Die Bundesregierung will ihre Außen- und Entwicklungspolitik künftig an der Verwirklichung von Frauenrechten ausrichten. Die Gleichstellung soll Richtschnur nach außen im Umgang mit internationalen Partnern und auch nach innen in den Ministerien werden.
Damit würden das Grundgesetz und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte umgesetzt, betonte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Berlin bei der Vorstellung der Leitlinien feministischer Außenpolitik. Dort sei verankert, »dass alle Menschen gleich sind, die gleichen Rechte haben und deswegen auch das gleiche Recht auf Repräsentanz und Zugang zu Ressourcen haben«.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) erklärte, Deutschland wolle mithelfen, den Hunger und die Armut in der Welt zu bekämpfen. »Wir wollen Gesellschaften gerechter machen. Und da kann man nicht auf die Hälfte des Potenzials, nämlich auf die Frauen, verzichten, sondern sie müssen mitgedacht werden.«
Baerbock betonte: »Feministische Außenpolitik ist eine Selbstverständlichkeit, aber offensichtlich noch nicht überall auf der Welt - auch nicht bei uns - Realität.« Sie werde sich durch alle Bereiche des außenpolitischen Handelns ziehen - von der humanitären Hilfe über Stabilisierungsmaßnahmen, Friedensmissionen und auch in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. »Klar ist dabei auch: Feminismus ist kein Zauberstab. Wir sind nicht naiv.« Damit ließen sich nicht alle Probleme der Welt lösen. »Aber wir werden damit genauer hinschauen, insbesondere bei Krisen und Kriegen.«
Leitlinien im Einzelnen
Die Leitlinien sind auf 81 Seiten fixiert. »Wir setzen uns dafür ein, dass die Rechte von Frauen und Mädchen weltweit geachtet und gefördert werden«, heißt es zur Zielsetzung. Und: »Wir setzen uns für gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Gesellschaftsbereichen ein und stärken die Repräsentanz von Frauen und marginalisierten Gruppen in der Außenpolitik.«
In den sechs Leitlinien des außenpolitischen Handelns heißt es zum Beispiel: »Wir integrieren die Perspektiven von Frauen und marginalisierten Gruppen in unsere weltweite Arbeit für Frieden und Sicherheit.« Ziel sei es, humanitäre Hilfe zu 100 Prozent mindestens gendersensibel umzusetzen. Man thematisiere aktiv, wo die Rechte von Frauen und marginalisierten Menschen nicht konsequent beachtet seien.
In den Leitlinien für die Arbeitsweise im Auswärtigen Dienst heißt es: »Wir arbeiten für Gleichstellung, Diversität und Inklusion im Auswärtigen Dienst.« Der Auswärtige Dienst wird verpflichtet, Chancengleichheit und ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld sicherzustellen sowie Vielfalt in den eigenen Reihen zu fördern.
Das Entwicklungsministerium räumt selbstkritisch ein, dass sich in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit immer noch koloniale Kontinuitäten und rassistische Denkmuster niederschlügen. Ziel sei es, »diese Denkmuster in der Entwicklungszusammenarbeit abzubauen und eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Globalem Norden und Globalem Süden zu etablieren«.
Praktische Auswirkungen
Feministische Außenpolitik sei ein »pragmatischer Ansatz«, sagte Baerbock. »Es geht um ganz normale Probleme von ganz normalen Menschen.« Als Beispiel führte sie den von Deutschland unterstützten Wiederaufbau eines Dorfes in Nigeria an. »Wenn man zum Beispiel die Sanitäranlagen plant: Wenn man nach dem Geruch geht, könnte man sie am Rande des Dorfes planen. Wenn man sich aber fragt: Was bedeutet es für ein zehnjähriges Kind, nachts diese Sanitäranlagen zu erreichen, oder für eine Frau, dann trifft man die Entscheidung vielleicht nicht für die Lage am Rande des Dorfes.«
Schulze nannte als Beispiel den Bau eines Wassersystems mit deutscher Hilfe in Sambias Hauptstadt Lusaka. Dies sei erstmals mit Beteiligung der Frauen geschehen. »Und dabei ist ein System entstanden, was wirklich allen Haushalten zugutekommt«, berichtete Schulze. Mit Hilfe der Frauen sei das Konzept deutlich anders ausgefallen.
Das neue Konzept soll sich auch finanziell auswirken. Bis zum Ende der Wahlperiode will das Auswärtige Amt 85 Prozent der Projektmittel »gendersensibel« ausgeben, so dass Belange von Frauen mit einbezogen werden. 8 Prozent der Mittel sollen »gendertransformativ« gezahlt werden, so dass es eine aktive Umgestaltung der Projekte in Richtung von mehr Beteiligung von Frauen gibt. Im Entwicklungsministerium sollen bis 2025 mehr als 90 Prozent der neu zugesagten Projektmittel in Vorhaben fließen, die die Gleichstellung voranbringen.
Das Entwicklungsministerium will zudem mindestens 50 Prozent seiner Führungspositionen mit Frauen besetzen. Luft nach oben gibt es hier auch im Auswärtigen Amt. Dort sind zwar schon fast 50 Prozent der Beschäftigten weiblich. Aber nur 27 Prozent der insgesamt 226 deutschen Auslandsvertretungen werden von Frauen geleitet.
Kritische Stimmen
»Feministische Außenpolitik ist kein Kampfbegriff, sondern leitet sich bei uns aus dem Grundgesetz ab«, betonte Baerbock bei einer Veranstaltung im Auswärtigen Amt. Dennoch sagte zum Beispiel der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki dem Medium »Table.Media«, er halte wenig von diesem Konzept, »weil es weniger darauf abzielt, diplomatische Verbesserungen zu erwirken als auf die emotionale Befriedigung innenpolitischer Akteure«.
Die Entwicklungsorganisation One begrüßte das Konzept grundsätzlich, mahnte aber an, dass es auch finanziell unterfüttert werden müsse. »Politik, die braucht auch Geld - für Feminismus in der Welt«, skandierte ein kleines Grüppchen von One-Aktivistinnen und Aktivisten vor dem Kanzleramt, wo Baerbock und Schulze ihr Konzept vorstellten.
Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt (CDU) hielt der Außenministerin inkonsequentes Vorgehen vor. Beispiel Iran: »Mit einer umgehenden und unmissverständlichen Positionierung an der Seite der protestierenden Frauen im Iran hätte die Bundesregierung zeigen können, was feministische Außenpolitik in der Praxis bedeutet«, sagte Hardt der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. »Stattdessen sehen wir bis heute Berlin auf der Bremse beim Druck gegen das Mullah-Regime.«
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