Die in Afghanistan herrschenden islamistischen Taliban zeigen sich angesichts der in Deutschland neu entflammten Debatte um Abschiebungen von afghanischen Straftätern und Gefährdern offen für eine Zusammenarbeit.
»Das Islamische Emirat Afghanistan fordert die deutschen Behörden auf, die Angelegenheit im Rahmen der üblichen konsularischen Beziehungen und eines geeigneten Mechanismus auf der Grundlage einer bilateralen Vereinbarung zu regeln«, teilte der Sprecher des Taliban-Außenministeriums, Abdul Kahar Balchi, auf der Plattform X mit.
Nach der tödlichen Messerattacke von Mannheim hatte Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen nach Afghanistan und Syrien wieder ermöglichen zu wollen. Innenministerin Nancy Faeser prüft das derzeit. Seit der erneuten Machtübernahme der Taliban in Kabul im August 2021 gilt in Deutschland ein Abschiebestopp für Afghanen.
Gespräche mit den Taliban nicht ohne Preis
Das Auswärtige Amt warnt vor einer Zusammenarbeit mit den islamistischen Taliban bei Abschiebungen von Afghanen. »Etwaige Rückführungen werden sich die Taliban mindestens durch internationale Anerkennung bezahlen lassen wollen«, sagte ein Sprecher des Ministeriums von Annalena Baerbock in Berlin. »Und es ist nun mal Fakt, dass die Bundesregierung die De-facto-Regierung der Taliban in Afghanistan, genau wie jedes andere Land der Welt, nicht anerkennt und nicht mit ihr zusammenarbeitet.« Es gebe nur punktuell in Einzelfällen Kontakt »auf technischer Ebene«.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums betonte, Abschiebungen bedeuteten für Kriminelle nicht Straffreiheit in Deutschland. »Bei Mordfällen heißt das, mindestens zehn Jahre Haft in Deutschland als Minimum, bevor eine Abschiebung dann in Anschluss an diese Strafhaft in Betracht kommt.«
Kritiker warnen allerdings vor solchen Gesprächen mit den Islamisten, die international isoliert sind. Die Taliban könnten von Abschiebungen profitieren, indem sie diese als Möglichkeit für eine Zusammenarbeit mit einem westlichen Staat nutzten, meinte Afghanistan-Experte Thomas Ruttig. Auch Vertreter der Grünen lehnen Abschiebungen von Afghanen und eine Kooperation dafür mit den Taliban ab oder stehen dem Vorhaben skeptisch gegenüber.
Bislang hat kein Land die Taliban-Regierung offiziell anerkannt
Ein Umweg über Nachbarländer Afghanistans wie Pakistan wird derzeit ebenfalls von der Bundesregierung erwogen. Diese Möglichkeit lehnen die Taliban jedoch offensichtlich ab. Auslieferungen an Drittstaaten seien ein Verstoß gegen geltende Konventionen, hob der Sprecher des Außenministeriums in seiner Mitteilung hervor.
Bislang hat kein Land die Taliban-Regierung offiziell anerkannt. Westliche Staaten fordern für eine Anerkennung unter anderem die Einhaltung von Menschen- und vor allem Frauenrechten in dem Land. Andere Staaten, vor allem Nachbarländer, haben sich gleichwohl für einen pragmatischeren Umgang mit den Islamisten ausgesprochen.
Zuletzt mehr Abschiebungen
Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland ist zuletzt deutlich gestiegen. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums teilte mit, dass die Abschiebungen 2024 bisher 30 Prozent höher seien als im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Bereits im vergangenen Jahr habe es im Vergleich zu 2022 ein Plus von 25 Prozent gegeben, sagte er am Freitag in Berlin. Beschlossene Gesetzesverschärfungen würden greifen.
Laut Bundesinnenministerium gab es von Januar bis April 2024 insgesamt 6316 Abschiebungen, im Vorjahreszeitraum waren es 4792. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 16 430 Abschiebungen aus Deutschland durchgeführt. 2022 lagen die Zahlen bei 12 945 Abschiebungen für das komplette Jahr.
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