Die AfD hat mit einem Eilverfahren gegen Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang einen Teilerfolg erzielt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz verpflichtete sich nach Angaben des Verwaltungsgerichts Köln in einer »Stillhaltezusage«, kritische Äußerungen während der AfD-Europawahlversammlung an diesem Wochenende zu unterlassen. Parteichef Tino Chrupalla griff Haldenwang scharf an: »Wir vertreten hier ganz klar das Grundgesetz und Herr Haldenwang steht außerhalb genau dieses Gesetzes«, sagte er am Freitag bei der Fortsetzung der Parteiveranstaltung in Magdeburg.
Nach deren erster Etappe am vergangenen Wochenende hatte Haldenwang gesagt, Vertreter des ehemaligen gemäßigteren Lagers der AfD hätten dabei so gut wie keine Rolle mehr gespielt: »Vielmehr äußerten diverse Wahlbewerber rechtsextremistische Verschwörungstheorien, wie beispielsweise die vom sogenannten «Großen Austausch»«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Dagegen wehrte sich die AfD vor dem Verwaltungsgericht per Eilantrag und verlangte Unterlassung. So kam es nach Angaben eines Gerichtssprechers zu der Stillhaltezusage. »An diese Zusage ist das BfV gebunden«, erklärte er. Die Zusage sei ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgt. Das Bundesamt erklärte, es habe diese Zusage »aus Respekt vor dem Gericht« abgegeben.
Kritische Äußerungen »rechtswidrig«?
Chrupalla sagte der dpa in Magdeburg, die AfD werde das Gerichtsverfahren fortführen. »Wir halten daran fest«, sagte der Parteichef. »Es wird dann nach dem Parteitag, nach dem Wochenende, auch eine Entscheidung geben des Gerichts.« Er nannte Haldenwangs Äußerungen einen »Eingriff in die Entscheidungsfindung der Delegierten«. Das sei »ganz klar rechtswidrig«.
Die AfD will an diesem Wochenende die Liste ihrer Kandidaten für die Europawahl 2024 komplettieren und anschließend das Wahlprogramm beraten. In einem im Juni veröffentlichten Entwurf hieß es: »Unsere Geduld mit der EU ist erschöpft. Wir streben daher die geordnete Auflösung der EU an und wollen statt ihrer eine neue europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft gründen, einen Bund europäischer Nationen.« Einige AfD-Vertreter plädieren für einen EU-Austritt Deutschlands. Chrupalla sagte, es werde an einem neuen Entwurf gearbeitet, der als »Kompromiss« dienen könne.
Am Freitag berieten die Delegierten zunächst weiter über die Besetzung von insgesamt 30 Listenplätzen. Da es für jeden Platz mehrere Bewerber und ausführliche Vorstellungsrunden gab, ging es sehr langsam voran. Bis zum späten Nachmittag war Platz 18 besetzt.
Aufregung gab es, als die AfD-Europaabgeordnete Sylvia Limmer auf offener Bühne Kritik am äußerst rechten Parteiflügel des thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke übte. Sie warf ihrer Partei Gefälligkeitswirtschaft und Mitläufertum vor: »Mich haben auf Befehl die strammen Höcke-Kader kaltgestellt«, sagte Limmer. »Glückwunsch Herr Höcke, ich bin dann mal weg.« Sie vermisse die »AfD der Realpolitik«. Ihr Redebeitrag ging teilweise in lautem Protest der Delegierten unter. Zeitweise wurde ihr das Mikrofon abgedreht. Sie zog ihre Kandidatur zurück.
Vorwürfe wegen geschönter Lebensläufe von Kandidaten
Wegen der zähen Kandidatenaufstellung war unklar, ob an diesem Wochenende noch Zeit für die Programmberatung bleibt. Das sei aber das Ziel, sagte Chrupalla der dpa. Zu Vorwürfen gegen zwei vor einer Woche gewählte Kandidaten, sie hätten ihren Lebenslauf geschönt, sagte Chrupalla nur, diese würden geprüft. Der Vorstoß eines Delegierten, Platz 14 wegen Zweifeln an Aussagen der Kandidatin neu zu bestimmen, wurde mehrheitlich abgelehnt.
Die AfD ist seit Wochen bundesweit im Umfragehoch mit Zustimmungswerten von teils über 20 Prozent. Nach einer am Freitag veröffentlichten Yougov-Umfrage ist die Mehrheit der Menschen in Deutschland aber gegen eine Regierungsbeteiligung der vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall geführten Partei. 58 Prozent der Befragten lehnten das eher oder voll und ganz ab. Gleichwohl wächst eine Offenheit dafür, dass andere Parteien je nach Fall eine Zusammenarbeit mit der AfD erwägen.
Die Parteien der Ampel-Koalition reagieren ihrerseits auf die hohen Umfragewerte für die AfD. »Wir müssen stärker als bisher herausstellen, dass unsere Politik den Menschen konkret hilft«, sagte SPD-Chefin Saskia Esken dem »Spiegel«. »Wohngeld, Kinderzuschlag, Gas- und Strompreisbremse: All das drang kaum durch im Lärm der Empörung.«
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang rief die Koalition zu mehr Geschlossenheit auf. Die Aufgabe sei jetzt, die Wirtschaft zu stabilisieren und soziale Themen in den Fokus zu nehmen. FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle sagte: »Steuerentlastungen und Investitionserleichterungen sind ein Ansatz. Damit kriegt man die AfD nicht unter fünf Prozent, aber vielleicht ja unter 15.«
© dpa-infocom, dpa:230804-99-698042/7