Dieser Angeklagte fiebert seinem Prozess entgegen. Österreichs Ex-Kanzler und Ex-Polit-Star Sebastian Kurz muss sich ab 18. Oktober wegen des Verdachts der Falschaussage vor dem Landgericht Wien verantworten.
»Die Vorwürfe sind falsch und wir freuen uns darauf, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen auch vor Gericht als haltlos herausstellen«, schrieb Kurz auf der Plattform X (ehemals Twitter).
Nach jahrelangen Ermittlungen stellte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) dem Verdächtigen einen mehr als 100-seitigen Strafantrag zu. Und nicht nur Kurz muss sich vor Gericht verantworten. Angeklagt sind laut Gericht neben Kurz auch sein ehemaliger Kabinettschef Bernhard Bonelli sowie die frühere Generaldirektorin der Casinos Austria, Bettina Glatz-Kremsner. Alle bestreiten die Vorwürfe.
108 Seiten Strafantrag
Der Akt umfasse mehrere Kisten, der Strafantrag 108 Seiten, hieß es. Es geht laut Behörden um Aussagen im Ibiza-Untersuchungsausschuss des Parlaments sowie bei der Vernehmung im Ermittlungsverfahren der WKStA. Genereller ausgedrückt: Es geht um den Verdacht der Vetternwirtschaft.
Im Ausschuss hatte Kurz im Juni 2020 seinen Einfluss bei der Bestellung des Chefs der Staatsholding Öbag, Thomas Schmid, eher als marginal dargestellt. Er sei im Vorfeld über die Entscheidung informiert worden, habe aber nicht weiter mitgewirkt, so seine damalige Aussage über die wichtige Personalie. Die Öbag managt zehn staatliche Beteiligungen mit einem Gesamtwert von rund 30 Milliarden Euro.
Ermittlungen seit Frühjahr 2021
Aufgrund von Chatnachrichten geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass der ehemalige Regierungschef sehr wohl intensiv in die Reform der Staatsholding Öbag eingebunden war. So hätten sich Kurz und Schmid spätestens ab Mitte 2017 regelmäßig über das Thema ausgetauscht. Die WKStA ermittelt seit dem Frühjahr 2021 nach einer Anzeige von sozialdemokratischer SPÖ und liberalen Neos gegen Kurz.
Schon in der Vergangenheit ließ Kurz immer wieder seine Skepsis durchklingen, dass die WKStA wirklich fair vorgehe. »Es ist für uns wenig überraschend, dass die WKStA trotz 30 entlastender Zeugenaussagen dennoch entschieden hat, einen Strafantrag zu stellen«, schrieb Kurz auf der Plattform X.
Der Strafrahmen für das zur Last gelegte Delikt beträgt laut Behörde bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe. Es gilt als wahrscheinlich, dass Kurz bei einer Verurteilung als bisher unbescholtener Bürger eine Bewährungsstrafe bekommen würde und nicht ins Gefängnis müsste.
Viel brisanter für den einst als »Wunderwuzzi« gehandelten Konservativen könnte eine Anklage in der sogenannten Inseratenaffäre werden. Dabei geht es um geschönte Umfragen und Regierungs-Inserate in Boulevard-Zeitungen, die mutmaßlich mit Steuergeld bezahlt worden sein sollen. Gegen mehrere Personen wird wegen des Verdachts der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit ermittelt. Auch hier bestreitet Kurz die Vorwürfe. Die Ermittlungen laufen noch.
Heute Unternehmer und Lobbyist
Der ehemalige ÖVP-Chef, jahrelang europaweit hochgehandelter Hoffnungsträger der Konservativen, stand zwei Mal an der Spitze einer Regierungskoalition in Österreich. Von 2017 bis 2019 führte Kurz ein Bündnis von ÖVP und rechter FPÖ an. Von 2020 bis 2021 war er Regierungschef einer Koalition aus ÖVP und Grünen. Angesichts der Vorwürfe trat er im Herbst 2021 zunächst von seinen Ämtern zurück. Im Dezember 2021 verkündete er seinen gänzlichen Abschied aus der Politik. Inzwischen ist er Unternehmer und Lobbyist.
Anlass aller Ermittlungen war die sogenannte Ibiza-Affäre. In einem auf der Ferien-Insel heimlich aufgenommenen Video hatte der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache anfällig für Korruption gewirkt. Die Koalition aus ÖVP und FPÖ zerbrach 2019 an der Affäre.
Bei der Suche nach Anhaltspunkten für Vetternwirtschaft und Korruption zur Zeit der Regierung von Kurz spielte das Handy von Ex-Öbag-Chef Schmid eine zentrale Rolle. Mehr als 300.000 - von der Staatsanwaltschaft oft als belastend eingeschätzte - Chats waren eine Fundgrube für die Ermittler. Schmid selbst hat sich in der Affäre als Kronzeuge angeboten und Kurz, mit dem er ein enges Verhältnis pflegte, mehrfach belastet.
Aus Sicht von Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer ist die Anklage auch eine Chance zum Befreiungsschlag. »Das ist für alle betroffenen Personen die Gelegenheit, tatsächlich diese Aufklärung anzustreben und zu leisten«, sagte Nehammer am Rande eines Treffens mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz in Salzburg.
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