Eine im Faschismus verwurzelte Ministerpräsidentin in Rom und eine Regierung in Stockholm, die erstmals gemeinsame Sache mit den Rechtspopulisten macht: Italien und Schweden sind 2022 heftig nach rechts gerückt.
Solch eine Entwicklung haben viele in Brüssel gefürchtet - dort, wo man sich seit längerem mit nationalistischen Regierungen aus Polen und Ungarn herumplagt. Formiert sich da eine neue rechte Front innerhalb der EU? Auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzler Olaf Scholz könnte 2023 in dem Fall gehörige Überzeugungsarbeit zukommen.
Als Giorgia Meloni von den rechtsradikalen Fratelli d'Italia die Wahl im September gewann, schwankten viele Europäer zwischen Unwohlsein, Sorge und Angst um die Union. Kein Wunder, hatte Meloni doch jahrelang gegen Brüssel gewettert, eine viele härtere Gangart gegen Migranten gefordert, Berlin und Paris kritisiert und stattdessen mit Budapest und Warschau sympathisiert. Von der Leyen ließ sich unmittelbar vor der Wahl sogar zu der Aussage verleiten, Brüssel habe »Werkzeuge«, falls Italien Probleme bereiten sollte.
»Die Befürchtungen waren übertrieben und unangebracht«, meint der Politik-Analyst Wolfango Piccoli. Zumindest öffentlich vollzog Meloni einen Wandel: Schrie sie sich noch im Juni bei einer Veranstaltung der spanischen Ultrarechtspartei Vox mit Parolen gegen die EU und gegen Migranten in die Herzen von Nationalisten und Rassisten, so gab sie sich schon im Wahlkampf viel moderater. Manche Kommentatoren flachsten gar, dass die einst so forsche Oppositionsführerin den Kurs des Vorgängers Mario Draghi in etlichen Bereichen nahtlos fortführe.
Wie reagiert Meloni, wenn ihre Beliebtheitswerte?
Tatsächlich merkte die 45-Jährige, dass sie kaum Handlungsspielraum hat. Ein Austritt aus der EU? Kein Thema, Italien winken schließlich aus Brüssel noch zig Milliarden Euro des Corona-Wiederaufbaufonds. Und auf so viel Geld verzichtet niemand. Dass Meloni, die den Diktator Benito Mussolini als 19-Jährige einmal als »guten Politiker« bezeichnet hatte, sich dann auch noch - etwas zögerlich - vom Faschismus distanzierte, beruhigte ebenfalls viele Zweifler. In den Umfragen schadete Meloni ihr moderates Auftreten nicht, im Gegenteil.
»Die entscheidende Frage wird sein, wie Meloni reagiert, wenn ihre Beliebtheitswerte fallen«, sagt Piccoli. »Werden dann ihre rechten Instinkte wieder geweckt oder bleibt sie auf dem moderaten Kurs?«
Einen Vorgeschmack auf möglichen Knatsch mit Rom bekam Europa bereits zu spüren - natürlich in einer Flüchtlingsangelegenheit: Weil Meloni dem Schiff »Ocean Viking« der Seenotretter von SOS Méditerranée mit 234 Migranten an Bord einen Hafen in Italien verweigerte, musste es nach Frankreich weiterfahren. Paris war empört, übte scharfe Kritik und fuhr die Grenzkontrollen zu Italien hoch. Selbst Staatspräsident Sergio Mattarella schaltete sich ein, um die diplomatischen Wogen zu glätten. Meloni aber deutete schon »neue Maßnahmen« gegen zivile Seenotretter an. Gemeinsam mit Griechenland, Malta und Zypern wurde die EU zu Maßnahmen gegen jene NGOs aufgefordert.
Novum in Schweden
Auch Schweden hat 2022 einen bemerkenswerten Drall nach rechts erhalten - wenn auch bei Weitem nicht so extrem wie Italien. Bei der Parlamentswahl im September entfielen mehr als ein Fünftel der Stimmen auf die nationalistischen Schwedendemokraten - Rekord.
Daraufhin hat der bevölkerungsreichste Staat Skandinaviens ein Novum erlebt, das von vielen im Land mit Sorge gesehen wird: Um die nötige Mehrheit für die Wahl zum neuen Ministerpräsidenten zu erhalten, ging der Konservative Ulf Kristersson erstmals eine Regierungsvereinbarung mit den Rechtspopulisten ein. Zuvor wurden die Schwedendemokraten von den anderen Parteien konsequent außen vor gelassen - nun sind sie die entscheidende Unterstützerpartei, ohne die die konservative Minderheitsregierung auf keine eigene Parlamentsmehrheit kommt.
Eine Partei mit Wurzeln in der Neonaziszene hat im Reichstag von Stockholm somit gehöriges Mitspracherecht erhalten. Parteichef Jimmie Åkesson kündigte bereits einen »Paradigmenwechsel in der Einwanderungs- und Integrationspolitik« an und auch, die Zahl der jährlich aufgenommenen Quotenflüchtlinge massiv zu beschneiden. Weitere Maßnahmen, die gerade Migranten treffen, dürften 2023 folgen.
Zum Jahreswechsel wird Schweden nun den EU-Ratsvorsitz übernehmen. »Diese Regierung wird der EU-Arbeit hohe Priorität einräumen«, versicherte EU-Ministerin Jessika Roswall Mitte Dezember. Es liege im schwedischen Interesse, die EU zusammenzuhalten und bei Themen voranzukommen, die gemeinsame Lösungen erforderten. Im Fokus der Schweden sollen unter anderem die Sicherheit, demokratische Werte und die Rechtsstaatlichkeit stehen.
Weiter östlich in Warschau und Budapest reibt man sich jedenfalls schon einmal die Hände - weniger wegen des Regierungswechsels in Schweden, sondern mehr wegen der neuen starken Frau in Italien. Vor allem Ungarns Regierungschef Viktor Orban, aber auch die polnische Regierungspartei PiS um Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zeigen Meloni viel Zuwendung. Orban sieht in ihr eine womöglich gewichtige Verbündete im Kampf gegen die europäischen Institutionen. Uneinigkeit könnte jedoch ausgerechnet das rechte Dauerthema Migration säen: Italiens Hardliner wollen die Flüchtlinge, die sie nicht abweisen können, auf andere EU-Staaten verteilen - Orban will keine aufnehmen.
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