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Atomwaffen: Ukraine sieht Putin von Angst getrieben

Kreml-Chef Putin will taktische Atomwaffen in Belarus stationieren. Das ISW sieht keine wachsende Gefahr eines Atomkriegs. Die Nato will die Situation genau beobachten.

Putin: Russland stationiert Atomwaffen in Belarus
Russland und Belarus haben sich auf die Stationierung taktischer Atomwaffen verständigt. Foto: Uncredited
Russland und Belarus haben sich auf die Stationierung taktischer Atomwaffen verständigt.
Foto: Uncredited

Die Ukraine sieht Kremlchef Wladimir Putin mit seiner angekündigten Stationierung taktischer Atomwaffen in Belarus von Angst vor einer möglichen Niederlage im Krieg getrieben. »Putin ist so berechenbar«, schrieb der Berater des Präsidentenbüros in Kiew, Mychajlo Podoljak. Der Kremlchef gebe mit der Ankündigung zu, dass er Angst habe, den Krieg gegen die Ukraine zu verlieren. Zudem bestätige er einmal mehr, dass er in Verbrechen verwickelt sei, weil er nun den Vertrag zur Nichtweiterverbreitung atomarer Waffen verletze.

Der russische Präsident hatte am Samstag gesagt, dass Russland die Kontrolle über die Waffen nicht an Belarus abgebe, sondern die Raketen lediglich vorhalte in dem Land. Moskau handele nicht anders als Washington, das bei seinen Verbündeten in Europa ebenfalls US-Atomwaffen stationiert habe. Russland halte sich an internationale Vereinbarungen, betonte Putin.

Belarus erhält nach der freiwilligen Abgabe seiner Atomwaffen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nun erstmals seit den 1990ern Jahren wieder nukleare Raketen. In Belarus hatte Machthaber Alexander Lukaschenko, der von Putin politisch und wirtschaftlich abhängig ist, schon vor dem Krieg Russland darum gebeten. Dazu hatte er auch die Verfassung ändern lassen, in der kein atomwaffenfreier Status mehr festgeschrieben ist. Die Ausbildung an den Waffen in Belarus soll laut Putin im April beginnen, die Depots für die Atomraketen sollen am 1. Juli fertig gebaut sein.

Nato beobachtet Situation genau

Die Nato sieht keinen Handlungsbedarf mit Blick auf die eigenen Nuklearwaffen. Man sei wachsam und beobachte die Situation genau, teilte eine Sprecherin am Sonntag mit. »Wir haben keine Veränderungen in Russlands nuklearer Aufstellung gesehen, die uns veranlassen würden, unsere eigene anzupassen«, sagte sie. Russlands nukleare Rhetorik sei gefährlich und verantwortungslos.

Russlands Bezugnahme auf die nukleare Teilhabe der Nato sei irreführend, hieß es von der Nato: »Die Nato-Verbündeten handeln unter voller Einhaltung ihrer internationalen Verpflichtungen«, teilte die Sprecherin mit. Russland habe immer wieder gegen seine Rüstungskontrollverpflichtungen verstoßen.

Sofia ruft zu Verhandlungen auf

Bulgariens Vizepräsidentin Ilijana Jotowa ruft angesichts Putins Ankündigung zu Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine auf. Die Lage werde »immer gefährlicher und furchterregender«, sagte die Vizepräsidentin des südosteuropäischen Landes am Sonntag in Sofia. Deshalb riefen sie und der bulgarische Staatspräsident Rumen Radew immer wieder zu Verhandlungen auf: »Das sind keine leeren Worte«, sagte Jotowa. Dies sei der Wunsch Bulgariens, weil mehr Rüstung in allen Ländern zu unvorhersehbaren Entscheidungen führe und nun in der Praxis ein ernsthafter Krieg drohe.

Jotowa sagte zur angekündigten Verlegung russischer Atomwaffen: »Ich hoffe, dass die Vernunft doch siegen wird. Und dass es in diesem Fall vielmehr um Drohungen geht, als um wirkliche Handlungen.«

Von Putins Atomplänen nicht einschüchtern lassen

Die Union im Bundestag rät zu Gelassenheit im Umgang mit der russischen Ankündigung, Atomwaffen in Belarus zu stationieren. Die Nato sei darauf »längst eingestellt«, sagte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Montag). Eine kurzfristige Reaktion halte er deshalb für unnötig. »Durch eine modernisierte, glaubwürdige nukleare Teilhabe in Europa benötigen wir keine zusätzliche Stationierung von Nuklearwaffen in weiteren Nato-Staaten«, sagte er. Langfristig solle die westliche Militärallianz dies aber nicht ausschließen.

Weiter sagte er, bislang wirkten die Nukleardrohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin insbesondere in Deutschland. »Putin zielt hier auf Angst und Selbstabschreckung durch permanente Betonung eines völlig unrealistischen Atomkriegs.« Damit erreiche Russland das Ziel permanenter Verunsicherung. »Das dürfen wir nicht zulassen, sondern müssen unsere Bevölkerung ruhig und sachlich aufklären«, sagte er.

Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter. »Unsere Aufgabe ist es, weitere Sanktionen auf europäischer Ebene zu erlassen und die Ukraine weiter zu unterstützen«, sagte der Grünen-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. »Nukleare Drohungen gehören seit Beginn des russischen Angriffskriegs zum Repertoire des Kreml.« Es gebe allerdings weiterhin keine Hinweise darauf, dass Russland seine Atomwaffen tatsächlich einzusetzen plane. »Das Ziel der Drohungen ist, die westliche Unterstützung der Ukraine zu untergraben.«

US-Institut: Keine wachsende Gefahr eines Atomkriegs

Die angekündigte Stationierung bedeutet aus Sicht von US-Experten keine wachsende Gefahr eines Atomkriegs. Die Ankündigung vom Samstagabend sei unbedeutend für das »Risiko einer Eskalation hin zu einem Nuklearkrieg, das extrem niedrig bleibt«, hieß es in einer Analyse des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW). Schon bisher könne Russland mit seinen Atomwaffen jeden Punkt der Erde erreichen. Putin sei aber ein »risikoscheuer Akteur, der wiederholt mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, ohne Absicht, das auch durchzuziehen«.

Putin wolle im Westen Ängste vor einer atomaren Eskalation schüren, um so die Unterstützung für die Ukraine etwa bei der Lieferung schwerer Waffen zu brechen. Nach ISW-Einschätzung ist es weiter »sehr unwahrscheinlich, dass Russland nukleare Waffen in der Ukraine oder anderswo einsetzt«. Putins Schritt habe sich bereits vor dem Krieg in der Ukraine angekündigt, teilte das ISW mit. Russland zementiere mit der Stationierung nuklearer Waffen in Belarus vor allem seinen Einfluss in der Ex-Sowjetrepublik.

In der neuen ISW-Analyse zweifeln die Experten auch an der Ankündigung Putins, in diesem Jahr 1600 Panzer neu zu bauen oder zu modernisieren. Demnach kann Russlands einzige Panzerfabrik Uralwagonsawod (UVZ) monatlich nur 20 Panzer produzieren, verliere aber im Krieg in der Ukraine täglich ein Vielfaches davon.

Putin versuche vor allem, eine »Aura der Sowjet-Ära« mit ihrer damals starken Militärindustrie zu erzeugen, stellen die ISW-Autoren fest. Seine Äußerungen hätten aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun, dass die Wirtschaftskraft und die militärischen Kapazitäten der USA und der Europäer denen Russlands überlegen seien.

© dpa-infocom, dpa:230326-99-94007/7