Für den »Martin aus der Bauwagensiedlung«, wie ein Staatsanwalt ihn nennt, könnte die Luft langsam dünn werden. »Martin« - so nannte sich der gesuchte Ex-RAF-Terrorist Burkhard Garweg (55), der vermutlich zeitweise in einem Bauwagen auf einem Gelände in Berlin-Friedrichshain lebte.
Doch die Polizei hat das Gelände und zwei Berliner Wohnungen durchsucht, der Bauwagen wurde abtransportiert für weitere Untersuchungen. Das bedeutet: Garwegs Umfeld sei weg, der Druck auf ihn steige, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Verden. Die Ermittler hätten ihm sein "Heim weggenommen, er sei höchstwahrscheinlich ohne Logistik unterwegs - und er sei "richtig auf der Flucht", was belastend sein könne. Der Staatsanwalt sagte, seine größte Sorge sei eine Kurzschlusshandlung. Er appellierte an Garweg, sich zu stellen, um eine mögliche Eskalation zu vermeiden.
Der Behördensprecher geht außerdem davon aus, dass die Ermittler dem Gesuchten nahegekommen sind: »Wir sind ganz gut dabei.« Bislang aber wurden weder Garweg noch der ebenfalls gesuchte Ernst-Volker Staub (69) gefasst.
Am vergangenen Montag war in Berlin die frühere RAF-Terroristin Daniela Klette festgenommen worden. Die 65-Jährige sowie Garweg und Staub waren vor über 30 Jahren untergetaucht. Alle drei gehörten der sogenannten dritten Generation der früheren linksextremistischen Terrororganisation Rote Armee Fraktion an. Diese war über Jahrzehnte der Inbegriff von Terror und Mord in Deutschland. 1998 erklärte sie sich für aufgelöst. In der aktiven Terror-Zeit der dritten Generation wurden der damalige Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen (1989) und Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder (1991) ermordet.
Längere Ermittlungen erwartet
In einer am Morgen durchsuchten Wohnung in der Berliner Corinthstraße trafen die Fahnder nach Angaben des federführenden Landeskriminalamts Niedersachsen zwar einen Menschen an, von den Gesuchten sei aber niemand dort gewesen. Am Nachmittag folgte ein weiterer Einsatz auf der Autobahn 5 südlich von Darmstadt, unter anderem waren Spezialeinsatzkräfte beteiligt, wie eine LKA-Sprecherin mitteilte. Demnach gab es zwar keine Verhaftungen oder Festnahmen, aber ein Camper wurde abgeschleppt. Details zu dem Fahrzeug nannte die Sprecherin nicht. Bereits am Sonntag waren in Friedrichshain zunächst das Bauwagen-Gelände und am Abend eine Wohnung durchsucht worden. Auch dabei hatte es keine Festnahme gegeben.
Nach Angaben einer LKA-Sprecherin lebte Garweg »mit hoher Wahrscheinlichkeit« eine Zeit lang in dem Bauwagen. Der Staatsanwalt erklärte, der Tarnname »Martin« sei ein Indiz dafür, dass auf dem Gelände viele die wahre Identität des Gesuchten nicht kannten. Ob Garweg oder auch Staub sich noch in Berlin aufhalten, ist laut Landeskriminalamt Teil der Ermittlungen. Am frühen Montagmorgen wurde der rund 8 Meter lange und 2,50 Meter breite, mit Blech verkleidete Bauwagen abgeschleppt. Er werde kriminaltechnisch untersucht, sagte die LKA-Sprecherin.
Die Berliner Polizei rechnet auf der Suche nach den Ex-Terroristen mit längeren Ermittlungen und weiteren Durchsuchungen. »Aufgrund sich durch die Ermittlungen des LKA Niedersachsen ergebenden Erkenntnissen werden die Maßnahmen im Stadtgebiet Berlins auch weiterhin andauern«, sagte Polizeivizepräsident Marco Langner im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Die Sicherung von Beweisen brauche Zeit, um Spuren zu schützen. Deshalb könne die Arbeit der Polizei in den bisher durchsuchten Räumen nicht schnell beendet werden. Es sei davon auszugehen, dass die Gesuchten konspirativ vorgegangen seien, um Waffen und andere Dinge zu verstecken.
Technisch verfremdete Fahndungsfotos
Am Wochenende hatte das Landeskriminalamt mehrere mutmaßlich aktuelle Fotos von Garweg veröffentlicht. Sie zeigen ihn im privaten Umfeld, teils mit einem oder zwei Hunden - und in wesentlich besserer Qualität als die alten Fahndungsfotos. Diese Fotos seien in der Wohnung von Daniela Klette nach ihrer Verhaftung vor einer Woche gefunden worden, sagte die Sprecherin des LKA. Einige der Fotos stammten aus dem laufenden Jahr, so sei der Fahndungsdruck erhöht worden. An Staub seien die Ermittler allerdings weniger dicht dran.
Zusätzlich wurden technisch verfremdete Bilder von Garweg veröffentlicht. »Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte Burkhard Garweg sein Aussehen verändert hat«, hieß es in einer LKA-Mitteilung. Die Ermittler veröffentlichten daher drei unterschiedliche Versionen desselben Fotos, auf denen Garweg entweder mit Kappe, Glatze oder Brille zu sehen ist.
Auswertung dauert an
Auf dem Bauwagen-Gelände sei die Spurensicherung auch heute weitergegangen, sagte die LKA-Sprecherin. »Wir gehen davon aus, dass der Bauwagen-Container die Unterkunft von Burkhard Garweg gewesen ist«, hatte sie zuvor gesagt. Ergebnisse der Untersuchung gebe es bisher nicht, zunächst müsse die Auswertung abgewartet werden.
Am Morgen standen am Gelände mehr als zehn Polizei-Mannschaftswagen mit Braunschweiger Nummernschildern. Der Eingang zum Gelände wurde von zwei Polizisten bewacht. Rot-weißes Flatterband versperrte den Gehweg. Besucher wurden von der Polizei nur nach Rücksprache und Ausweiskontrollen eingelassen. Zwei junge Männer mit Pantoffeln an den Füßen und einem Hund mussten lange auf Einlass warten. Wenige Meter weiter, in der Corinthstraße, war die Polizei bereits abgezogen.
Vor der am Sonntagabend durchsuchten Wohnung in der Grünberger Straße, mitten im beliebten Kneipenviertel von Friedrichshain zwischen Bars, Imbissen und Spätis, standen drei größere Polizeiwagen aus Braunschweig und einige vermummte Polizisten aus Niedersachsen. Auch hier fand die Polizei keinen Verdächtigen. Die Wohnung wird den Angaben zufolge noch kriminaltechnisch untersucht, was Tage in Anspruch nehmen könne. Ein paar Meter weiter am Boxhagener Platz riefen Transparente vor einem früher besetzten Haus zur Unterstützung der linksradikalen Antifa auf: »Freiheit und Glück für die inhaftierten und untergetauchten Antifaschisten«.
Gesucht wegen Terrorverdachts und Raubüberfällen
Gegen Klette, Staub und Garweg bestehen Haftbefehle wegen des Verdachts der Beteiligung an Terroranschlägen. Sie wurden beziehungsweise werden auch wegen mehrerer Raubüberfälle gesucht. Zwischen 1999 und 2016 sollen sie Geldtransporter und Supermärkte in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen überfallen haben. Ihnen wird auch versuchter Mord vorgeworfen, weil dabei geschossen wurde.
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