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Briten schicken Asylsuchende nach Ruanda

Mithilfe eines umstrittenen Pakts mit Ruanda will Großbritannien illegal eingereiste Migranten auf Distanz halten. Schon bald sollen die ersten Asylsuchenden im Flieger nach Kigali sitzen. Auch in Ruanda laufen die Vorbereitungen.

Protest in Großbritannien
Demonstranten protestieren in einem Abschiebezentrum in Gatwick gegen das Vorhaben, Migranten nach Ruanda zu schicken. Foto: Victoria Jones
Demonstranten protestieren in einem Abschiebezentrum in Gatwick gegen das Vorhaben, Migranten nach Ruanda zu schicken.
Foto: Victoria Jones

Zwischen dem Londoner Regierungsviertel Westminster und Kigali, der Hauptstadt von Ruanda, liegen rund 6600 Kilometer. So viel Distanz will die britische Regierung zwischen sich und jene Asylbewerber bringen, die auf illegalem Wege nach Großbritannien eingereist sind.

Ein Pakt mit dem ostafrikanischen Land, das gegen entsprechende Zahlungen die Flüchtenden aufnehmen soll, ist die letzte Hoffnung der konservativen Regierung von Boris Johnson, der seinen Wählern mit dem Brexit versprochen hat, die Kontrolle über die eigenen Grenzen zurückzugewinnen.

Am Dienstag (14. Juni) soll nach Plänen der britischen Regierung nun der erste Flieger mit Asylsuchenden an Bord Richtung Ruanda abheben. London erhofft sich davon auch Abschreckung, um andere Hilfesuchende, die oft aus dem Iran, Irak oder Eritrea stammen, von der Flucht ins Vereinigte Königreich abzuhalten.

UN-Flüchtlingshilfswerk empört

Die britische Innenministerin Priti Patel hatte ihren Ruanda-Pakt im Frühjahr verkündet. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und viele andere reagierten empört und verwiesen darauf, die Briten könnten sich nicht von ihrer Pflicht freikaufen, Hilfesuchende aufzunehmen.

Ähnlich sieht es der ruandische Oppositionspolitiker und ehemalige Präsidentschaftskandidat Frank Habineza. »Die reichen Länder sollten ihre Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen nicht auf Drittländer abschieben, nur weil sie das Geld haben, Einfluss auszuüben und ihren Willen durchzusetzen«, kritisierte er. Der kleine Staat an den Großen Seen gehöre bereits zu den besonders dicht bevölkerten Ländern Afrikas - mit Konflikten um Landbesitz und Rohstoffe. Die Aufnahme von Migranten aus Großbritannien werde die Probleme verstärken, befürchtet Habineza.

Mehrere Flüchtlingsorganisationen und eine Gewerkschaft der Grenzbeamten haben im Namen der Betroffenen gegen den Plan der britischen Regierung geklagt. Es gebe keinerlei Belege dafür, dass die Betroffenen in Ruanda ein sicheres Asylverfahren zu erwarten hätten, sagte Raza Husain, Anwalt der Kläger, am Freitag bei einer Anhörung in London.

Gerichte genehmigen Flug

In erster Instanz erhielt die Regierung am Freitagabend grünes Licht für den Flug. Ein Berufungsgericht bestätigte am Montag dieses Urteil. Die Zahl der vorgesehenen Passagiere schrumpfte kurz vorher Berichten zufolge allerdings immer weiter zusammen. Der BBC zufolge sollten nur noch gut zehn Asylsuchende ausgeflogen werden, bei vielen anderen sollen Einsprüche erfolgreich gewesen sein.

»Dieser Ruanda-Deal ist absolut falsch«, sagte der Chef des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), Filippo Grandi, am Montag in Genf. Es dürfe nicht sein, dass ein Land, dass die nötigen Mittel für Asylabklärungen hat, solche Prüfungen auslagere. Ruanda habe gar nicht die Strukturen dafür und habe das UNHCR um Hilfe gebeten, sagte Grandi. »Dies macht meine Arbeit umso schwerer«, sagte Grandi. Das habe er Patel auch direkt gesagt. Viele Länder in Afrika und anderswo nähmen Flüchtlinge auf. »Was soll ich ihnen sagen, wenn ein reiches Land Flüchtlinge ins Ausland schickt?« sagte Grandi. »Sie könnten sagen, dann machen sie das künftig auch. (...) Dieser Plan ist ein katastrophaler Präzedenzfall.« Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verwies auf Menschenrechtsverletzungen in Ruanda, das von Langzeitpräsident Paul Kagame mit strenger Hand geführt wird.

Angeblich auch Kronprinz unzufrieden

Sogar Thronfolger Prinz Charles, der in Kürze zu einer Commonwealth-Veranstaltung nach Ruanda reisen wird, soll in privaten Gesprächen seinen Unmut geäußert und die Pläne der britischen Regierung als »erschreckend« bezeichnet haben, wie die »Times« am Samstag unter Berufung auf Insider-Quellen berichtete. Seine Residenz Clarence House erklärte auf Anfrage der Zeitung, der Prinz sei politisch neutral - dementierte die Äußerung jedoch auch nicht.

Das britische Innenministerium hingegen ist überzeugt, das Richtige zu tun. Es gebe ein »großes öffentliches Interesse daran, diese Abschiebungen wie geplant durchzuführen«, hieß es in einer Stellungnahme der Anwälte des Ministeriums. Migrationsexperte Jonathan Portes ist davon nicht überzeugt. Die Briten machten sich derzeit Sorgen über die Lebenshaltungskostenkrise und andere Fragen. Migration komme erst »sehr weit unten auf der Liste«, sagte Portes.

Ruanda erhält Millionen

Doch wie bereitet sich Ruanda auf die Neuankömmlinge vor? Im Mai präsentierte die Regierung bereits die künftigen Unterkünfte der Asylsuchenden: Ein frisch renoviertes Hotel mit Pool etwa und eine Reihenhaussiedlung, in der zuvor Überlebende des Völkermords von 1994 untergebracht waren. Die bisherigen Bewohner der schmucken Häuschen mit roten Ziegeldächern mussten sich eine neue Bleibe suchen.

Ruanda hatte von Großbritannien zunächst 120 Millionen Pfund erhalten, außerdem soll es Geld für Verpflegung und Ausbildung geben, denn die Flüchtlinge werden in Ruanda das Recht zum Arbeiten haben. In Kigali löst das gemischte Gefühle aus: Manche glauben, die Flüchtlinge werden eine unwillkommene Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sein, andere sehen sie als Devisenbringer und mögliche Kunden oder Geschäftspartner. Bugirainfura Rachid, Betreiber eines kleinen Supermarkts im Stadtviertel Gasabo, in dem die Flüchtlinge untergebracht werden, freut sich auf die Ankömmlinge: »Diese Leute werden Geld in unsere Wirtschaft bringen«, ist er sicher. »Ich denke, dass sie mich als Kunden meines Geschäfts unterstützen werden.«

Ein anderer Anwohner sieht Probleme aufziehen: Die Ankömmlinge seien nicht vertraut mit der ruandischen Kultur, beherrschten nicht die Sprache und ihre Integration werde schwierig sein. Andere kritisieren nicht nur den Flüchtlingsdeal, sondern fürchten ein Verstummen, wenn es um Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Ruanda geht. Großbritannien gehöre zu den großen Geberländern - und mit dem Abkommen habe sich womöglich nicht nur das Königreich von unerwünschten Flüchtlingen freigekauft, sondern auch Ruanda von zuvor geäußerter Kritik, meint etwa Ntakandi Benjamin. »Diese Art Abkommen gibt der Regierung eine Art Schutz davor, verantwortlich gemacht zu werden.«

© dpa-infocom, dpa:220613-99-651931/2