Dieser Landtagswahlabend in Bayern ist in vielerlei Hinsicht eine Zäsur. Für die CSU, weil sie nach ihrer Pleite 2018 erneut ein historisch schlechtes Wahlergebnis verkraften muss. Für Markus Söder, weil er auch nach gut fünf Jahren Regierungszeit als Ministerpräsident nicht zulegen kann. Für AfD und Freie Wähler, die im Gegensatz dazu neue Rekordergebnisse einfahren. Und für die FDP, die nach fünf Jahren - wieder einmal - aus dem Parlament fliegt. Die beiden anderen Ampel-Parteien, Grüne und SPD, verlieren ebenfalls.
»Bayern hat Stabilität gewählt«, sagt Söder in seiner ersten Reaktion. »Und die CSU hat diese Wahl klar gewonnen.« Zum mageren Ergebnis sagt er nur: »Es ging uns nie um einen Schönheitspreis, sondern um einen klaren Regierungsauftrag.« Man wolle nun dafür sorgen, dass ein demokratisches und stabiles Bayern erhalten bleibe.
Für Söder und die CSU hätte es freilich auch noch etwas schlimmer kommen können - manche Umfragen hatten sie zuletzt bei nur 36 Prozent gesehen. Fakt ist aber: Die Christsozialen sind meilenweit von früheren Wahlergebnissen und weit von eigenen Ansprüchen noch aus der jüngeren Vergangenheit entfernt. Das alte Franz-Josef-Strauß-Credo, dass es rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, ist jedenfalls Geschichte.
Plus für Freie Wähler
Die Freien Wähler unter ihrem Vorsitzenden Hubert Aiwanger freuen sich nach den Turbulenzen im Zuge der Flugblatt-Affäre über ein ordentliches Plus - auch wenn sie am Ende nicht die Rekordwerte in manchen Umfragen von bis zu 17 Prozent erreichen. »Ich bin sehr zufrieden«, sagt Aiwanger, spricht von einem »Traumergebnis«.
Er räumt aber ein: »Natürlich hätte man immer noch mehr Wünsche nach oben.« Man habe aber »eine noch radikalere Entwicklung« - und noch größeren Erfolg der AfD verhindert.
Doch das Plus bei der rechtspopulistischen AfD fällt trotzdem noch dicker aus - es ist jedenfalls das dickste Plus dieses bayerischen Wahlabends. Gegen 22.00 Uhr sehen Hochrechnungen von ARD und ZDF die Partei sogar auf Platz zwei hinter der CSU. Der Jubel ist dementsprechend groß. Fraktionschef Ulrich Singer argumentiert: »Das zeigt doch ganz klar, dass wir wirklich starke und gute Arbeit geleistet haben.«
Analyse: CSU verliert in Bayern frühere Ausnahmestellung
Die CSU in Bayern verdankt ihren Sieg bei der Landestagswahl nach einer Analyse Strukturvorteilen, ihrer Sachkompetenz und dem Wunsch nach politischer Kontinuität. Die Traditionspartei habe aber ihre Ausnahmestellung hinsichtlich der Regierungsarbeit, ihres Spitzenkandidat oder auch ihres Ansehens verloren, schrieb die Forschungsgruppe Wahlen in ihrer Wahlauswertung.
Aus Sicht von 52 Prozent der Befragten gelte das auch für »das Gespür für das, was die Bayern wirklich bewegt«. Die AfD und Freien Wähler könnten in Teilen diese Lücke schließen.
Die CSU biete inzwischen Angriffsflächen, schreiben die Wahlforscher. Und: »Zu einem für bayerische Verhältnisse mäßig gutem Parteiimage kommt bei der CSU ein bedingt überzeugender Spitzenkandidat.« Allerdings sei Markus Söder als nächster Regierungschef ohne Konkurrenz. »Dass die CSU klar stärkste Partei bleibt, verdankt sie zunächst relativen Vorteilen.« Sie liege - trotz nicht gleichem Niveau früherer Jahre - beim Ansehen mit plus 1,6 weiter vor allen anderen Parteien.
Bedanken dürfe sich Söder vor allem bei der älteren Generation. »Bei den ab 60-Jährigen holt die CSU 47 Prozent, bei den unter 30-Jährigen liegen CSU (23 Prozent) und Grüne (20 Prozent) nahe beieinander.« Beim Ansehen erreiche Bayerns Ministerpräsident - mit Abstand auch ohne Konkurrenz - auf der +5/-5-Skala einen Wert von plus 1,3.
So geht es für Söder weiter
Auf Söder warten nun mindestens drei Herausforderungen und zwei Fragen. Als allererstes muss er das enttäuschende Ergebnis erklären und verteidigen. Sollte die CSU am Ende tatsächlich unter die 37,2 Prozent von 2018 rutschen, wäre es das zweitschlechteste CSU-Ergebnis nach 1950.
Vieles werden Söder und die CSU auf Solidaritätseffekte mit Aiwanger nach dessen Affäre um ein antisemitisches Flugblatt schieben. Das dürfte auch Söder retten. Zumal es keinen zweiten Söder gibt, der ihm im Nacken sitzt, niemand, der ihm gefährlich wird.
Zweitens muss er nun sehr schnell eine Koalition bilden. Dass CSU und Freie Wähler ihr Bündnis fortsetzen wollen und werden, daran lassen Söder und Aiwanger am Wahlabend keinen Zweifel. Dennoch dürfte es ein Ringen nicht nur um einzelne Inhalte, sondern auch um Posten geben: Wer bekommt wie viele Ministerien - und welche?
Ziel wird sein, die Koalitionsverhandlungen binnen drei Wochen abzuschließen: Bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Landtags, die - das Zeitfenster gibt die Bayerische Verfassung vor - für 30. Oktober geplant ist.
Die dritte, ungleich größere Herausforderung, und vor allem daran wird Söder gemessen werden: Er muss sein Versprechen aus dem Wahlkampfendspurt einlösen, das Land zusammenzuhalten. Oder besser: wieder zusammenzuführen. Viel ist kaputtgegangen in diesem erbittert geführten Wahlkampf der vergangenen Wochen. Das politische Klima scheint so aufgeheizt wie nie - und daran haben auch die CSU und Söder selbst, und vor allem die Freien Wähler einen gehörigen Anteil.
Auch deren Wahlkampf war insgesamt nicht geprägt von Inhalten, sondern von Anfeindungen und Angriffen, insbesondere gegen die Grünen. Unrühmlicher Tiefpunkt im diesem Landtagswahlkampf 2023 war der Steinwurf eines Mannes auf das Grünen-Spitzenduo Katharina Schulze und Ludwig Hartmann. Getroffen oder körperlich verletzt wurde niemand. Das Klima im Land aber hat weiteren Schaden genommen. Ob es Söder nun gelingt, das Wahlkampf-Getöse hinter sich zu lassen und wieder mehr Ministerpräsident für alle statt CSU-Parteichef zu sein?
Die K-Frage
Andererseits stehen im kommenden Jahr schon die nächsten Wahlen an - und wohl eine neue Machtprobe für Söder. Nach der Europawahl und spätestens nach den Wahlen in mehreren Ost-Ländern, bei denen der CDU unter ihrem Bundesvorsitzenden Friedrich Merz empfindliche Pleiten drohen, steht in der Union die Entscheidung über die K-Frage an.
Was, wenn Umfragen dann wieder nahelegen sollten, dass die Union mit Söder als Kanzlerkandidat 2025 doch die besten Siegchancen hätte? Die große Frage ist dann am Ende wohl nicht, ob Söder es nochmal wissen will. Sondern wie er es anstellt.
Und die zweite große Frage ist: Wie richtet Söder die CSU künftig aus? Der konservative Kursschwenk hat der Partei offenbar nichts genutzt - sondern eher die Freien Wähler und vor allem die AfD deutlich gestärkt, getreu dem Motto: Im Zweifel wählen die Menschen dann lieber gleich das Original.
Ist es für Söder dann nicht unklug, diesen Kurs beizubehalten? Ist es nicht unklug, sich dauerhaft so fest an die Freien Wähler zu ketten? Oder muss er die CSU nicht wieder mehr Richtung Mitte-Links öffnen und den Modernisierungskurs, den er zuletzt aufgegeben hatte, wieder neu beleben und fortsetzen?
Und die anderen Parteien?
Die Grünen müssen ihre Hoffnungen schon jetzt auf die Landtagswahl 2028 setzen. Dann dürfte ja, wenn sie bis dahin noch will, Fraktionschefin Katharina Schulze als Ministerpräsidenten-Kandidatin antreten - weil sie dann das in der Bayerischen Verfassung vorgegebene Mindestalter von 40 Jahren erreicht hat. Nicht wenige glauben ja, ein Duell Söder-Schulze wäre auch diesmal etwas spannender gewesen.
Und wie sortiert sich die SPD bis dahin, die unter ihrem neuen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Florian von Brunn wieder nicht über die Zehn-Prozent-Marke hinauskommt? Mehr noch: Die Kanzlerpartei wird im neuen Landtag die kleinste aller nur noch fünf Fraktionen sein.
Und wie präsentiert sich die kräftig gestärkte AfD, in der vergangenen Legislaturperiode tief gespalten, künftig im Landtag?
Die FDP in Bayern wiederum muss sich wieder einmal neu erfinden - und womöglich neu aufstellen. Für Martin Hagen, wiewohl bisher einer der besten Redner im Landtag, könnten die Tage an der Spitze gezählt sein.
© dpa-infocom, dpa:231008-99-490238/6