Neuer Ärger für die Tories: Nach dem Rücktritt seines Ministers Gavin Williamson wegen Mobbingvorwürfen ist der britische Premierminister Rishi Sunak am Mittwoch in die Defensive geraten. Vorwürfe, er habe Williamson trotz Kenntnis der Vorwürfe ins Kabinett berufen, wies Sunak bei der wöchentlichen Fragestunde im Unterhaus zurück. »Ich wusste nichts über irgendwelche konkreten Bedenken«, sagte Sunak. Den Rücktritt des Staatsministers bezeichnete er angesichts der Vorwürfe jedoch als angemessen. Labour-Chef Keir Starmer warf dem Premier Führungsschwäche vor.
Williamson, der ohne Ressort am Kabinettstisch saß, hatte am Dienstagabend seinen Hut genommen. Zuvor waren verschiedene Mobbingvorwürfe gegen den konservativen Politiker erhoben worden.
Laut von der Zeitung »Sunday Times« veröffentlichten Whatsapp-Nachrichten hatte Williamson etwa versucht, mit teils derber Ausdrucksweise und Drohungen die frühere konservative Fraktionsvorsitzende Wendy Morton unter Druck zu setzen. Berichten zufolge wollte Williamson damit erreichen, nach dem Tod von Queen Elizabeth II. eine Einladung für die Trauerfeier im September zu erhalten.
Sunak hatte die Textnachrichten bereits vor Tagen als inakzeptabel bezeichnet, betonte aber, er wolle das Ergebnis einer internen Untersuchung abwarten. Als weitere Vorwürfe bekannt wurden, zog Williamson selbst die Reißleine.
Williams weist Vorwürfe zurück
Unter anderem warf ein ehemaliger Mitarbeiter Williamson vor, ihm nahegelegt zu haben, »sich die Kehle durchzuschneiden« und »aus dem Fenster zu springen«. In seinem Rücktrittsschreiben stritt der Staatsminister die Vorwürfe ab. »Ich weise die Darstellungen in diesen Vorwürfen zurück, aber ich erkenne an, dass sie von der guten Arbeit ablenken, die diese Regierung für das britische Volk macht«, schrieb Williamson in dem Brief an den Regierungschef.
Der Rücktritt des Staatsministers nährt Zweifel, ob Sunak in der Lage ist, seine zuletzt völlig zerstrittene und im Chaos versinkende konservative Regierungspartei in ruhigere Fahrwasser zu steuern. Er hatte das Amt des Premiers erst vor zwei Wochen von Liz Truss übernommen, die nach nur sieben Wochen im Amt von ihrer eigenen Fraktion zum Rücktritt gezwungen worden war. Truss wiederum hatte erst Anfang September die Nachfolge des wegen zahlreicher Skandale gestürzten Boris Johnson angetreten.
Für Rishi Sunak kommt die Mobbing-Affäre zur Unzeit, weil er am 17. November seine Pläne vorstellen will, mit denen das teilweise von seiner Vorgängerin verursachte Milliardenloch im Haushalt gestopft werden soll. Doch es kommen noch andere Probleme hinzu.
Auch Kritik an Braverman
Auch die Kritik an Innenministerin Suella Braverman will nicht abreißen. Die Politikerin, die zum rechtskonservativen Flügel der Partei gehört, stößt mit ihrem unbarmherzigen Vorgehen gegen Migranten auf immer stärkeren Widerspruch. Zuletzt machte eine hoffnungslos überfüllte Erstaufnahmeeinrichtung am Ärmelkanal Schlagzeilen. Der konservative Abgeordnete, in dessen Wahlkreis sich das Flüchtlingsheim befindet, spekulierte in Fernsehinterviews, die miserablen Zustände dort könnten von der Regierung absichtlich herbeigeführt worden sein. Es gilt nicht als ausgeschlossen, dass Braverman ebenfalls bald aus dem Kabinett ausscheidet.
Hinzu kommt ein für Sunak unangenehmer Bericht über die Geschäftsinteressen seiner schwerreichen Frau. Wie der »Guardian« am Wochenende berichtete, soll die indische IT-Firma Infosys, an der Sunaks Frau Anteile hält, entgegen anderslautender Ankündigungen weiterhin in Russland Geschäfte machen. Auf die Frage einer Journalistin des Nachrichtensenders Sky News, ob seine Familie finanziell von der Regierung des Kreml-Herrschers Wladimir Putin profitiere, entgegnete Sunak lediglich: »Ich denke nicht, dass das der Fall ist.« Doch dass die Sache damit erledigt ist, gilt als fraglich.
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