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Deutschlands China-Strategie: »Realistisch, aber nicht naiv«

Es ist ein schwieriger Balanceakt: China soll als Partner und Rivale behandelt werden. Auf 61 Seiten buchstabiert die Bundesregierung nun erstmals aus, wie das gehen soll - und China ärgert sich.

Annalena Baerbock
Annalena Baerbock bei der Vorstellung der künftigen deutschen China-Politik im Berliner China-Institut Merics. Foto: Britta Pedersen/DPA
Annalena Baerbock bei der Vorstellung der künftigen deutschen China-Politik im Berliner China-Institut Merics.
Foto: Britta Pedersen/DPA

Die Bundesregierung will die wirtschaftliche Abhängigkeit von China verringern, sich aber nicht von der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt abkoppeln. Es sei »dringend geboten«, die Risiken einer engen wirtschaftlichen Verflechtung zu verringern, heißt es in der ersten umfassenden China-Strategie Deutschlands, die vom Kabinett beschlossen wurde. »Eine Entkopplung unserer Volkswirtschaften lehnen wir hingegen ab.«

In dem 61 Seiten starken Papier wirft die Bundesregierung der Regierung in Peking auch vor, Menschenrechte in schwerwiegender Weise zu verletzen und mit ihrer Machtpolitik im Indopazifik das Völkerrecht auszuhebeln. »Verhalten und Entscheidungen Chinas führen dazu, dass die Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs in unserer Beziehung in den vergangenen Jahren zugenommen haben«, heißt es in dem Papier. Deswegen müsse das Verhältnis neu austariert werden.

Es ist das erste Mal, dass Deutschland seine China-Politik auf eine umfassende Grundlage stellt. Die Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP hat lange - und sehr kontrovers - um die Strategie für den Umgang mit einem Land gerungen, das sich in den vergangenen Jahren nicht nur wirtschaftlich immer mehr zur Supermacht entwickelt hat.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb auf Twitter: »Mit der China-Strategie reagieren wir auf ein China, das sich verändert und offensiver auftritt.« Es ist das erste Mal, dass Deutschland seine China-Politik auf eine umfassende Grundlage stellt. Mit dem Papier wird auch erstmals der Grundsatz ausbuchstabiert, dass China Partner, aber auch Wettbewerber und systemischer Rivale ist.

Die Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP hat lange - und sehr kontrovers - um die Strategie gerungen. Die Grünen um Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck treten für einen deutlich härteren Kurs gegenüber dem Ein-Parteien-Staat mit seiner riesigen, nuklear bewaffneten Armee ein, als Scholz (SPD).

Deutschland zeige nun mit der Strategie, »dass wir realistisch sind, aber nicht naiv«, sagte Baerbock bei der Vorstellung. »Wir zeigen Wege und Instrumente auf, wie Deutschland im Herzen Europas mit China zusammenarbeiten kann, ohne unsere freiheitliche demokratische Grundordnung, ohne unseren Wohlstand und unsere Partnerschaft mit anderen Ländern auf dieser Welt zu gefährden.«

Das sind die wichtigsten Punkte:

Risikominderung statt Entkopplung

Das ist der Kern der Strategie. Er ist eine Lehre aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der die drastische Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas offenbart hat. In kurzer Zeit musste die Energieversorgung umgestellt werden, was nur mit einem beispiellosen Kraftakt gelang.

Mit China soll sich so etwas nicht wiederholen. Das will die Bundesregierung den in China tätigen und mit China Handel treibenden deutschen Unternehmen auch klar machen. Sie sollen sich »im Rahmen der bestehenden Risikomanagement-Prozesse konkret mit relevanten chinabezogenen Entwicklungen, Zahlen und Risiken auseinandersetzen«.

Chinesische Investitionen in Deutschland

Das ist ein Punkt, der zuletzt ganz konkret für Ärger in der Koalition gesorgt hat. Den Einstieg des chinesischen Staatskonzerns Cosco bei einem Hamburger Container-Terminal setzte Scholz gegen heftigen Widerstand der Grünen und der FDP durch, auch wenn er am Ende geringer ausfiel.

In der China-Strategie ist nicht ersichtlich, ob und wie konkret nun das Außenwirtschaftsrecht verschärft werden soll. In dem Papier heißt es nur, aus Direktinvestitionen chinesischer Unternehmen dürfe kein Risiko für die deutsche öffentliche Ordnung und Sicherheit erwachsen. Das ist der derzeitige Kurs. Klarheit dürfte erst das geplante Gesetz zum Schutz kritischer Infrastruktur bringen.

Machtpolitik

Seine Sorge über das Machtstreben Chinas im Indopazifik bringt die Bundesregierung offen zum Ausdruck. »Außenpolitisch tritt China zur Verwirklichung seiner eigenen Interessen deutlich offensiver auf.« Chinas Beziehungen zu vielen Staaten in seiner Nachbarschaft und darüber hinaus hätten sich auch durch das Ausspielen seiner Wirtschaftsmacht »sehr verschlechtert«.

Russland

Da erwartet Bundesregierung eine klare Positionierung gegen den Angriffskrieg gegen die Ukraine. »Die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine verteidigt China nicht glaubwürdig, unterstützt gleichzeitig gegen die Nato gerichtete russische Narrative«, kritisiert sie.

Taiwan

An der seit Jahrzehnten geltenden Ein-China-Politik wird nicht gerüttelt. Sie besagt, dass es keine Anerkennung des demokratischen Taiwans als eigenständiger Staat geben kann und damit auch nur zu Peking diplomatische Beziehungen. Trotzdem soll die Zusammenarbeit mit Taiwan ausgebaut werden.

Auf die wiederholten Drohungen Chinas mit einer Invasion reagiert die Bundesregierung mit den Worten: »Eine Veränderung des Status quo in der Straße von Taiwan darf nur friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen. Eine militärische Eskalation würde auch deutsche und europäische Interessen berühren.«

Menschenrechte

Für sie gibt es ein eigenes, ausführliches Kapitel in der Strategie. »Wir werden uns in unseren Beziehungen zu China weiter für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen, auch in konkreten Einzelfällen«.

Dies betreffe insbesondere die »schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen« an Minderheiten wie den Uiguren in Xinjiang, die Lage in Tibet und Hongkong sowie die »deutlich verschlechterte Situation« von Menschenrechtsverteidigern und die Pressefreiheit. »Die EU hat 2020 die Möglichkeit von globalen Menschenrechtssanktionen eingeführt. Wir unterstützen deren Anwendung bei schweren Menschenrechtsverletzungen auch in China.«

Wie reagiert Peking?

Steckt nun mehr Scholz oder Baerbock in der Strategie? Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte, sie trage die Handschrift der gesamten Bundesregierung. Auf jeden Fall enthält sie sehr klare Worte, was die Menschenrechtslage und die »robuste« Außenpolitik Chinas angeht. Auch der geplante Ausbau der Beziehungen zu Taiwan und die Einstufung Chinas als Rivale dürfte in Peking nicht gut ankommen.

Das dortige Außenministerium hatte schon im vergangenen November auf Berichte über einen ersten Entwurf der Strategie empört reagiert. Die Einstufung Chinas als »Wettbewerber« und »systemischer Rivale« sei ein »Erbe des Denkens aus dem Kalten Krieg«, hieß es damals. Die chinesische Regierung lehne auch die »Verunglimpfung Chinas durch die deutsche Seite« mit sogenannten Menschenrechtsfragen sowie »Lügen und Gerüchten« ab.

China reagiert auch jetzt verärgert auf die neue Strategie der Bundesregierung. China sei nicht der Verursacher von Problemen, mit denen Deutschland konfrontiert sei, heißt es in einer ersten Reaktion, die in chinesischer Sprache auf der Internetseite der chinesischen Botschaft in Berlin veröffentlicht wurde. »China ist Deutschlands Partner in der Bewältigung von Herausforderungen und kein Gegner.«

Man hoffe, dass die deutsche Seite die Entwicklung Chinas »rational, umfassend und objektiv« betrachte. Eine ideologische Betrachtungsweise Chinas verschärfe Missverständnisse und schade dem gegenseitigen Vertrauen.

Wirtschaftsverbände begrüßen China-Strategie

Spitzenverbände der Wirtschaft begrüßen die neue China-Strategie der Bundesregierung generell. DIHK-Präsident Peter Adrian sagte am Donnerstag in Berlin: »Eine «De-Risking»-Strategie ist ein zutreffender Ansatz für den Umgang der Politik mit China.« Auch Industriepräsident Siegfried Russwurm sprach von einer richtigen Strategie.

Russwurm sagte, es sei richtig, dass die Strategie den europäischen Konsens zur Rolle Chinas als Kooperationspartner, Wettbewerber und Systemrivale bekräftige. Der Bundesverband der Deutschen Industrie teile die Einschätzung der Bundesregierung, dass in den letzten Jahren vor allem die Dimensionen des Wettbewerbs und der Systemrivalität immer deutlicher hervorgetreten seien. »Trotzdem bleibt China als zweitgrößter Markt der Welt ein absolut zentraler Wirtschaftspartner.«

Adrian sagte, ein Ansatz zu einer Abkopplung von China wäre realitätsfern gewesen. Es fehle allerdings an klaren Maßnahmen und Instrumenten zur Flankierung der Diversifizierung. Denn die Erschließung neuer Absatz-, Bezugs- oder Investitionsmärkte bedeute Kosten für die international aufgestellte deutsche Wirtschaft und geschehe nicht einfach von heute auf morgen.

Die CDU-Wirtschaftspolitikerin Julia Klöckner sagte, die China-Strategie lasse viele Fragen offen. Wenn seltene Erden großenteils aus China kommen, müsse schnell gehandelt und nach Alternativen gesucht werden. »Hierfür müssen wir stärker mit anderen Ländern kooperieren.« Zudem müssten kritische Infrastrukturen mehr geschützt werden.

© dpa-infocom, dpa:230712-99-383372/12