US-Präsident Joe Biden hat Deutschland bei seinem Abschieds-Besuch in Berlin als »engsten und wichtigsten Verbündeten« der Vereinigten Staaten gewürdigt. Er dankte der Bundesregierung für die Unterstützung der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland, aber auch für den Kampf gegen Antisemitismus und für eine klare Haltung gegenüber dem Iran. An Bundeskanzler Olaf Scholz gerichtet sagte er: »Ich will Dir für Deine Freundschaft danken.«
Biden und Scholz versicherten der Ukraine in kurzen Statements vor ihrem Gespräch gemeinsam ihre Solidarität. »Amerika und Deutschland sind die beiden größten Unterstützer der Ukraine«, sagte Biden. Das Land steuere nun auf einen harten Winter zu. Die Verbündeten müssten daher ihre Anstrengungen und Hilfen dringend aufrechterhalten. Scholz sagte, Putin habe sich verrechnet, er könne diesen Krieg nicht aussitzen.
Kein Wort zum »Siegesplan« Selenskyjs
Auf den »Siegesplan« des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gingen die beiden öffentlich aber nicht ein. Den zentralen Forderungen Selenskyjs - bedingungslose Einladung in die Nato und Krieg auch auf russischem Territorium und mit weitreichenden westlichen Waffen - stehen beide ablehnend gegenüber. Scholz hatte beim EU-Gipfel in Brüssel am Donnerstag sehr klar gesagt, dass sich seine Haltung nicht ändern werde.
Bei seiner Begegnung mit Biden betonte Scholz, dass die Nato nicht in den Krieg hineingezogen werden dürfe. »Unsere Haltung ist klar: Wir unterstützen die Ukraine so kraftvoll wie möglich. Gleichzeitig tragen wir Sorge dafür, dass die Nato nicht zur Kriegspartei wird, damit dieser Krieg nicht in eine noch viel größere Katastrophe mündet«, sagte er. »Diese Verantwortung ist uns sehr bewusst und niemand kann sie uns abnehmen.«
»Komplette Übereinstimmung« bei Vierer-Gipfel
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine war neben dem Nahostkonflikt und dem Iran auch das Hauptthema eines zweieinhalbstündigen Vierer-Gipfels im 8. Stock des Kanzleramts, zu dem der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer am Nachmittag dazu kamen.
Biden sprach anschließend von einem guten Treffen und »kompletter Übereinstimmung« in der Runde. Starmer sagte: »Wir sind uns absolut einig in unserer Entschlossenheit, und wir unterstützen die Ukraine, so lange es nötig ist.«
In einer Mitteilung im Anschluss an das Treffen hieß es, die vier Staats- und Regierungschefs hätten Pläne zur Hilfe für die Ukraine erörtert und Selenskyjs »Siegesplan« diskutiert. Man wolle die Ukraine weiterhin bei ihren Anstrengungen unterstützen, auf der Grundlage des Völkerrechts »einen gerechten und dauerhaften Frieden sicherzustellen«.
Biden, Macron, Starmer und Scholz sprachen demnach auch über die Notwendigkeit, den Gaza-Krieg zu beenden und die israelischen Geiseln zurück zu ihren Familien zu bringen. Sie verurteilten erneut »den zur Eskalation beitragenden Angriff Irans auf Israel« und stimmten sich über Bemühungen ab, Iran zur Verantwortung zu ziehen und weitere Eskalation zu vermeiden. Im Libanon müsse auf »eine diplomatische Lösung hingearbeitet werden«.
Nahost: Hoffnung auf Waffenstillstand
Das Thema Nahost rückte bei dem Treffen von Scholz und Biden höher auf die Agenda, nachdem Israel am Vortag verkündet hatte, der Anführer der Hamas, Jihia al-Sinwar, sei im Gazastreifen getötet worden. Biden rief einmal mehr dazu auf, diese Entwicklung zum Anlass nehmen, einen Weg zum Frieden und zu einer besseren Zukunft in Gaza zu suchen.
Auch Scholz sagte, mit Sinwars Tod eröffne »sich jetzt hoffentlich die konkrete Aussicht auf einen Waffenstillstand in Gaza, auf ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln der Hamas«. Ob sich die Hoffnungen auf eine Deeskalation nach Monaten des Kriegs mit der Hamas in Gaza und der mit ihr verbündeten Hisbollah im Libanon wirklich erfüllen, ist aber fraglich.
Stippvisite statt Staatsbesuch: 20 Stunden Berlin
Gut drei Monate vor dem Ende seiner Amtszeit war es der erste und zugleich letzte bilaterale Besuch Bidens in Deutschland. Zuvor war er nur 2022 beim G7-Gipfel im bayerischen Elmau und mit seiner Air Force One zum Tanken auf dem US-Stützpunkt Ramstein gewesen.
Der 81-Jährige wollte ursprünglich schon eine Woche zuvor nach Berlin reisen, sagte den Trip aber kurzfristig ab - wegen eines Hurrikans, der zu der Zeit auf die Südostküste der USA zusteuerte. Im zweiten Versuch hat es nun geklappt, aber in abgespeckter Form. Aus dem Staatsbesuch mit allen protokollarischen Ehren und einem Ukraine-Solidaritätsgipfel im rheinland-pfälzischen Ramstein wurde eine Stippvisite von nur etwa 20 Stunden in Berlin.
Militärische Ehren mit Verspätung
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier begrüßte Biden gegen 10.30 Uhr mit einer halben Stunde Verspätung am Schloss Bellevue. Gemeinsam schritten die beiden die Ehrenformation der Bundeswehr ab. Anschließend verlieh Steinmeier ihm im Schloss den höchsten Orden, den Deutschland zu vergeben hat - die »Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik«. Von den 14 US-Präsidenten, die seit Bestehen der Bundesrepublik regiert haben, wurde bisher sonst nur George Bush senior damit geehrt.
Scholz und Habeck können nicht zum Empfang
Unter den etwa 70 Gästen beim Empfang waren Ministerpräsidenten, Wirtschaftsbosse und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Kanzler Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und andere Kabinettsmitglieder, die dem Bundestag angehören, fehlten. Sie mussten stattdessen zur namentlichen Abstimmung über das Sicherheitspaket in den Bundestag.
Dafür traf Biden im Bellevue auf die 102 Jahre alte Holocaust-Überlebende Margot Friedländer - ein besonderer Moment des Besuches. Ursprünglich wollte der Präsident auch das Holocaust-Mahnmal neben der US-Botschaft am Brandenburger Tor besuchen. Durch die Verkürzung der Visite entfiel aber auch dieser Termin. Biden dankte der Bundesregierung für den Einsatz gegen Antisemitismus und Extremismus. Demokratische Verbündete müssten stets wachsam bleiben gegenüber Hass und »alten Geistern in neuen Gewändern«.
»Jahrzehntelange Leidenschaft für das transatlantische Bündnis«
Bei der Ordensverleihung würdigte Steinmeier Bidens »jahrzehntelange Leidenschaft für das transatlantische Bündnis«, seine »herausragende politische Führung in diesem gefährlichen Moment Europas«, seine Aufrichtigkeit und seinen Anstand.
Biden bedankte sich anschließend nicht nur beim Bundespräsidenten, sondern auch bei der Bundesregierung. »Die deutsche Führung hatte die Weisheit, einen Wendepunkt in der Geschichte zu erkennen«, sagte er mit Blick auf die massiven deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine. Besonders hob er den Einsatz des Kanzlers heraus. Unter Scholz' Führung sei Deutschland aufgestanden und habe sich dem Augenblick gestellt. An den Kanzler gerichtet sagte der US-Präsident: »Sie haben die Entschlossenheit aufgebracht, die deutsche Außenpolitik auf die neuen Realitäten einzustellen und der Ukraine stark und unerschütterlich zur Seite zu stehen.«
Scholz verliert wichtigsten internationalen Verbündeten
Für den innenpolitisch unter Druck stehenden Kanzler, von dem selbst die eigenen Leute in der SPD mehr Führung erwarten, ist das eine Genugtuung. Biden war für ihn in den vergangenen Jahren der engste Verbündete auf dem internationalen Parkett - während es mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron nicht so richtig funktionierte. Der Kanzler würdigte Biden auf Englisch als »Freund Deutschlands, als Freund Europas und vor allem als meinen Freund«.
Die Freundschaft wird vielleicht bleiben. Auf der internationalen Bühne verliert Scholz im Januar aber seinen wichtigsten Verbündeten. Dann scheidet Biden aus dem Amt. Und was danach kommt, steht noch in den Sternen.
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