Logo
Aktuell Inland

Deutsch-Türken stimmen überwiegend für Erdogan

Die Wahllokale in Deutschland sind weiter klar in der Hand Erdogans. Dass Deutsch-Türken dem Amtsinhaber die Stange halten, hat laut Beobachtern nicht nur historische Gründe.

Nach Wahl in der Türkei
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kann auch in Deutschland auf Unterstützung zahlreicher hier lebender Türken zählen. Foto: Ali Unal
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kann auch in Deutschland auf Unterstützung zahlreicher hier lebender Türken zählen.
Foto: Ali Unal

Bei den wahlberechtigten Türkinnen und Türken in Deutschland zeichnet sich bei der Präsidentschaftswahl erneut eine deutliche Mehrheit für Recep Tayyip Erdogan ab. Auf den Amtsinhaber entfielen beim Stand von knapp 98 Prozent der ausgezählten Wahlurnen aus Deutschland knapp zwei Drittel der Stimmen, wie aus Zahlen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Montag hervorging. Offizielle Zahlen der Wahlbehörde zum Ergebnis in Deutschland liegen aber noch nicht vor.

In Deutschland sind rund 1,5 Millionen Deutsch-Türken wahlberechtigt. In der Türkei waren am Sonntag rund 61 Millionen Menschen aufgerufen, ein neues Parlament und einen Präsidenten zu wählen. Laut diesem Zwischenstand erhielt Erdogan in Deutschland rund 65,4 Prozent der Stimmen. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu kam dagegen nur auf 32,6 Prozent. Erdogan dürfte in Deutschland somit wohl wieder viel besser abschneiden als bei der Wahl insgesamt: Nach Angaben der Wahlbehörde entfielen auf Erdogan 49,51 Prozent der Stimmen, Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu kam auf 44,88 Prozent.

Die Gründe

Bereits 2018 hatte Erdogan bei den Deutsch-Türken 64,8 Prozent der Stimmen erhalten. Dass er in Deutschland so gut abschneidet, hat laut Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien in Essen auch historische Gründe. Die Gastarbeitermigration habe in erster Linie Menschen aus dem anatolischen Kernland mit einer religiös-konservativen Einstellung nach Deutschland gebracht, sagte er.

Gökay Sofuoglu, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, sagte, Erdogan sei auch so erfolgreich, weil er in den vergangenen Jahren hier eine gute Struktur aufgebaut habe. »Er hat sich als Kümmerer der Türken in Deutschland dargestellt«, sagte er. Menschen lebten seit Jahrzehnten in diesem Land, dürften aber zum Beispiel auf kommunaler Ebene nicht wählen und seien ständig mit Alltagsrassismus konfrontiert. Ulusoy sagte, vor allem bei den jüngeren Wählerinnen und Wählern gebe es eine Art Protesthaltung aufgrund von Diskriminierungserfahrungen.

Erdogan gebe sich als »starker Mann, der ihnen das Gefühl gibt, Teil einer großen Nation zu sein, ihnen Identität und Zugehörigkeit verspricht und diese auch zementiert – anders als womöglich die deutsche Politik.« Er betonte, dass die Ergebnisse die Haltung der wahlberechtigten Deutsch-Türken widerspiegelten und nicht die aller türkischstämmigen Menschen.

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen sagte, die anhaltend hohe Zustimmung für Erdogan müsse ein Mahnzeichen für eine 180-Grad-Wende in der deutschen Türkeipolitik sein. »Es rächt sich, dass die Bundesregierung wie ihre Vorgänger über Jahre das Erdogan-Netzwerk in Deutschland agieren ließ und in Teilen sogar mit öffentlichen Geldern förderte«, sagte sie.

Pro-Erdogan-Influencer in den sozialen Medien

Laut dem türkischstämmigen Journalisten Hüseyin Topel hat die Regierungspartei AKP besten Zugang zu türkischen Erdogan-Unterstützern in Deutschland. »Die sind in diesen Haushalten drin. Das heißt, die gehen in die Moscheen, die nehmen die Menschen mit«, sagte er. Dazu käme der Einfluss der türkischen Pro-Erdogan-Medien, die diese Haushalte prägten. Auch in sozialen Medien ist die AKP demnach unter anderem mit Pro-Erdogan-Influencern gut vertreten.

Türken mit Wohnsitz außerhalb der Türkei können seit 2014 auch vom Ausland aus ihre Stimmen abgeben. Die AKP bemühe sich seitdem stark um diese Stimmen, sagte Topel. Schließlich könnten diese bei Wahlen das Zünglein an der Waage sein. In diesem Jahr kommt es am 28. Mai zu einer Stichwahl. Die Deutsch-Türken stimmen – wie beim ersten Wahlgang – nicht am Wahltag, sondern bereits einige Tage vorher ab.

© dpa-infocom, dpa:230515-99-698828/6