Eine hochrangige Delegation der islamistischen Hamas ist Berichten zufolge für indirekte Verhandlungen mit Israel über eine Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln in Kairo eingetroffen. Wie Kreise am Flughafen der ägyptischen Hauptstadt bestätigten, reisten Vertreter der Hamas am Samstag aus dem Golfemirat Katar an. Auch der staatsnahe ägyptische Fernsehsender Al-Kahira berichtete über das Eintreffen einer Delegation.
Gegenstand der indirekten Verhandlungen, bei denen Ägypten, Katar und die USA vermitteln, ist ein Vorschlag, der die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas sowie die Einstellung der Kampfhandlungen im Gazastreifen seitens Israels in mehreren Phasen vorsieht. Der Schwerpunkt der Gespräche war zuletzt aus Katar nach Ägypten verlegt worden. Laut dem Sender Al-Kahira sollen bei den Gesprächen nun Fortschritte verzeichnet worden sein.
Insgesamt hatten Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Organisationen am 7. Oktober mehr als 250 Menschen in den Gazastreifen verschleppt. Im Laufe einer einwöchigen Feuerpause im Gaza-Krieg Ende November vergangenen Jahres hatte die Hamas 105 Geiseln freigelassen. Im Gegenzug entließ Israel 240 palästinensische Häftlinge aus seinen Gefängnissen. Es war zuletzt befürchtet worden, dass von den noch immer im Gazastreifen vermuteten 133 Geiseln inzwischen viele nicht mehr am Leben sind.
Die Hamas forderte bis zuletzt einen umfassenden Waffenstillstand, einschließlich eines vollständigen Abzugs der israelischen Armee aus dem Gazastreifen. Israel, das die komplette Zerschlagung der Hamas zum Ziel erklärt hat, lehnte dies bisher ab. Außenminister Israel Katz hatte zuletzt erklärt, sein Land sei bereit, den angekündigten Militäreinsatz in der Stadt Rafah zu verschieben, sollte ein Deal zur Freilassung von Geiseln zustande kommen.
Blinken: Schwer zu verstehen, was Hamas denkt
In den Verhandlungen mit Israel ist es nach Einschätzung von US-Außenminister Antony Blinken schwer, die Gedankengänge der Hamas zu durchdringen. Eine der Herausforderungen bestehe darin, »dass die Hamas-Führer, mit denen wir indirekt über die Katarer und die Ägypter in Kontakt stehen, außerhalb des Gazastreifens leben, in Katar oder in der Türkei oder an anderen Orten«, sagte Blinken am späten Freitagabend (Ortszeit) bei einer Veranstaltung in Sedona im US-Bundesstaat Arizona. Die eigentlichen Entscheidungsträger der Hamas wiederum seien »die Leute, die sich im Gazastreifen selbst befinden und mit denen keiner von uns direkten Kontakt hat«. Blinken betonte: »Es ist also eine Herausforderung zu verstehen, was sie denken.« Und es gebe verschiedene Theorien dazu, was die Entscheidungen der Hamas momentan wirklich antreibe.
Israel beschießt Abschussrampen für Raketen im Gazastreifen
Während in Ägypten von Vermittlern zwischen Israel und der Hamas über eine Feuerpause und Geiselfreilassung im Gazastreifen gesprochen wird, hat die israelische Armee nach eigenen Angaben Raketenabschussrampen im Gazastreifen bombardiert. Unter anderem sei eine solche Vorrichtung im Gebiet der südlichen Stadt Chan Junis getroffen worden, von der aus am Freitagabend Raketen Richtung des Kibbuz Ein Haschloscha abgefeuert worden seien, teilte die Armee am Samstag mit.
WHO warnt vor »Blutbad« in Rafah
Die israelische Regierung hatte einen raschen Beginn der Militäroffensive in Rafah im Süden Gazas angekündigt, sollte es nicht zu einer Einigung kommen. Verbündete wie die USA haben Israel wiederholt vor einem großangelegten Angriff auf Rafah gewarnt, weil dort laut der Weltgesundheitsorganisation WHO mehr als 1,2 Millionen palästinensische Zivilisten Schutz suchen. Die an Ägypten grenzende Stadt gilt nach rund sieben Monaten Krieg als einzige in Gaza, die noch vergleichsweise intakt ist. Die WHO warnte vor den Folgen einer Offensive. Die Organisation sei zutiefst besorgt, dass eine großangelegte Militäroperation »zu einem Blutbad führen könnte«, teilte sie am Freitagabend auf X, ehemals Twitter, mit.
Der stellvertretende UN-Sprecher Farhan Haq machte am Freitag unter Berufung auf das UN-Kinderhilfswerk besonders auf das Schicksal der rund 600.000 Kinder in der an Ägypten grenzenden Stadt aufmerksam. Fast alle von ihnen seien »entweder verletzt, krank, unterernährt, traumatisiert oder behindert«. Eine Offensive würde für sie eine weitere Katastrophe bedeuten, sagte Haq. Laut der WHO sind nur ein Drittel der 36 Krankenhäuser im gesamten Gazastreifen noch teilweise funktionsfähig. Drei davon befänden sich in Rafah.
Auslöser des Krieges war das Massaker mit mehr als 1200 Toten, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres in Israel verübt hatten. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive in Gaza. Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer und der katastrophalen humanitären Lage steht Israel international in der Kritik. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde gab die Zahl der seit Kriegsbeginn in Gaza getöteten Menschen zuletzt mit 34 596 an. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Bewaffneten und lässt sich unabhängig kaum überprüfen.
UN werfen Zivilisten Beschädigung von Hilfslieferung vor
Die Vereinten Nationen haben unterdessen israelischen Zivilisten vorgeworfen, für den Gazastreifen bestimmte Hilfsgüter aus Jordanien mutwillig beschädigt zu haben. Der Konvoi habe Lebensmittelpakete, darunter Zucker, Reis, Zusatznahrung und Milchpulver befördert, sagte Haq. Eine begrenzte Menge davon sei am Donnerstag auf der Fahrt durch das Westjordanland von israelischen Zivilisten entladen und beschädigt worden. Auf weitere Hilfslieferungen aus Jordanien werde dieser Vorfall zunächst keine Auswirkungen haben. Die Hilfsgüter seien inzwischen in Gaza angekommen und würden wie geplant verteilt, hieß es.
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