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Bewirken die Corona-Impfungen schon etwas?

Etwa jeder Fünfte in Deutschland hat mittlerweile mindestens eine Impfung gegen das Coronavirus bekommen. Bessert sich dadurch die Pandemie-Lage?

Impfung
Eine achtzigjährige wird in einem Impfzentrum gegen das Coronavirus geimpft. Foto: Matthias Bein/dpa-Zentralbild/dpa
Eine achtzigjährige wird in einem Impfzentrum gegen das Coronavirus geimpft. Foto: Matthias Bein/dpa-Zentralbild/dpa

BERLIN. Ende 2020 begannen die Corona-Impfungen, inzwischen haben rund 20 Prozent der etwa 83 Millionen Menschen in Deutschland mindestens eine Dosis bekommen. Etwa jeder Fünfte also, Tendenz steigend.

Auf der anderen Seite sind viele Millionen Menschen noch gänzlich ungeschützt, den zweiten der für den vollen Schutz nötigen Impftermine hatten bisher laut Statistik des Robert Koch-Instituts (RKI) erst etwa 7 Prozent der Bevölkerung. Ebnet Deutschlands Impfkampagne dennoch schon den Weg aus der Pandemie?

»Bei einer Impfquote von 20 Prozent haben wir noch keinen großen, signifikanten Einfluss auf das Infektionsgeschehen, auf die Fallzahlen«, sagt Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Die Erstimpfung biete einen guten Schutz vor schweren Verläufen, aber Ansteckungen seien weiterhin möglich.

Mit den bisherigen Impfungen haben vor allem die Menschen mit dem höchsten Risiko für schwere und tödliche Verläufe einen Schutz: Über-80-Jährige. »In der Gruppe sind die meisten geimpft«, sagt Watzl. Die genaue Impfquote in dem Alter kann das RKI nicht angeben. Klar ist aber: Die Zahl der täglich gemeldeten Toten ist im Vergleich zur zweiten Welle deutlich gesunken. Auch bei den Inzidenzen sehen Fachleute eine Verschiebung hin zu den jüngeren Altersgruppen. Watzl spricht vom »ersten Erfolg der Impfungen«.

Viele gefährdete Menschen sind jedoch weiter ohne Schutz. Um welche Dimension es geht, wird vermutlich gemeinhin unterschätzt: Das RKI sieht wegen Alter und Vorerkrankungen bei 36,5 Millionen Menschen in Deutschland ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19, davon zählt das Institut 21,6 Millionen zur Hochrisikogruppe.

»Bei Menschen über 60 und Menschen mit Vorerkrankungen haben wir gerade erst angefangen zu impfen. Das wird noch eine Weile dauern«, betont Watzl. Den Schutz dieser großen Gruppe aufzubauen, sei in der dritten Welle aber durchaus zu schaffen. Bei einer Impfquote von 70 bis 80 Prozent in den Risikogruppen werde sich die Belegung der Intensivstationen merklich reduzieren, schätzt der Immunologe.

Ein Freifahrtschein für Lockerungen wäre das allerdings noch immer nicht. »Sonst bekommen wir riesige Inzidenzen in der übrigen ungeimpften Bevölkerung«, erklärt Watzl. »Deren Risiko für eine schwere Erkrankung ist ja nicht Null. Bei einer hohen Zahl an Fällen würde es weiter zu einer großen Krankenhausbelegung kommen. Wir können es nicht so laufen lassen.«

Nach der Statistik haben in Deutschland bisher nur gut drei Millionen Menschen die Infektion durchgemacht, wobei Experten von einer recht hohen Dunkelziffer nicht erkannter und damit auch nicht erfasster Fälle ausgehen. Eine durchgemachte Infektion bedeutet zudem nicht, dass die Betroffenen sich nicht neu infizieren - und das Virus weitergeben - können. Eine im Fachblatt »The Lancet Respiratory Medicine« vorgestellte Studie zeigte gerade erst, dass junge Erwachsene nicht komplett vor erneuter Ansteckung geschützt sind. Die Impfung bleibe für Genesene wichtig: um die natürliche Immunreaktion zu verstärken, einer Wiederansteckung vorzubeugen und um die Weitergabe des Erregers zu reduzieren.

Ist erst mal ein großer Impffortschritt erreicht, kann es schnell gehen mit dem Rückgang des Infektionsgeschehens - das zeigen ermutigende Nachrichten aus Ländern mit raschem Impffortschritt wie Israel und Großbritannien. In Israel ist inzwischen mehr als die Hälfte der neun Millionen Einwohner zweifach geimpft. Die Zahl der Corona-Infektionen, der Schwerkranken und der Toten sei inzwischen stark zurückgegangen, twitterte der Forscher Eran Segal vom Weizman Institut kürzlich.

In Großbritannien haben mehr als 32 Millionen Menschen und damit rund die Hälfte der Bevölkerung eine erste Impfung. Die Zahl der Neuinfektionen und Todesfälle sinkt, nachdem Anfang Januar noch eine katastrophale Situation mit 70.000 Neuinfektionen pro Tag verzeichnet wurde. Premierminister Boris Johnson und Mediziner wie Azeem Majeed vom Imperial College London führen das allerdings nicht nur auf die Impfkampagne zurück, sondern auch auf die langen, harten Beschränkungen: Über Monate hinweg durften Briten nur eine Person außer Haus treffen und dies auch nur zum Sport oder Spaziergang; sein Zuhause ohne triftigen Grund zu verlassen, war nicht erlaubt. Reisen ins Ausland und private Treffen in Innenräumen sind bis heute verboten.

Für die Menschen in Deutschland hat die Politik ein Impfangebot für jeden (Kinder ausgenommen) bis zum Ende des Sommers in Aussicht gestellt. Ob das klappt, lässt sich schwer vorhersagen - zu viele Unwägbarkeiten gibt es: Kommen die angekündigten Liefermengen und weiteren Impfstoff-Zulassungen wie erhofft? Was passiert, wenn sich Virusvarianten durchsetzen, gegen die Geimpfte und Genesene nicht optimal geschützt sind? Drohen nach den seltenen Nebenwirkungen bei Astrazeneca weitere unerwartete Rückschläge für die Impfkampagne?

Experten befürchten, dass die seltenen Blutgerinnsel in Hirnvenen ein generelles Problem von Vektorimpfstoffen sein könnten. Auch das Präparat von Johnson & Johnson und der russische Impfstoff Sputnik V könnten dann von Altersbeschränkungen - in Deutschland wird der Einsatz von Astrazeneca nur noch für Menschen ab 60 Jahren empfohlen - betroffen sein. »Ich sehe die Gefahr, dass uns wegen dieser seltenen Nebenwirkungen rund die Hälfte der Impfdosen für die Sommermonate wegbricht«, sagt der Immunologe Watzl. »Dann haben wir für die Unter-60-Jährigen erst einmal noch nicht genügend mRNA-Impfstoffe.« (dpa)