Nur einen Monat vor der hessischen Landtagswahl sieht sich die SPD-Spitzenkandidatin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, erneut mit einem Vorwurf aus dem vergangenen Jahr konfrontiert. Voreilig soll sie den damaligen Cybersicherheitschef entlassen haben. Dass sie den Abgeordneten im Innenausschuss dazu bisher nicht persönlich Rede und Antwort stehen will, skandalisiert die Opposition im Bundestag.
Doch auch aus den Reihen der Koalitionspartner ist vereinzelt Kritik zu hören, vor allem als Faeser am Donnerstag zum zweiten Mal innerhalb einer Woche nicht persönlich bei einer Sitzung des Innenausschusses in Berlin zum Thema erscheint.
Hessens CDU betont, die Wähler »haben ein Recht darauf zu erfahren, wer zur Wahl steht, und der Deutsche Bundestag hat den Auftrag, die Regierung zu kontrollieren«. Beides verhindere Faeser mit ihrem Verhalten. Sie müsse aufklären und »nicht weiter abtauchen«.
Aufgetaucht ist die Ministerin dann am Donnerstag, allerdings nicht im Ausschuss, sondern im Plenum des Bundestages, wo sie in ihrer Rede zum Etat ihres Ministeriums für das kommende Jahr zum Gegenschlag ausholt. »Ja, es stimmt leider, in diesem Haushalt geht es viel ums Sparen. Was wir uns aber vor allem sparen sollten, ist Theaterdonner. Ich verstehe ja, dass sie in den kommenden Wochen alles tun werden, um mich mit Dreck zu bewerfen«, sagt Faeser.
Wurde der BSI-Präsident vorschnell abberufen?
Konkret geht es um den Vorwurf der Union, die 53-jährige Juristin habe den früheren Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, 2022 vorschnell von seinem Posten abberufen. Anschließend habe sie dann krampfhaft versucht, dies zu rechtfertigen.
Dass die Ministerin mit dem, was die zuständige Abteilung ihres Hauses bei den disziplinarrechtlichen Vorermittlungen über Schönbohm damals zusammengetragen hatte, wohl unzufrieden war, und angeregt hatte, noch einmal gründlicher zu suchen, geht aus einem internen Vermerk aus dem Bundesinnenministerium hervor, der bereits am Dienstag Thema im Innenausschuss war und nun von »Bild« veröffentlicht wurde. Konkrete Hinweise darauf, dass sie, wie von einigen Kritikern angedeutet wird, den Verfassungsschutz regelrecht auf Schönbohm angesetzt habe, sind aber nicht aufgetaucht. Die Ministerin betont nun am Rednerpult im Plenum, es seien »keine nachrichtendienstlichen Maßnahmen gegen Herrn Schönbohm eingesetzt worden«.
Bevor Schönbohm seinen Posten verlor, hatte sich im Oktober 2022 die Satiresendung »ZDF Magazin Royale« von Jan Böhmermann unter dem Stichwort »#cyberclown« mit dem Behördenleiter beschäftigt. In der Sendung wurde Schönbohm eine zu große Nähe zu einem Verein für Cybersicherheit angelastet, dessen Vereinspräsident nach Ansicht aus Sicherheitskreisen lange kein ausreichendes Problembewusstsein gezeigt hatte, was bestimmte Russland-Kontakte angeht.
Manche meinen, die Ministerin sei nach der Ausstrahlung gleich auf Distanz zu Schönbohm gegangen, um selbst nichts von der Kritik abzubekommen oder weil sie angeblich die Gelegenheit nutzen wollte, einen Behördenleiter auszutauschen, der womöglich ohnehin nicht ganz auf ihrer Wellenlänge lag. Wohlwollendere Stimmen sagen, angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine habe Faeser keine Risiken eingehen wollen und deshalb schnell gehandelt.
Schadenersatz-Klage facht die Debatte an
Schon im Herbst 2022 war die Abberufung Schönbohms von politischen Gegnern scharf kritisiert worden. Dass das Thema jetzt, zu einem für Faeser ungünstigen Zeitpunkt, wieder hochkocht, hat mit einer nun erhobenen Schadenersatz-Klage Schönbohms zu tun. Der ist zwar inzwischen Präsident der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung und damit beruflich und finanziell abgesichert. Doch Schönbohm ging es von Anfang an immer auch um seinen Ruf und darum nachzuweisen, dass das Bundesinnenministerium - so sieht er es zumindest - ihm gegenüber seine beamtenrechtliche Fürsorgepflicht verletzt hat.
Der Fall zeigt, dass ein Amt wie das der Bundesinnenministerin nicht unbedingt hilfreich ist, wenn es darum geht, die Staatskanzlei in Hessen zu erobern. Den SPD-Politikerinnen Manuela Schwesig und Franziska Giffey ist es zwar einst gelungen, aus dem Bundeskabinett an die Spitze einer Landesregierung zu wechseln. Doch beide waren zuvor für das Bundesfamilienministerium verantwortlich. Vielleicht lauern dort weniger Fallstricke als im Innenressort, wo auch die momentan so kontrovers diskutierten Themen Migration und Flüchtlinge angesiedelt sind.
Auf ihre Doppelrolle angesprochen, sagte Faeser diese Woche der Deutschen Presse-Agentur: »Es ist demokratische Normalität, dass man aus Ämtern heraus kandidiert.« Das hätten einst auch Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und deren Nachfolger Olaf Scholz (SPD) getan.
Umfrage sah zuletzt die CDU vorne
Eine deutliche Wechselstimmung in Hessen zeigen die Umfragen vorerst nicht. Laut einer am 25. August veröffentlichten Befragung wäre die CDU, wenn schon am 27. August gewählt worden wäre, auf 31 Prozent gekommen. Die SPD erreichte 20 Prozent, die Grünen 18 Prozent. Die AfD erzielte 15 Prozent, die FDP 6 Prozent. Die Linke hätte mit 3 Prozent den Wiedereinzug in den Landtag verpasst. Wahlumfragen spiegeln aber nur das Meinungsbild zum Zeitpunkt der Befragung wider und sind keine Prognosen auf den Wahlausgang.
Die hessische SPD-Chefin, die zwischen ihren Wohnorten Schwalbach am Taunus und Berlin pendelt, verwies denn auch auf frühere Wahlsiegerinnen, für die es zunächst nicht so rosig ausgesehen hatte. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Saar-Amtskollegin Anke Rehlinger (beide SPD) etwa hätten vor ihren Landtagswahlen 2021 und 2022 erst lange hinten gelegen und dann doch noch gewonnen. Generell seien Wahlkämpfe heute wohl länger offen als früher, sagte Faeser der dpa.
Schon seit fast einem Vierteljahrhundert regiert die CDU in der einstigen roten Hochburg Hessen, seit nahezu zehn Jahren zusammen mit den Grünen. Ministerpräsident Boris Rhein will an der Seite von CDU-Bundeschef Friedrich Merz an diesem Samstag (9. September) in Frankfurt offiziell in die heiße Phase des Wahlkampfs starten.
Der SPD-Auftakt beim Stimmenfang in Hessen war bereits am vergangenen Sonntag mit Faeser und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Auf die Affäre Schönbohm angesprochen, sagt der Generalsekretär der SPD Hessen, Christoph Degen: »Das spielt überhaupt keine Rolle für unseren Wahlkampf. Vielmehr sagt es einiges über die CDU aus, die sich offensichtlich für keine Schlammschlacht zu schade ist.«
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