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Deutschland will Soldaten dauerhaft in Litauen stationieren

Überraschung kurz vor dem Nato-Gipfel: 4000 Soldaten der Bundeswehr sollen unweit der Grenzen zu Russland und Belarus an der Nato-Ostflanke stationiert werden - so viele wie nirgendwo sonst im Ausland.

Litauen
Verteidigunsminister Boris Pistorius (M) besucht mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (2vr) seinen litauischen Amtskollegen Arvydas Anusauskas (l) und Litauens Präsidenten Gitanas Nauseda (r). Foto: Mindaugas Kulbis/DPA
Verteidigunsminister Boris Pistorius (M) besucht mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (2vr) seinen litauischen Amtskollegen Arvydas Anusauskas (l) und Litauens Präsidenten Gitanas Nauseda (r).
Foto: Mindaugas Kulbis/DPA

Deutschland will eine 4000 Soldaten starke Kampftruppe dauerhaft in Litauen stationieren, um die Ostflanke der Nato zu stärken. Gut zwei Wochen vor dem Nato-Gipfel in Vilnius kündigte Verteidigungsminister Boris Pistorius am Montag bei einem Litauen-Besuch überraschend die Verlegung einer Brigade in das an Russland und Belarus grenzende Land an.

Bis spätestens 2026 will die litauische Regierung die Waffen- und Munitionsdepots, Übungsplätze sowie Unterkünfte für die Truppe und ihre Familien bauen. Dann wird Litauen zu dem nach jetzigem Stand größten Truppenstandort der Bundeswehr im Ausland.

Pistorius begründet Entscheidung mit deutscher Geschichte

»Deutschland ist bereit, dauerhaft eine robuste Brigade in Litauen zu stationieren«, sagte Pistorius nach einem Treffen mit Litauens Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas. Er begründete den Schritt auch mit der deutschen Geschichte.

Bis zum Ende des Kalten Krieges habe Deutschland an der Ostflanke der Nato gelegen, sagte der SPD-Politiker. »Wir waren diejenigen, die sich stets darauf verlassen konnten, dass die Nato-Partner im Ernstfall uns zur Seite stehen würden und mit uns für unsere Freiheit und Sicherheit in Deutschland eintreten und kämpfen würden.« Heute seien Polen und das Baltikum in besonderer Weise exponiert. »Und wir als Bundesrepublik Deutschland bekennen uns ausdrücklich zu unserer Verantwortung und zu unserer Verpflichtung, als Nato-Mitgliedsland, als größte Volkswirtschaft in Europa für den Schutz der Ostflanke einzutreten.«

Seit 2017 Bundeswehrsoldaten in Litauen

Die Bundeswehr ist seit 2017 in Litauen vertreten, derzeit mit etwa 800 Soldaten. Als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine hatte die Bundesregierung im Juni 2022 zugesagt, die Präsenz deutlich zu verstärken und eine komplette Kampftruppen-Brigade für die Verteidigung Litauens im Fall eines Angriffs bereitzuhalten. Bisher war aber strittig, ob die Soldaten dauerhaft in Litauen stationiert oder nur zeitweise für Übungen dorthin geschickt werden sollen. Litauen forderte vehement eine Dauerpräsenz.

Die Bundesregierung äußerte sich dazu lange Zeit sehr zurückhaltend. Jetzt gibt es erstmals eine klare Zusage - unter zwei Bedingungen: Aufbau der notwendigen Infrastruktur durch Litauen, das von der Regierung in Vilnius bereits versprochen wurde. Und das Einverständnis des Nato-Oberbefehlshabers für Europa braucht es, was in der derzeitigen Lage aber als Formsache gilt.

Die 4000 Soldaten bedeuten für die litauischen Streitkräfte eine erhebliche Unterstützung. Ihnen gehören 15.000 Soldaten an, darunter 3500 Wehrpflichtige. Bis 2030 sollen es 17.000 bis 18.000 Soldaten sein. Litauen hat 2,8 Millionen Einwohner.

Soldaten teilweise mit Familien nach Litauen

Mit den Soldaten werden auch schwere Waffen und andere militärische Ausrüstung nach Litauen gebracht. Die dauerhafte Stationierung bedeutet, dass die Soldaten sich nicht wie zum Beispiel früher in Afghanistan oder jetzt noch in Mali nach nur vier bis sechs Monaten abwechseln. Wie Pistorius sagte, werden sie teilweise sogar mit ihren Familien dorthin ziehen. Voraussetzung für die Stationierung ist die Schaffung der notwendigen Infrastruktur durch die litauischen Behörden.

Präsident Nauseda versicherte, dass dies bis spätestens 2026 geschehen werde. Sollte es bereits 2025 klappen, werde er nicht böse sein, scherzte er. »Wir haben in Litauen eine starke politische Bereitschaft, die notwendigen finanziellen Ressourcen zu finden, um den Bedarf an Infrastruktur finanzieren zu können«, betonte der Präsident. Die deutschen Soldaten sollen Schritt für Schritt nach Litauen verlegt werden - je nach Baufortschritt.

Nauseda würdigte die deutsche Ankündigung. Litauen schätze die deutschen Bemühungen, seine Präsenz zu stärken und zur kollektiven Verteidigung beizutragen, schrieb er am Montag auf Twitter. Die Rolle Deutschlands als Führungskraft sei in dieser Zeit großer Unsicherheit und Gefahr dringend erforderlich.

Stoltenberg: »Wir begrüßen die deutsche Führung sehr«

Nato Generalsekretär Jens Stoltenberg würdigte ebenfalls die Truppenstationierung, die Pistorius nur wenige Tage vor dem Nato Gipfel am 11. und 12. Juli in Vilnius ankündigte. »Wir begrüßen die deutsche Führung sehr«, sagte er. Die Ankündigung zeige die »starke deutsche Verpflichtung für unsere kollektive Verteidigung, für unsere gemeinsame Sicherheit«.

Bisher ist nur ein Gefechtsstand der deutschen Brigade in Litauen, der in der Regel mit 20 Soldaten besetzt ist. Der größte Teil der Panzergrenadierbrigade 41 »Vorpommern« wird in Deutschland an verschiedenen Standorten bereitgehalten. Sie soll im Spannungsfall binnen zehn Tagen in das baltische Land verlegt werden können.

Dies wird derzeit bereits zum dritten Mal geübt. Pistorius machte sich davon in Litauen zusammen mit Nauseda und Stoltenberg ein Bild auf dem Truppenübungsplatz Prabade, nur wenige Kilometer von der Grenze zu Belarus entfernt. In den vergangenen Tagen wurden neben etwa 1000 Soldaten für das bis zum 7. Juli angesetztes Manöver auch rund 300 Panzer und andere Fahrzeuge nach Litauen verlegt.

Die Bundeswehr ist in Litauen bereits seit sechs Jahren mit mehreren Hundert Soldaten präsent. In Rukla führt Deutschland einen Nato-Gefechtsverband mit derzeit etwa 1600 Soldaten, davon etwa 780 aus der Bundeswehr. Was mit diesem Verband passiert, wenn die deutsche Brigade fest in Litauen stationiert wird, ist noch unklar.

Die Ankündigung sorgte nach Angaben des Bundeswehrverbands in der Truppe für Erstaunen. »Innerhalb der Bundeswehr hat die Ankündigung von Boris Pistorius überrascht«, sagte der Verbandsvorsitzende André Wüstner dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). »Es gibt eine Menge konzeptioneller Fragen, angefangen beim fehlenden Material, notwendigen strukturellen Anpassungen und schließlich, wie sich diese Ankündigungen unmittelbar auf Soldatinnen und Soldaten von Heer, Streitkräftebasis und Sanitätsdienst sowie auf deren Familien auswirken.«

Wagner-Truppe könnte neue Herausforderung bedeuten

Nauseda sieht nach dem abgebrochenen Aufstand der Wagner-Söldnertruppe in Russland eine noch weiter zunehmende Bedeutung der Truppen an der Nato-Ostflanke. »Die Ereignisse des vergangenen Wochenendes in Russland haben die Instabilität des Kreml-Regimes gezeigt«, sagte der Staatschef des baltischen EU- und Nato-Landes. Das könne in Zukunft noch größere Herausforderungen bedeuten. Bereits am Sonntag hatte Nauseda gefordert, die Truppenpräsenz an der Nato-Ostflanke zu erhöhen, sollte Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin mit unklaren Absichten im Exil in Belarus landen. »Ich spreche hier nicht nur von Litauen, sondern von der Nato als Ganzes.«

Pistorius verwies allerdings darauf, dass die deutsche Brigade technisch nicht jetzt schon komplett nach Litauen verlegt werden könne. Man sei aber im engen Austausch mit der Nato und mit Litauen, um »gewissermaßen in eine Hab-Acht-Stellung« zu kommen und auf eine veränderte Bedrohungslagen schnell reagieren zu können.

Angesprochen auf mögliche neue Gefahren für das Nato-Land Litauen sagte Pistorius dem »heute journal« des ZDF: »Das hängt eben davon ab, ob die Meldungen stimmen, oder ob es bloße Gerüchte sind, wo Prigoschin tatsächlich ist mit seinen Truppen.« Pistorius fügte in dem Interview während seiner Litauen-Reise hinzu, selbst wenn der Chef der Söldnergruppe Wagner in Belarus wäre, »müsste das nicht zwangsläufig eine Bedrohung bedeuten, sondern könnte wiederum auch einen ganz anderen Hintergrund haben«.

© dpa-infocom, dpa:230626-99-187946/13