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Baerbock in Nahost - Zwischen Staatsräson und Humanität

Außenministerin Baerbock besucht zum dritten Mal seit Beginn des Gaza-Kriegs Israel und den Nahen Osten. Diesmal fährt sie auch nach Ramallah ins Westjordanland. Lässt sich ein Flächenbrand verhindern?

Außenministerin Baerbock in Ramallah
Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen), Außenministerin von Deutschland, spricht mit Mohammed Schtaje, Ministerpräsident der Palästinensichen Autonomiebehörde. Foto: Michael Kappeler/DPA
Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen), Außenministerin von Deutschland, spricht mit Mohammed Schtaje, Ministerpräsident der Palästinensichen Autonomiebehörde.
Foto: Michael Kappeler/DPA

Es ist ein Marathon der Krisendiplomatie, den Annalena Baerbock absolviert: Vereinigte Arabische Emirate, Saudi-Arabien, Westjordanland, Israel. Sieben Politiker trifft die Außenministerin von Freitagnachmittag bis zum späten Samstag. Auch für Gespräche mit Betroffenen der Terrorangriffe der islamistischen Hamas auf Israel vom 7. Oktober bleibt Zeit. Die Grünen-Politikerin ist zum dritten Mal innerhalb der fünf Wochen seit Beginn des Gaza-Krieges in das angegriffene Land und die Krisenregion gereist.

Der Gaza-Krieg ist die wohl schwierigste Herausforderung für Baerbock in ihren knapp zwei Jahren im Amt. Vielleicht schwieriger, als jene, der sie sich wenige Wochen nach ihrer Vereidigung gegenüber sah: dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

So empfindet sie das selbst gelegentlich. Denn in der Ukraine ist klar: Moskau ist der Aggressor, Kiew der Angegriffene. Auch beim Gaza-Krieg ist klar: Die Islamisten von der Hamas haben Israel mit Massakern und Terror überzogen. Doch die Bilder von toten Kindern, Frauen und Männern im Gazastreifen schockieren viele. Millionen Muslime reagieren aufgebracht, es droht ein Flächenbrand.

Abu Dhabi, Riad, Ramallah, Tel Aviv

Quasi im Stundentakt trifft Baerbock Ministerpräsidenten und Kollegen. Am Freitagabend in Abu Dhabi den Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Abdullah bin Zayed Al Nahyan. Am Samstag in der saudischen Hauptstadt Riad den Ministerpräsidenten und Außenminister von Katar, Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, später ihren saudischen Kollegen Faisal bin Farhan Al Saud.

Die Treffen sind wichtig für Baerbock - Saudi-Arabien und die Emirate gelten wie Katar als einflussreiche mögliche Vermittler, etwa wenn es um die Befreiung der Hamas-Geiseln geht oder eine künftige Friedenslösung per Zwei-Staaten-Modell, zwei ihrer Hauptthemen.

In Ramallah im Westjordanland redet Baerbock mit dem palästinensischen Ministerpräsidenten Mohammed Schtaje. Es soll ein Zeichen der Solidarität sein angesichts vieler Palästinenser, die sich im Stich gelassen fühlen. Am Abend dann die Treffen mit drei wichtigen Israelis - Außenminister Eli Cohen, Oppositionsführer Jair Lapid und Benny Gantz, der dem Kriegskabinett von Regierungschef Benjamin Netanjahu angehört.

Die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson, dazu hat sich Baerbock nach dem Terrorangriff der Hamas - mit nach neuen Schätzungen rund 1200 Toten und fast 240 Verschleppten - mehrfach bekannt. Doch auch das Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen lässt sie nicht kalt. Die Ministerin beschreibt die Lage als fürchterliches Dilemma.

Eckpunkte der Krisenmission:

Humanitäre Palästinenserhilfe wird aufgestockt

Deutschland stockt die humanitäre Hilfe für die palästinensischen Gebiete um weitere 38 Millionen Euro auf. Damit werde die Bundesrepublik 2023 über 160 Millionen Euro für die palästinensischen Gebiete zur Verfügung stellen, sagt Baerbock. Von den 38 Millionen Euro sollen 25 Millionen an das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA fließen, 10 Millionen an das Welternährungsprogramm und knapp 3 Millionen an das UN-Nothilfebüro (OCHA).

Warnung vor Übergreifen der Gewalt

Dass die Palästinenser selbstbestimmt im eigenen Staat ihre Zukunft bestimmen könnten, sei auch im Interesse Israels, sagt Baerbock. »Dafür ist es so zentral, dass nicht noch auch das Westjordanland von Gewalt und Zerstörung erfasst wird«, warnt sie. Ein erster wichtiger Schritt für die Menschen in Gaza seien die humanitären Pausen. »Diese müssen weiter ausgebaut werden.« Und es brauche mehr humanitäre Zugänge. »Das, was wir jetzt haben, reicht bei weitem nicht aus.«

»Zwischen zivilen und militärischen Zielen unterscheiden«

Angesichts der sich zuspitzenden Lage der Krankenhäuser im Gazastreifen sagt Baerbock, diese seien in bewaffneten Konflikten von der Genfer Konvention besonders geschützt. »Daran hat sich Israel wie jeder Staat der Welt zu halten. Genauso, wie Israel wie jeder andere Staat der Welt das Recht hat, sich zu verteidigen.« Wenn Krankenhäuser für Militäraktionen oder als Kommandozentralen genutzt würden, könnten sie ihren Schutzstatus auch verlieren.

Cohen teilt später mit, er habe Baerbock gebeten, die Unterstützung für sein Land fortzusetzen, damit Israel die Hamas zerstören und die Freilassung der Geiseln erreichen könne.

Siedlergewalt verurteilt

»Aufs Schärfste« verurteilt Baerbock die zunehmende Gewalt durch radikale israelische Siedler. Straf- und Gewalttaten gegen die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland müssten unterbunden und strafrechtlich verfolgt werden. »Israel hat hier eine zentrale Verantwortung für den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung. Denn die Siedlergewalt, sie schadet auch der Sicherheit Israels.« Auch das klingt wie eine Mahnung an die Regierung Netanjahu.

Ministerpräsident Schtaje ruft Deutschland im Anschluss auf, klarer gegen den Krieg im Gazastreifen Stellung zu beziehen. »Israel mit Waffen zu unterstützen, ermutigt es, seine Aggression gegen unser Volk in Gaza fortzusetzen«, teilt er mit.

Treffen mit Angehörigen von Opfern

In Tel Aviv kommt Baerbock mit einem arabischstämmigen Israeli und Leiter einer Organisation zusammen, die sich für Versöhnung einsetzt. Dessen Cousin war als Sanitäter bei dem von der Hamas überfallenen Friedensfestival eingesetzt und wurde ermordet. Zudem spricht sie mit dem Sohn einer jüdischen Friedensaktivistin, die entführt wurde.

Baerbock: Herkulesaufgabe Brückenbau

Nach den Gesprächen in Saudi-Arabien heißt es aus deutschen Delegationskreisen, man sei sich mit den Vertretern Katars und Saudi-Arabiens einig, dass es Frieden für Palästinenser und Israelis nur mit einer Perspektive auf eine Zwei-Staaten-Lösung geben könnte. Dass dies für Baerbock keine Sache von Wochen oder Monaten sein dürfte, macht sie später mit zwei Sätzen klar: »Die Brückenköpfe auf beiden Seiten sind klar erkennbar. Die Herkulesaufgabe ist es nun, die Brücke dazwischen zu bauen.«

© dpa-infocom, dpa:231110-99-895445/13