweiflung. »Seien wir ehrlich: Steuersenkungen sind so ziemlich das Mindeste, was Sunak noch tun kann, um eine demoralisierte Partei und verärgerte Wähler doch für sich zu gewinnen«, kommentierte das Portal »Politico«. Auch Garnett betonte, niedrigere Steuern seien der einzig verbliebene Kitt der Tory-Partei. Dass nun unter anderem der Beitragssatz zur Sozialversicherung sinken soll, ist nach Ansicht von Experten vor allem ein vorgezogenes milliardenschweres Wahlgeschenk.
Erst vor wenigen Wochen hatte Finanzminister Hunt noch Steuersenkungen ausgeschlossen. Nun verspricht er der Wirtschaft viel Unterstützung - dafür gibt es Lob vom Industrieverband CBI. Doch der Handel reagierte enttäuscht, und die Oppositionspartei Labour betonte, die Steuerlast für Verbraucher sei noch immer höher als bei der vorigen Wahl 2019. Dem rechten Tory-Flügel wiederum gehen die Schritte nicht weit genug. Letztlich werde nur ein Teil dessen zurückgegeben, was die Regierung zuvor weggenommen habe, schrieb der konservative Ökonom Julian Jessop.
Es droht ein historisches Wahl-Debakel
Der genaue Termin der Parlamentswahl steht noch nicht fest, sie dürfte aber 2024 stattfinden. In allen Umfragen liegen Sunaks Tories fast aussichtslos hinter den Sozialdemokraten von Labour. Es droht ein historisches Debakel. Das »Herbstbudget für Wachstum«, das sein Schatzkanzler im Parlament in London ankündigte, dürfte bereits Sunaks letzte Patrone sein. Zuletzt habe es mehrere gescheiterte Neustarts gegeben, sagte Scarlett Maguire vom Meinungsforschungsunternehmen JL Partners der Zeitung »Telegraph«.
Sunaks Selbstinszenierung auf dem Tory-Parteitreffen als »Kandidat des Wandels«? Nach 13 Jahren konservativer Regierung schnell als unglaubwürdig entlarvt. Seine Gesetzesvorhaben aus der pompösen »King's Speech«? Boten kaum neuen Schwung. Die Kabinettsumbildung mit der überraschenden Rückkehr von Ex-Premierminister David Cameron als Außenminister? Rief eher verwunderte Fragen danach hervor, ob Sunak keinem Tory-Abgeordneten den wichtigen Posten zutraue.
Den Konservativen fehle ein klares Gespür, in welche Richtung sie steuern wollten und für was sie stehen wollten, sagte Maguire. Sunaks Zickzack-Kurs hilft nicht weiter. Erst schien er sich immer mehr der erzkonservativen Innenministerin Suella Braverman anzunähern. Als Braverman dann zu weit ging in ihrer Kritik und Sunak sie rauswerfen musste, setzte er mit Rückkehrer Cameron und Ex-Außenminister James Cleverly als neuem Innenminister auf deutlich moderatere Politiker.
Frustrierte Tories nicht auf Linie
Seit Wochen wächst auch innerhalb der Konservativen Partei die Kritik am Regierungschef. Die Risse in der Partei sind enorm. Die gefeuerte Innenministerin Braverman rechnete in einem Brandbrief mit Sunak ab, Teile des rechten Flügels hetzen kaum verhohlen gegen den Premier. Aber auch von den Moderaten droht eine Revolte, falls Sunak tatsächlich internationale Menschenrechtsabkommen aufkündigen sollte, um seine umstrittene Migrationspolitik durchzusetzen.
Viele Tories sind frustriert, fürchten um ihre Sitze. »Die ganze Partei macht den Eindruck von kleinen Kindern, wenn sie längst über ihre Schlafenszeit hinaus sind: sehr müde und mürrisch«, sagte ein Abgeordneter zu »Politico«. Experte Garnett von der Universität Lancaster betonte im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur: »Unter diesen Umständen besteht Sunaks bester Schutz gegen interne Kritiker darin, dass sie es sich nicht leisten können, ihren Anführer ein drittes Mal innerhalb einer Legislaturperiode zu wechseln.«
Helfen, so spotten Beobachter, könnte wohl nur noch eine der Maßnahmen, die Finanzminister Hunt ankündigte: Dass die Alkoholsteuer bis August eingefroren bleibt und nicht wieder steigt. Diese Lage könne man sich schließlich nur noch schön saufen.
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