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Befugnisse der bayerischen Verfassungsschützer beanstandet

Verdeckte Ermittler, Ausspähen von Wohnungen, Online-Durchsuchungen - seit 2016 hat Bayerns Verfassungsschutz sehr weitreichende Befugnisse. Zu weitreichend, sagt jetzt das Bundesverfassungsgericht.

Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz
Das bayerische Wappen hängt vor dem Gebäude des bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz in München. Foto: Peter Kneffel
Das bayerische Wappen hängt vor dem Gebäude des bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz in München.
Foto: Peter Kneffel

Die weitreichenden Befugnisse des bayerischen Verfassungsschutzes verstoßen teilweise gegen Grundrechte.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beanstandete am Dienstag eine ganze Reihe von Vorschriften im Verfassungsschutzgesetz des Freistaats, das 2016 auf Bestreben der CSU grundlegend überarbeitet worden war. Betroffen sind unter anderem die Regelungen zum Ausspähen und Abhören von Wohnungen, zur Online-Durchsuchung und zur Handy-Ortung. Sie dürfen bis höchstens Ende Juli 2023 in eingeschränkter Form in Kraft bleiben.

Das Grundgesetz lasse dem Gesetzgeber »substanziellen Raum, den sicherheitspolitischen Herausforderungen auch im Bereich des Verfassungsschutzes Rechnung zu tragen«, sagte Gerichtspräsident Stephan Harbarth bei der Urteilsverkündung. »Zugleich setzt die Verfassung hierbei gehaltvolle grundrechtliche Schranken.«

Das Verfahren angestoßen hatte die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) - um zu verhindern, dass das Beispiel Bayerns bundesweit Schule macht. Die Klage richtete sich unter anderem auch gegen die Regelungen zum Einsatz verdeckter Ermittler und sogenannter V-Leute, zu längeren Observationen und zur Datenübermittlung an andere Behörden. Auch hier gab es jeweils Beanstandungen in dem mehr als 150-seitigen Urteil der Verfassungsrichterinnen und -richter.

Richterin Gabriele Britz, die im Ersten Senat für das Verfahren als Berichterstatterin zuständig war, hatte in der Verhandlung Mitte Dezember gesagt, noch nie seien nachrichtendienstliche Befugnisse in einer solchen Breite angegriffen worden. Dabei ging es jeweils nicht darum, ob das Instrument überhaupt eingesetzt werden darf, sondern um die Frage, unter welchen Bedingungen dieser Einsatz gerechtfertigt ist. Wie groß muss eine Bedrohung sein? Muss ein Richter seine Genehmigung erteilen? Braucht es eine unabhängige Kontrolle?

SPD und FDP für schnelle Reform in Bayern

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts forderten SPD und FDP eine schnelle Gesetzesreform. »Das bayerische Verfassungsschutzgesetz greift unverhältnismäßig tief in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger im Freistaat ein. Die Staatsregierung muss jetzt zeitnah ein verfassungskonformes Gesetz vorlegen und damit Freiheit und Sicherheit in Balance bringen«, sagte FDP-Landtagsfraktionschef Martin Hagen am Dienstag in München. Die Entscheidung der Richter sei ein wichtiges Signal für die Grundrechte - und ein Denkzettel für die CSU.

Auch SPD-Fraktions- und Landeschef Florian von Brunn forderte schnelle Konsequenzen: »Klartext aus Karlsruhe: Das bayerische #Verfassungsschutzgesetz verstößt gegen Verfassung, die es schützen soll. Für ausufernde & verfassungswidrige Überwachung ist die CSU verantwortlich. Deswegen hat sie eine deftige Watschn bekommen. Das Gesetz muss schnell reformiert werden!«, schrieb er beim Kurznachrichtendienst Twitter.

Bundesjustizminister Marco Buschmann drängte nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf eine zügige Beschränkung der Befugnisse auch bei den Sicherheitsbehörden des Bundes. »Die Entscheidung gibt uns deutlichen Rückenwind für das Programm unseres Koalitionsvertrags zur Stärkung der Bürgerrechte«, sagte der FDP-Politiker am Dienstag.

Kläger hatte auf ein Grundsatzurteil gehofft

Die GFF hatte auf ein Grundsatzurteil gehofft, das deutlich über Bayern hinausreicht. Nach ihrer Einschätzung sind die Voraussetzungen für den Einsatz verdeckter Ermittler oder sogenannter V-Leute sowie für längere Observationen in anderen Landesgesetzen und im Bund vergleichbar niedrig. Auch die Regelungen zur Datenübermittlung seien in vielen Ländern ähnlich weit gefasst wie in Bayern.

Verfassungsbeschwerde erheben kann nur, wer »selbst, gegenwärtig und unmittelbar« in eigenen Rechten betroffen ist. Als Kläger hatte die GFF deshalb drei Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) gewonnen, die im bayerischen Verfassungsschutzbericht als »linksextremistisch beeinflusste Organisation« erwähnt wurde.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte 2016 im Landtag gesagt, man müsse den Verfassungsschutz »fit machen für künftige Herausforderungen«: »Der Verfassungsschutz gehört angesichts stürmischer, von Terrorbedrohung und steigendem Rechtsextremismus geprägter Zeiten weiter gestärkt und nicht abgebaut.«

Gegen die umstrittenen Gesetzesänderungen hatte 2017 auch die Landtagsfraktion der Grünen Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Das Verfahren ist noch anhängig.

© dpa-infocom, dpa:220426-99-45970/6