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Corona: Auch EU-Kompromissvorschlag trifft auf Kritik

Die EU-Staaten wollen sich mit einem milliardenschweren Finanzpaket gegen die Corona-Krise stemmen - so viel ist klar. Aber wie? Ein neuer Vorschlag soll eine Lösung anbahnen. Aber Bedenken bleiben.

Charles Michel
EU-Ratspräsident Charles Michel hat den Mitgliedsstaaten einen Kompromissvorschlag unterbreitet. Foto: Yves Herman/Reuters Pool/AP/dpa
EU-Ratspräsident Charles Michel hat den Mitgliedsstaaten einen Kompromissvorschlag unterbreitet. Foto: Yves Herman/Reuters Pool/AP/dpa

BRÜSSEL. In den EU-Streit über ein milliardenschweres Corona-Konjunkturprogramm soll ein neuer Vorschlag von Ratschef Charles Michel Bewegung bringen.

Neu sind vor allem konkrete Pläne zur Rückzahlung der vorgesehenen EU-Schulden, unter anderem mit einer Plastikabgabe ab 2021. Auch sollen die EU-Staaten Kontrolle erhalten, wie die Krisenhilfen verteilt werden. Doch bleibt der zentrale Streitpunkt unverändert: der Umfang des Aufbauplans von 750 Milliarden Euro und die Vergabe des Großteils als Zuschüsse.

Michel präsentierte seinen Vorschlag am Freitag in Brüssel - genau eine Woche vor einem zweitägigen EU-Sondergipfel zum Thema. »Ich möchte eine Brücke zwischen den verschiedenen Meinungen bauen«, sagte der Belgier. Ob der neue Vorschlag allerdings wirklich eine Lösung anbahnen kann, wird sich erst noch zeigen.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz äußerte sich zwar positiv und appellierte an den Kompromisswillen aller: »Ich habe den Eindruck, das könnte klappen«, sagte der SPD-Politiker. Kritisch eingestellte EU-Staaten bekräftigten indes Vorbehalte, darunter Österreich, die Niederlande, Finnland und auch Ungarn. Kritik an Michels Vorstoß kam auch aus dem Europaparlament, das das Finanzpaket am Ende billigen muss.

Die EU-Kommission hatte Ende Mai einen über Schulden finanzierten Corona-Wiederaufbauplan im Umfang von 750 Milliarden Euro vorgeschlagen, davon 500 Milliarden Euro als Zuschüsse. Dieses Geld müsste nicht von den Empfängern zurückgezahlt werden. Vielmehr sollen die Schulden gemeinsam über den EU-Haushalt getilgt werden.

Der Punkt ist im Kreis der 27 Staaten äußerst umstritten. Die sogenannten Sparsamen Vier - die Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark - haben Einspruch eingelegt. Dennoch bleibt Michel bei den Eckpunkten: 750 Milliarden Euro, davon zwei Drittel Zuschüsse.

Änderungen schlägt der Ratschef beim siebenjährigen EU-Haushaltsrahmen vor, der mit dem Aufbauplan im Paket verhandelt wird. Dafür hatte die Kommission 1,1 Billionen Euro vorgesehen - Michel will nur 1,074 Billionen Euro, also etwa 26 Milliarden Euro weniger auf sieben Jahre. Für die Nettozahler Deutschland, Österreich, Dänemark, die Niederlande und Schweden soll es weiter Beitragsrabatte geben - ein Zugeständnis an die »Sparsamen Vier«.

Wichtige Neuerungen schlägt Michel im Detail vor. So wollte die Kommission zur Verteilung der Krisenhilfen Wirtschaftsdaten aus den Jahren 2015 bis 2019 zugrunde legen, also vor der Corona-Krise. Michel plädiert dafür, nur 70 Prozent der Zuschüsse aus dem sogenannten Aufbau- und Resilienzinstrument so zu verteilen und 30 Prozent dann ab 2023 auf Grundlage der tatsächlichen Krisenfolgen.

Konkreter ist Michels Vorschlag auch bei der Rückzahlung der 750 Milliarden Euro Schulden, die die EU-Kommission aufnehmen will. Dafür soll die EU neue eigene Einnahmen bekommen, nämlich bereits ab 2021 eine Abgabe auf Plastikabfälle. Zweite Geldquelle könnte eine Abgabe auf nicht klimafreundliche Importwaren sein, genannt »Carbon Border Adjustment Mechanism«. Hinzu könnten Teile der Einnahmen aus dem Europäischen Emissionshandel kommen sowie weitere Einkünfte.

Mit Hilfe dieser Einnahmen soll ab 2026 begonnen werden, die EU-Schulden abzutragen. Vor allem Deutschland war wichtig, den Start der Tilgung nicht hinauszuschieben. Die EU-Kommission wollte erst 2028 beginnen und die Rückzahlung 2058 abschließen. Neu ist in Michels Vorschlag auch eine fünf Milliarden Euro schwere Brexit-Notfallreserve für Länder und Branchen, die vom britischen EU-Austritt besonders betroffen sein könnten.

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und der österreichische Kanzler Sebastian Kurz sprachen am Freitag von einem Schritt in die richtige Richtung. Gleichwohl stellten beide Nachforderungen. Kurz sieht laut Nachrichtenagentur APA »Diskussionsbedarf, sowohl was die Höhe, die Frage Kredite versus Zuschüsse, die Allokationskriterien und die Laufzeit betrifft«. Rutte fordert Garantien für Reformen bei den Hilfsempfängern.

Finnland ist ebenfalls unzufrieden. Ministerpräsidentin Sanna Marin twitterte zum Aufbauplan: »Wir brauchen ein niedrigeres Gesamtniveau und ein besseres Gleichgewicht zwischen Zuschüssen und Krediten.«

Vorsichtig will Ratschef Michel Forderungen umsetzen, die Vergabe von EU-Geldern von der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards abhängig zu machen. So sollen Mittel nur dann gekürzt werden können, wenn die EU-Staaten mit qualifizierter Mehrheit aktiv zustimmen. Das gilt als Zugeständnis an östliche Staaten wie Ungarn oder Polen, denen Rechtsstaatsbrüche vorgehalten werden.

Darüber äußerte sich der Grünen-Haushaltsexperte Rasmus Andresen enttäuscht. Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner sprach gar von einer »Kriegserklärung an das Europäische Parlament«. Der SPD-Haushaltsexperte Jens Geier monierte, dass Michel den »Geizigen Vier« entgegenkommen wolle. Der CDU-Abgeordnete Daniel Caspary betonte: »Die Kürzung des allgemeinen Haushalts lehnen wir ab.«

Einschnitte im Haushalt bewertete auch der zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn kritisch. Ansonsten nannte er Michels Vorschlag aber »eine akzeptable und realistische Grundlage für die Verhandlung der Mitgliedstaaten«. (dpa)

© dpa-infocom, dpa:200710-99-743562/6