Zum Auftakt ihres Israel-Besuchs hat Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ein entschlossenes Vorgehen gegen Judenfeindlichkeit in Deutschland gefordert.
»Wir erleben bedauerlicherweise einen Antisemitismus auch in unserem Land, wo man nur sagen kann und muss, wehret den Anfängen«, sagte Bas bei einem Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Wenn sie höre, dass viele junge Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder Angst vor einem Holocaust hätten, »dann sind das Alarmzeichen, die uns sehr, sehr wachsam machen müssen, und wo wir auch mit allen Mitteln, die wir als Rechtsstaat haben, entgegenlenken müssen«.
Bas: »Wir dürfen nicht vergessen«
Bas schrieb in Yad Vashems Gästebuch: »Wir dürfen nicht vergessen. Deutsche haben sechs Millionen Leben ausgelöscht. In tiefer Trauer und Scham denke ich an die Toten.« Aus Deutschlands historischer Schuld erwachse eine besondere Verpflichtung auch für Israels Sicherheit.
Bas sagte, sie empfinde tiefe Scham, »weil Deutsche, unsere Vorfahren, eiskalt die Vernichtung geplant haben und brutal umgesetzt«. Man frage sich immer wieder, »wie konnte das passieren, warum haben nur so wenige geholfen«. Sie dankte Yad Vashem dafür, dass es die Erinnerung wachhalte. Es gebe den Ermordeten »ein Gesicht und einen Namen«.
Es ist der Antrittsbesuch der SPD-Politikerin in Israel. Während ihres Besuchs nimmt sie an Zeremonien zum israelischen Holocaust-Gedenktag teil, der am Mittwochabend offiziell beginnt.
161.400 Holocaust-Überlebende in Israel
Bas besuchte gemeinsam mit ihrem israelischen Amtskollegen Mickey Levy das Parlament in Jerusalem. Levy sagte, ihre Teilnahme am Holocaust-Gedenken sei »ein bedeutsamer Ausdruck der besonderen Verbindung zwischen unseren Ländern«. Als erste hochrangige Repräsentantin aus Deutschland wird Bas am Donnerstag einer Zeremonie im Parlament beiwohnen, bei der die Namen von Opfern des Holocaust verlesen werden.
Der israelische Regierungschef Naftali Bennett sagte bei einem Treffen mit Bas: »In den letzten Jahren wurden in Deutschland sehr bedeutsame Schritte für das Holocaust-Gedenken und zur Vertiefung der Beziehungen zwischen beiden Ländern unternommen.« Er würdigte auch »die neue Regierung und meinen Freund, Kanzler Olaf Scholz, der sich sehr für die Erinnerung an den Holocaust einsetzt«.
In Israel leben nach offiziellen Angaben noch 161.400 Holocaust-Überlebende. Das Durchschnittsalter betrage 85,5 Jahre, hieß es. Mehr als 1000 Betroffene seien sogar älter als 100 Jahre.
Bas sagte während ihres Besuchs, sie sei in Gedanken auch bei den Holocaust-Überlebenden, die in der Ukraine leben, »wie es ihnen geht und wie wir ihnen helfen können«. Vor dem Krieg lebten dort nach Angaben der Jewish Claims Conference rund
10.000 Holocaust-Überlebende. Rund 100 Holocaust-Überlebende seien seit Kriegsbeginn aus der Ukraine nach Israel eingewandert. Zudem seien mithilfe der Organisation rund 70 Betroffene nach Deutschland gebracht worden.
© dpa-infocom, dpa:220427-99-60870/6