Außenministerin Annalena Baerbock hat angesichts der Kriegsgräuel in der ukrainischen Stadt Butscha grundsätzliche Bereitschaft zur Lieferung weiterer Waffensysteme an die Ukraine signalisiert.
»Wir sagen nicht Nein, sondern wir schauen uns an, was es für Lösungen gibt. Und zwar gemeinsam als EU, als NATO und vor allen Dingen als G7-Partner«, sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag bei einer internationalen Unterstützer-Konferenz für Moldau in Berlin. Deutschland liefere seit Beginn des russischen Krieges Waffen an die Ukraine - etwa Flugabwehrraketen und Panzerfäuste. »Es gibt nicht viele andere Staaten, die mehr geliefert haben.«
In der öffentlichen Diskussion ist etwa die Lieferung gebrauchter Schützenpanzer vom Typ Marder, die vom Rüstungsunternehmen Rheinmetall für Kriegstauglichkeit aber erst überholt werden müssten.
Die Bundesregierung sehe sich nun Waffensysteme an, die Deutschland bisher noch nicht geliefert habe, sagte Baerbock. »Allerdings hat die Bundeswehr selbst kaum noch welche in den Depots.« Wenn man über alte Waffensysteme rede, müsse berücksichtigt werden, »dass daran auch viele Fragen von Logistik, Ausbildung und Ersatzteilen hängen, - Ersatzteile die es möglicherweise nicht mehr gibt«, sagte die Ministerin. Je älter das System sei, desto schwieriger werde es, diese Fragen zu beantworten.
Angesichts der »Unmenschlichkeit« der Kriegsgräuel in der ukrainischen Stadt Butscha sei ein koordiniertes Vorgehen der G7-Gruppe der führenden Industrienationen nötig, sagte Baerbock. Deutschland hat derzeit deren Vorsitz. Beim Außenministertreffen der NATO-Staaten am Mittwoch in Brüssel werde beraten, wie man die Ukraine noch besser und stärker bei der Verteidigung unterstützen könne. »Genauso wie bei den Sanktionen wirkt auch hier ein gemeinsames Vorgehen am intensivsten.«
Bericht: Tschechien liefert T-72-Kampfpanzer an Ukraine
Vor kurzem hatte die Bundesregierung bereits der Lieferung von 56 Schützenpanzern des modernisierten Typs PbV-501 von Tschechien in die Ukraine zugestimmt. Dies war erforderlich, weil die Fahrzeuge ursprünglich aus Bundeswehrbeständen stammten.
Einem Medienbericht zufolge hat Tschechien der Ukraine nun Kampfpanzer geliefert. Ein Güterzug mit mehreren Dutzend Panzern der sowjetischen Bauart T-72 sowie BMP-1-Schützenpanzern sei bereits am Montag abgefertigt worden, berichtete das Nachrichtenportal »Echo24.cz« am Dienstag. T-72-Panzer wurden in der Zeit des Ostblocks auch in der früheren Tschechoslowakei in Lizenz produziert. Tschechien hatte zuletzt noch rund 90 Exemplare einer älteren, nicht modernisierten Version eingelagert.
Die tschechische Verteidigungsministerin Jana Cernochova zeigte Verständnis für das Interesse der Medien, wollte den Bericht aber nicht direkt bestätigten. »Dort herrscht Krieg und wir wollen den Mördern mit dem Buchstaben Z das Leben nicht einfacher machen«, schrieb sie bei Twitter in Anspielung auf das Invasionssymbol der russischen Armee »Glaubt mir, dass wir unseren ukrainischen Freunden essenzielles militärisches Material schicken - und wir werden damit weitermachen«, fügte die liberalkonservative Politikerin hinzu.
Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine kauft Polen 250 Kampfpanzer aus den USA im Wert von mehr als vier Milliarden Euro. Bei der Unterzeichnung des Vertrags am Dienstag in Warschau verwies Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak auf den Krieg in der Ukraine. »Wir sind uns alle bewusst, was sich hinter unserer östlichen Grenze tut«, sagte Blaszczak. Mit Blick auf Russland fügte er hinzu: »Die Stärkung der polnischen Armee ist eine Aufgabe, die die Regierung konsequent umsetzt, um einen potenziellen Aggressor abzuschrecken.«
Merz: Waffenlieferung muss Chefsache werden
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz verlangte die Lieferung auch schwerer Waffen wie Panzer. »Die Lieferung von Waffen ist zulässig zur Selbstverteidigung dieses Landes. Und sie sollte auch in dem Umfang erfolgen, wie dieses Land sie braucht, und wie es diese auch bedienen kann«, sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag am Dienstag in Berlin. »Ich würde von meiner Seite aus im Augenblick hier keine Unterscheidung treffen wollen«, sagte er auf die Frage, ob er eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Waffentypen vornehme.
»Die Ukraine braucht Waffen, um sich selbst zu verteidigen und auch um die russische Aggression zurückzudrängen«, sagte Merz. »Die Lieferung von Waffen macht Deutschland nicht zum Kombattanten.«
Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, hatte am Morgen im Deutschlandfunk die Zurückhaltung Deutschlands bei Waffenlieferungen kritisiert. »Was wir heute brauchen, sind schwere Waffen, sind Panzer, gepanzerte Wagen, sind Artillerie-Systeme, Mehrfach-Raketenwerfer - das, womit man auch die Gebiete im Süden, im Südosten befreien kann«, sagte er. »Man kann keine Gegenoffensive starten mit einer Panzerfaust, leider.«
Merz sagte, es mehrten sich die Hinweise darauf, dass Deutschland gar nicht die Waffen liefere, die die Bundesregierung behaupte zu liefern. Das Thema müsse Chefsache werden. »Ich möchte den Bundeskanzler von dieser Stelle aus auffordern, das jetzt selbst in die Hand zu nehmen.« Er dürfe diese Frage nicht weiter seinen streitenden Ministerin überlassen.
Medwedew stimmt Russen auf längere Kämpfe ein
Der frühere russische Staatschef Dmitri Medwedew stimmt sein Land auf einen längeren Kampf gegen die Ukraine ein. Präsident Wladimir Putin habe als Ziel die »Demilitarisierung und Entnazifizierung« der Ukraine ausgegeben, schrieb Medwedew am Dienstag auf seinem Telegram-Kanal. »Diese schwierigen Aufgaben sind nicht auf die Schnelle zu erfüllen.«
Russland hat den Angriff auf die Ukraine am 24. Februar unter anderem mit einer »Entnazifizierung« des Landes begründet - ein aus Sicht von vielen Experten unhaltbarer Vorwand.
Noch schärfer als Putin in seinen öffentlichen Äußerungen setzte Medwedew die Ukraine mit dem nationalsozialistischen Dritten Reich gleich. Es wäre nicht verwunderlich, wenn die Ukraine das gleiche Schicksal erleiden würde wie das Dritte Reich, schrieb er: »Das ist der Weg für so eine Ukraine.« Aber der Zusammenbruch könne den Weg für »ein offenes Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok« öffnen.
»Medwedew ist der Auffassung, Russland mache in der Ukraine den ersten Schritt zur Schaffung eines freien Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok«, kommentierte der Bonner Osteuropahistoriker Martin Aust auf Twitter. »Wir müssen alles tun, damit der Ukraine und Europa dies erspart bleibt.«
Ähnlich wie Medwedew stellte am Sonntag ein Kommentar der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti das Existenzrecht der Ukraine und Ukrainer als Volk in Frage. Unter der Überschrift »Was Russland mit der Ukraine machen sollte« forderte der Autor eine auf Generationen angelegte Umerziehung unter russischer Kontrolle. »Entnazifizierung wird unweigerlich auch Entukrainisierung bedeuten«, hieß es.
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