Im Bundestag ist es zu einer hitzigen Debatte über die Folgen eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts gekommen. Redner der Opposition forderten mehr Zeit bei Gesetzgebungsverfahren.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) sagte, SPD, Grüne und FDP hätten seit der Regierungsübernahme das Parlament zu einem »Ort der Debattenverweigerung und zu einem Ort des Durchpeitschens von Gesetzen« gemacht. Es sei Vertrauen in den Bundestag verloren gegangen. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisierte, die Abgeordnete seien keine Komparsen.
Die Union hatte nach dem vorläufigen Stopp des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) durch das Bundesverfassungsgericht eine Debatte im Bundestag beantragt. Das Gericht hatte Zweifel daran angemeldet, dass die Rechte der Abgeordneten ausreichend gewahrt blieben. »Den Abgeordneten steht nicht nur das Recht zu, im Deutschen Bundestag abzustimmen, sondern auch das Recht zu beraten«, so das Gericht. Der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann hatte wegen des engen Zeitplans im Gesetzgebungsverfahren einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung gestellt.
Das GEG sollte eigentlich heute verabschiedet werden. Nach Plänen der Ampel-Koalition soll es nun nach der Sommerpause, die nach diesem Freitag beginnt, Anfang September beschlossen werden. Es zielt darauf ab, durch einen schrittweisen Austausch von Öl- und Gasheizungen das Heizen in Deutschland klimafreundlicher zu machen.
Die Karlsruher Richter trafen einen Beschluss in einem Eilverfahren. Das Hauptsacheverfahren steht noch an.
»Brauchen viel, viel mehr Nachdenklichkeit«
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel warf der Ampel-Koalition vor, die Bürger über die Kosten des Heizungsgesetzes im Unklaren zu lassen. Mit Blick auf das Tempo des nun ausgebremsten Verfahrens erklärte sie an die Regierungsfraktionen gewandt: »Sie haben Angst vor den Bürgern, vor den eigenen Wählern.« Sie verlangte: »Nutzen Sie die Denkpause, die Ihnen das Bundesverfassungsgericht gegeben hat, und stampfen Sie dieses unsägliche Gesetz komplett ein.«
Till Steffen von den Grünen hielt dagegen. »Es gibt ja Gründe, warum Gesetze manchmal schneller gehen müssen.« In der letzten Sitzungsperiode des Bundestags sei das wegen der Pandemie öfter geschehen. Er plädierte auf Selbstbewusstsein gegenüber dem Bundesverfassungsgericht. Der Bundestag solle selbst ausreichende Fristen gewährleisten.
Bartsch beklagte, Eile in Gesetzgebungsverfahren sei seit vielen Jahren ein Problem. Was der Bundestag in der vergangenen Woche erlebt habe, sei »unserer Demokratie unwürdig« gewesen. »Wir brauchen viel, viel mehr Nachdenklichkeit.«
Heilmann forderte mehr Zeit für Beratungen zu Gesetzgebungsverfahren. Es wäre wichtig, dass sich das Parlament in seinem Tempo beschränke. »Wir brauchen ein Tempolimit.« In der jetzigen Art und Weise könne man nicht weitermachen. Heilmann appellierte daran, dass das Parlament engere, verbindlichere Vorschriften zu zeitlichen Abläufen umsetze. Natürlich müsse es Ausnahmen geben. Man dürfe aber nicht warten, bis das Verfassungsgericht dem Bundestag Vorschriften zur Geschäftsordnung mache.
»Missachtung des Parlaments«
Merz sagte, im jahrzehntelangen Durchschnitt der Arbeit des Bundestages sei etwa jedes sechste Gesetz mit Fristverkürzung beschlossen worden. In diesem Jahr seien aber drei von vier Gesetzen der Koalition nicht mehr mit der Einhaltung der gesetzlich und geschäftsordnungsmäßig vorgesehenen Fristen beraten worden. »Dies ist eine Missachtung des Parlaments, wie es sie in dieser Dimension in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben hat.«
Der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle sagte, das Verfahren beim Heizungsgesetz habe zur Verunsicherung beigetragen. Das müsse man selbstkritisch sagen. Es sei nun richtig, keine Sondersitzung im Sommer zu machen. Die Grünen-Politikerin Julia Verlinden sagte, beim Heizungsgesetz habe es mitnichten eine Fristverkürzung gegeben. Sie war der Union Populismus vor.
Merz kritisierte, die Ampel wolle das Gesetz in unveränderter Form auf die Tagesordnung im September setzen. Das sei ein »weiterer Ausdruck von Respektlosigkeit und Ignoranz« dem Bundestag gegenüber. Die Union will einen Neustart beim Heizungsgesetz. Er bot der Koalition an, über die Sommerpause in aller Ruhe darüber nachzudenken, wie das Vertrauen der Bevölkerung in den Bundestag wieder gestärkt werden könne.
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) verlangte von der Ampel-Koalition mehr Respekt gegenüber den Bundesländern. »Wir müssen zurückkehren zu einem respektvollen Umgang miteinander, bei dem die Rechte der Verfassungsorgane geachtet werden«, sagte der CDU-Politiker im Bundesrat. Auch der Bundesrat müsse immer mehr Gesetzesvorlagen in verkürzten Verfahren beraten, kritisierte Rhein. Dies treffe inzwischen auf nahezu die Hälfte aller Vorlagen zu.
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