Ein als radikaler Islamist im Visier der Behörden stehender junger Mann hat in einem Gymnasium im nordfranzösischen Arras einen Lehrer erstochen und drei weitere Menschen verletzt. Der 20-jährige ehemalige Schüler sei von der Polizei mit einem Taser außer Gefecht gesetzt und festgenommen worden, teilte Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin am Freitag mit. »Nach unseren Informationen gibt es zweifellos einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen im Nahen Osten und der Tat«, sagte der Minister. Die Antiterrorstaatsanwaltschaft übernahm die Ermittlungen wegen Mordes und versuchten Mordes mit terroristischem Hintergrund.
Die Schule sei »von der Barbarei des islamistischen Terrorismus« heimgesucht worden, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor Ort in Arras. Der Lehrer, der getötet wurde, habe sich dem Angreifer in den Weg gestellt, sein verletzter Kollege und ein weiterer verletzter Schulmitarbeiter ebenso. »Sie haben zweifellos viele Leben gerettet, ich möchte ihnen meine Anerkennung aussprechen.«
Höchste Terrorwarnstufe verhängt
Nach der Attacke verhängte Frankreich die höchste Terrorwarnstufe. In der aktuellen Lage habe sie beschlossen, die höchste Warnstufe »Notfall Attentat« zu verhängen, teilte Premierministerin Élisabeth Borne mit. Die Warnstufe kann unmittelbar nach einem Anschlag oder wenn eine identifizierte und nicht lokalisierte terroristische Gruppe aktiv wird, für die Zeit des Krisenmanagements eingerichtet werden.
Wie Antiterrorstaatsanwalt Jean-François Ricard mitteilte, habe der 20 Jahre alte Täter während seines Angriffs auf Arabisch »Gott ist groß« gerufen. Schüler kamen bei der Attacke nicht zu Schaden, die Klassen verschanzten sich in ihren Klassenräumen und harrten dort längere Zeit aus, bis es Entwarnung gab. Neben dem Angreifer seien weitere Personen festgenommen worden, sagte Ricard. Nach Medienberichten befinden sich darunter der ebenfalls radikalisierte ältere Bruder des Täters, eine Schwester, die Mutter und ein Onkel.
»Es war ein Wettlauf gegen die Zeit«
Der Angreifer stammt aus Tschetschenien. Wie Innenminister Darmanin in den Abendnachrichten auf TF1 sagte, sei der in Russland geborene Täter seit kurzem in einer Datei für radikalisierte Personen geführt und seit einigen Tagen abgehört worden. Zuletzt sei er am Donnerstag - also einen Tag vor der Attacke - von der Polizei intensiv kontrolliert worden, es sei aber keine konkrete Bedrohung festgestellt oder eine Waffe gefunden worden. »Es war ein Wettlauf gegen die Zeit«, sagte der Minister. Von einem Versagen der Sicherheitsbehörden könne keinesfalls gesprochen werden.
Wie die Zeitung »Le Parisien« unter Verweis auf die Behörden berichtete, sei der ältere Bruder des Angreifers bereits 2019 wegen der Vorbereitung eines Anschlags festgenommen und als Mitglied einer terroristischen Organisation zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Die insgesamt siebenköpfige Familie, die 2008 nach Frankreich kam, hätte demnach eigentlich bereits 2014 abgeschoben werden sollen, weil ihr kein Asyl zustand. Verbände vor Ort verhinderten das in letzter Minute, wie die Zeitung berichtete. Wie Darmanin sagte, hätte der Angreifer nach aktuellem Recht trotz seiner Radikalisierung nicht abgeschoben werden können, weil er im Alter von weniger als 15 Jahren nach Frankreich gekommen war.
Die Attacke erschüttert Frankreich umso mehr, als dass sie fast auf den Tag genau drei Jahre auf den tödlichen Angriff auf den Geschichtslehrer Samuel Paty folgt, worauf auch Macron verwies. Der 47-Jährige war am 16. Oktober 2020 in einem Pariser Vorort von einem Angreifer getötet und dann enthauptet worden. Das Verbrechen wurde als islamistisch motivierter Terrorakt eingestuft und löste international Entsetzen aus. Sicherheitskräfte erschossen den Täter.
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