Berlin steht kurz vor einem Regierungswechsel - und einer tiefen Zäsur. Nach der SPD hat sich auch die Berliner CDU für eine schwarz-rote Koalition entschieden. Erstmals seit 2001 soll wieder ein Christdemokrat Regierungschef werden: CDU-Landeschef Kai Wegner.
Dafür hatte es in der SPD bei einer Mitgliederabstimmung die nötige Mehrheit gegeben - wenn auch mit 54,3 Prozent Ja-Stimmen knapper als erwartet. Bei einem CDU-Landesparteitag votierten die Delegierten am Montagabend einstimmig für den mit der SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag. Die CDU macht sich bereit zum Regieren.
Auch die Regierungsmannschaft steht inzwischen fest: Wegner stellte die CDU-Senatorenriege aus zwei Männern und drei Frauen beim Parteitag vor. Finanzsenator soll der langjährige Abgeordnete und Generalsekretär der Berliner CDU, Stefan Evers, werden, Bildungssenatorin die bisherige bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Katharina Günther-Wünsch. Lange war die Frage offen, wie die CDU das Justizressort besetzen würde. Dafür vorgesehen ist die Vizepräsidentin des Bundesamts für Verfassungsschutz, Felor Badenberg, die bislang in der Berliner Landespolitik nicht bekannt war und auch nicht Mitglied der CDU ist.
Für die Senatsverwaltung für Verkehr und Klimaschutz soll dagegen die stellvertretende Landesvorsitzende Manja Schreiner verantwortlich sein, wie Badenberg eine promovierte Juristin. Für das Kulturressort hat Wegner den Musikmanager Joe Chialo gewinnen können, der CDU-Mitglied, aber in der Berliner Landespolitik bisher noch ein unbeschriebenes Blatt ist.
SPD jetzt kleiner Partner
Die Berliner SPD gab ihre künftigen Senatsmitglieder ebenfalls am Montagabend offiziell bekannt. Sie stellt im künftigen Senat als kleiner Partner der CDU fünf Senatsmitglieder: vier Senatorinnen und einen Senator. Die CDU hat inklusive des designierten Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner sechs Posten.
Die bisherige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey wird Wirtschaftssenatorin. Innensenatorin bleibt Iris Spranger, die das Amt seit 2021 innehat. Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen wird der langjährige Staatssekretär in verschiedenen Senatsverwaltungen, Christian Gaebler.
Arbeits- und Sozialsenatorin wird Cansel Kiziltepe, die bisher parlamentarische Staatssekretärin im Bundesbauministerium und Berliner Bundestagsabgeordnete ist. Senatorin für Gesundheit und Wissenschaft wird Ina Czyborra, Historikerin und Archäologin, die Vize-Landesvorsitzende der SPD und Abgeordnete ist.
Giffeys Co-Landes- und SPD-Fraktionschef Raed Saleh entschied sich gegen einen Senatsposten und begründete dies der Deutschen Presse-Agentur so: »Aus dem gleichen Grund, weshalb ich bei den Koalitionsverhandlungen die wichtige Arbeitsgruppe Stadt der Vielfalt geleitet habe, werde ich der neuen Landesregierung nicht angehören, sondern deren Wirken, insbesondere das der CDU, als Landes- und Fraktionsvorsitzender kontrollieren und nötigenfalls korrigieren.« Gedacht war dies wohl als Appell an die eigenen Reihen im Sinne von: Keine Sorge, wir schauen der CDU auf die Finger.
Denn die SPD-Landesspitze ist unter Druck. Die Sozialdemokraten hatten bei der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus am 12. Februar mit 18,4 Prozent der Stimmen historisch schlecht abgeschnitten. Wahlsieger wurde mit 28,2 Prozent die CDU. Giffey und Saleh hatten sich gegen die rechnerisch mögliche Fortsetzung der Koalition mit Grünen und Linken und für ein Bündnis mit der CDU entschieden.
Obwohl der SPD-Mitgliederentscheid Schwarz-Rot bestätigte, gilt die Partei als gespalten. Einige Genossen fürchten eine zu konservative Ausrichtung der Landesregierung unter anderem in der Innen- und Integrationspolitik. Berlins Juso-Vorsitzende Sinem Taşan-Funke sagte der Deutschen Presse-Agentur, das am Sonntag bekanntgegebene Ergebnis des Mitgliedervotums sei denkbar knapp. Es sei aber klar, dass es zu akzeptieren sei. »Wir Jusos werden das Regierungshandeln der SPD weiter kritisch-solidarisch begleiten«, kündigte sie an.
Vernunftehe statt Liebesheirat
Wegner sieht die Koalition mit der SPD als Vernunftehe. Es sei keine Liebesheirat, sagte er und griff damit eine Formulierung des SPD-Landesvorsitzenden Saleh auf. »Stimmt. Aber das muss es auch gar nicht sein.« Eine Zwangsheirat wie Rot-Grün-Rot sei es jedenfalls nicht. Es gehe um Vernunft im Wohnungsbau genauso wie in der Verkehrspolitik.
Es besser zu machen als Rot-Grün-Rot ist für ihn insgesamt der Anspruch: »Ich werde jeden Tag hart daran arbeiten, dass Berlin besser funktioniert«, sagte Wegner. »Und ich will dafür sorgen, dass unsere Kinder auch in Zukunft sagen können: «Berlin - was für eine geile Stadt.» Auf an die Arbeit.«
Eine Hürde ist noch zu nehmen: Am Donnerstag soll Wegner im Plenarsaal des Landesparlaments zum Regierenden Bürgermeister gewählt werden. Ob alle Abgeordneten aus der CDU und SPD für ihn stimmen, gilt nicht als sicher.
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