Außenministerin Annalena Baerbock wirft Russlands Präsident Wladimir Putin angesichts der Hungerkrise in Äthiopien vor, für die weltweit verschärfte Nahrungsknappheit verantwortlich zu sein. »Der russische Präsident setzt Getreide, setzt Lebensmittel als Waffe ein«, sagte die Grünen-Politikerin in der äthiopischen Stadt Adama beim Besuch des landesweit größten Getreidelagers des UN-Welternährungsprogrammes (WFP).
»Das verschärft die dramatische Situation der Lebensmittelversorgung weltweit, weil auch die Dürren in der Welt weiter zugenommen haben.« Aus diesem Grund sei es »so wichtig, dass wir auf den brutalen russischen Angriffskrieg eben nicht nur mit Hilfe für die Ukraine reagieren, sondern unsere humanitäre Hilfe, unsere Lebensmittelhilfe weltweit deutlich erhöht haben«, sagte Baerbock.
In Äthiopien herrscht eine dramatische Dürre. Das Land ist stark von Weizen und Düngemitteln aus der Ukraine und Russland abhängig. Laut Welthungerhilfe haben rund 22 Millionen Menschen zu wenig zu essen. Äthiopien ist eines der ärmsten Länder der Welt.
Baerbock informiert sich über ukrainische Getreidehilfe
Baerbock betonte, Nahrung sei ein Menschenrecht. Deutschland und Frankreich unterstützten die ukrainische Getreidespende an Äthiopien mit der Finanzierung und der Organisation des Transports, »damit die Menschen in Äthiopien nicht auch noch zum Opfer des russischen Angriffskrieges werden«, sagte sie. Colonna unterstrich: »Die Menschen hier, die unter der Dürre leiden, sind nicht verantwortlich für das, was in der Ukraine passiert. Daher müssen wir ihnen helfen. Das ist eine humanitäre Pflicht.«
Die Ministerin informierte sich mit Colonna in einer Lagerhalle über die Getreidehilfe aus der Ukraine und deren Verteilung durch das Welternährungsprogramm. Der Lagerkomplex hat eine Kapazität von 218 000 Tonnen. Aus der Ukraine waren Ende Dezember über Dschibuti 25 000 Tonnen Weizen geliefert worden, die dort auf die Verteilung warten.
Tigray-Friedensabkommen: Berlin und Paris bieten Zusammenarbeit an
Deutschland und Frankreich boten Äthiopien nach dem Friedensabkommen für die Unruheregion Tigray auch über die Nahrungsmittelhilfe hinaus eine verstärkte Zusammenarbeit an. Es sei wichtig, dass Europa nun »schnell Gesicht zeigt«, sagte Baerbock.
Die äthiopische Regierung hatte im November ein Friedensabkommen mit der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) geschlossen. Bei den Kämpfen in der nördlichen Region starben nach UN-Angaben seit November 2020 mehrere Hunderttausend Menschen. Äthiopien ist mit rund 120 Millionen Einwohnern nach Nigeria der zweitbevölkerungsreichste Staat Afrikas und eines der ärmsten Länder der Welt.
Baerbock: Vergewaltigungen in Konflikten sind Kriegsverbrechen
Baerbock verurteilte Vergewaltigungen in Konflikten oder im Krieg wie in Tigray oder der Ukraine als Kriegsverbrechen. Das humanitäre Völkerrecht sei klar: »Der Schutz von Zivilisten ist auch das oberste Gebot in bewaffneten Konflikten. Und Vergewaltigungen sind Kriegsverbrechen«, sagte sie bei einem Auftritt mit Colonna und dem äthiopischen Außenminister Demeke Mekonnen. Immer wieder gebe es Frauen und Mädchen, die Opfer schlimmster und vor allen Dingen systematischer sexualisierter Gewalt würden. »Es ist nicht normal, dass Vergewaltigungen Teil von Kriegen sind«, sagte sie.
Ministerpräsident Abiy hatte auch wegen seiner Aussöhnungspolitik mit dem Langzeit-Rivalen und Nachbarn Eritrea 2019 den Friedensnobelpreis erhalten. Die TPLF und viele Menschen in Tigray hatten mehr Autonomie verlangt. Nachdem geplante Wahlen wegen der Corona-Pandemie verschoben worden waren, hielt die TPLF im September 2020 Regionalwahlen ab. Im Zusammenhang mit dem folgenden Konflikt flohen mehr als 50.000 Menschen in den Sudan. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind mehr als vier Millionen Menschen binnenvertrieben.
China bemüht sich um noch stärkeren Einfluss
Erst am Dienstag war Chinas neuer Außenminister Qin Gang auf seiner ersten Auslandsreise zu Besuch in Addis Abeba. China will sich am Wiederaufbauprozess im Land beteiligen. Wie viele afrikanische Länder ist Äthiopien bei China hoch verschuldet wegen früherer Infrastrukturprojekte. Das Land steht bei Peking mit 13,7 Milliarden Dollar in der Kreide.
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