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Biden in Irland: Wirtschaftspotenzial nutzen

Ein Vierteljahrhundert nach dem historischen Friedensschluss leidet Nordirland unter Spannungen und politischer Lähmung. US-Präsident Biden bemüht sich bei einem Besuch dort um Aufbruchstimmung.

US-Präsident Biden
US-Präsident Joe Biden (l) und Micheal Martin, stellvertretender Premierminister von Irland, am Carlingford Castle. Foto: Brian Lawless
US-Präsident Joe Biden (l) und Micheal Martin, stellvertretender Premierminister von Irland, am Carlingford Castle.
Foto: Brian Lawless

25 Jahre nach dem Abschluss des Karfreitagsabkommens in Nordirland hat US-Präsident Joe Biden bei einem Besuch in Belfast an die Menschen in der früheren Unruheregion appelliert, den Frieden zu wahren und das Wirtschaftspotenzial der Provinz auszuschöpfen. »Frieden und Wohlstand gehören zusammen«, sagte Biden am Mittwoch bei einer Ansprache an der Ulster Universität in der nordirischen Hauptstadt Belfast. »Erhalten Sie den Frieden aufrecht, setzen Sie dieses unglaubliche wirtschaftliche Potenzial frei, das sich gerade erst auftut«, mahnte er und sagte zu, die USA stünden beim Aufbau der Zukunft weiter an der Seite des britischen Landesteiles.

Das Karfreitagsabkommen von 1998 beendete den jahrzehntelangen blutigen Konflikt zwischen mehrheitlich katholischen Befürwortern der Vereinigung beider Teile Irlands und den überwiegend protestantischen Anhängern der Union Nordirlands mit Großbritannien.

Biden würdigte in Belfast den Mut und die Entschlossenheit der Menschen in Nordirland. »Im Rückblick vergessen wir, wie hart erarbeitet und wie erstaunlich der Frieden damals war«, sagte der Demokrat. Die USA hatten beim Zustandekommen des historischen Friedensschlusses eine wichtige Vermittlerrolle gespielt.

Biden sieht gemeinsame Zukunft

»Ihre Geschichte ist unsere Geschichte«, sagte Biden an die Menschen in Nordirland gewandt. »Aber was noch wichtiger ist: Ihre Zukunft ist Amerikas Zukunft.« Das Bruttoinlandsprodukt Nordirlands habe sich seit dem Friedensschluss 1998 verdoppelt. »Ich sage voraus, dass es sich verdreifachen wird, wenn sich die Dinge weiter in die richtige Richtung bewegen.« Viele amerikanische Unternehmen seien interessiert daran, in Nordirland zu investieren. Und den Frieden in der früheren Unruheprovinz zu bewahren, sei eine Priorität für beide Parteien in den USA. Derlei Einigkeit sei heutzutage eine Seltenheit in der US-Politik. »Es ist uns, den Amerikanern, und mir persönlich wichtig«, sagte Biden, der stolz auf seine irische Herkunft ist.

Der US-Präsident rief dazu auf, das 25. Jubiläum des Abkommens zu feiern mit einem Bekenntnis zu Erneuerung und dazu, Schäden aus der Vergangenheit zu reparieren. Biden bemühte sich bei seiner Rede, Aufbruchstimmung zu verbreiten. Dort wo einst Stacheldraht die Stadt geteilt habe, stehe heute die Ulster Universität als Kathedrale des Lernens. Belfast sei heute ein Ort für Handel, Kunst, Inspiration. »Die Dividenden des Friedens sind überall um uns herum.«

Auch ein Vierteljahrhundert nach dem Abschluss des Karfreitagsabkommens hat die Region aber noch immer mit Spannungen zu kämpfen. In Belfast und Londonderry, das Katholiken nur Derry nennen, leben Katholiken und Protestanten noch immer in unterschiedlichen Stadtvierteln - getrennt durch meterhohe Mauern und Zäune, sogenannte »peace walls«. Selbst Kindergärten und Schulen sind nach Konfessionen getrennt. Kurz vor dem Biden-Besuch kam es vereinzelt zu Ausschreitungen, bei denen ein Polizeiauto in Brand gesetzt wurde.

Politische Lähmung hält an

Die Provinz leidet wegen des Streits über die Brexit-Regeln für Nordirland auch seit mehr als einem Jahr unter politischer Lähmung. Daran änderte auch die Ende Februar von London und Brüssel geschlossene sogenannte Windsor-Vereinbarung zur Beilegung des Streits nichts. Die protestantisch-unionistische Partei DUP gibt sich stur und fordert weitere Zugeständnisse. Die beiden jeweils größten Parteien aus beiden konfessionellen Lagern müssen sich dem Karfreitagsabkommen zufolge auf eine Regierungsbildung in Nordirland einigen, sonst bleibt die Selbstverwaltung handlungsunfähig. Nicht einmal das Regionalparlament kann zusammentreten.

Biden lobte die Vereinbarung zwischen London und Brüssel und rief die Parteien in Nordirland dazu auf, wieder in eine gemeinsame Regierung einzutreten. Er betonte aber, dies sei eine Entscheidung der beteiligten Parteien. Mit Blick auf ein Treffen mit den Chefs der wichtigen nordirischen Parteien betonte Biden auch, er wolle zuhören. Dass der US-Präsident einen Durchbruch bewirken könnte, hatte ohnehin kaum jemand geglaubt.

Biden traf sich bei seinem Besuch in Belfast auch mit dem britischen Premier Rishi Sunak. Von der britischen Regierung hieß es im Anschluss, beide hätten ihre Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass Parlament und Regierung in Nordirland so bald wie möglich wieder funktionsfähig werden. Zu Bidens Rede an der Universität blieb Sunak nicht.

Biden reiste direkt nach der Rede in Belfast weiter nach Irland. Dort sind mehrere Stopps vorgesehen: Neben politischen Gesprächen in der irischen Hauptstadt Dublin plant der Demokrat Besuche an verschiedenen Orten im Land, aus denen Vorfahren von ihm stammen. Am Mittwoch war zunächst ein Abstecher nach County Louth im Nordosten Irlands geplant. Nach Angaben des Weißen Hauses wird Biden auf dem Trip von seinem Sohn Hunter und seiner Schwester Valerie begleitet. Der 80-Jährige bleibt noch bis Freitag auf der Grünen Insel.

© dpa-infocom, dpa:230411-99-281383/8