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Abgeordnetenhauswahl in Berlin muss wiederholt werden

Berlin kann so manches nicht, sagen Kritiker und verweisen etwa auf den Flughafen. Nun ist es amtlich: Auch Wahlen kann die Hauptstadt nicht.

Schlangen vor Berliner Wahllokalen
Wählerinnen und Wähler warten im September 2021 im Stadtteil Prenzlauer Berg in einer langen Schlange vor einem Wahllokal. Foto: Hauke-Christian Dittrich
Wählerinnen und Wähler warten im September 2021 im Stadtteil Prenzlauer Berg in einer langen Schlange vor einem Wahllokal.
Foto: Hauke-Christian Dittrich

Klatsche für die Politik, Auftakt für den Wahlkampf und Zittern für Berlins Regierungschefin Franziska Giffey (SPD): Die von zahlreichen Pannen geprägte Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus muss komplett wiederholt werden. Die Abstimmung am 26. September 2021 sei wegen »schwerer systemischer Mängel« ungültig, urteilte der Berliner Verfassungsgerichtshof.

Damit befindet sich Berlin im Wahlkampf. Giffey, die eine rot-grün-rote Koalition leitet, muss um ihren Platz im Roten Rathaus zittern. Letzte Umfragen sahen die SPD hinter den Grünen oder gleichauf mit dem Regierungspartner und auch der CDU. Als Termin für die Wiederholung, die auch die zwölf Bezirksparlamente betrifft, legte Landeswahlleiter Stephan Bröchler den 12. Februar 2023 fest.

Aktuelles Parlament darf vorübergehend weiterarbeiten

Bis zur Konstituierung des neuen Parlaments könne das aktuelle weiterarbeiten, so das Gericht. Da es sich um eine Wiederholungs- und keine Neuwahl handele, ende die Legislaturperiode weiterhin 2026. Die Parteien müssen mit denselben Kandidaten antreten wie 2021.

Neben den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Kommunalparlamenten fanden am 26. September 2021 in Berlin auch die Bundestagswahl und ein Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne statt. Nebenher lief außerdem der Berlin-Marathon. Folge dieser Ballung und schlechter Vorbereitung waren dann massive Probleme.

»Vielzahl schwerer Wahlfehler«

Aus Sicht des Verfassungsgerichtshofs gab es eine »Vielzahl schwerer Wahlfehler« - und zwar schon bei der Vorbereitung wie dann auch am Wahltag selbst. Diese seien mandatsrelevant gewesen - haben sich also auf die Zusammensetzung des Parlaments ausgewirkt. Der Grundsatz der Allgemeinheit, Gleichheit und Freiheit sei verletzt worden.

Als Beispiele für Wahlfehler nannte Gerichtspräsidentin Ludgera Selting falsche, fehlende oder eilig kopierte Stimmzettel, zu wenige Wahlurnen, die zeitweise Schließung von Wahllokalen sowie lange Schlangen davor mit Wartezeiten von mitunter mehreren Stunden. In rund der Hälfte der 2256 Wahllokale stimmten Wähler noch nach 18.00 Uhr ab.

Das Gericht nannte einige Zahlen als Beleg für seine Entscheidung: So hätten allein bei der Zweitstimme mindestens 20.000 Menschen ihre Stimmen nicht abgeben können. Der AfD hätten demnach bereits 2000 Stimmen mehr einen weiteren Sitz im Abgeordnetenhaus gebracht, den Grünen fehlten 10.000 Stimmen für einen weiteren Sitz. 88 von 147 Parlamentssitzen seien von mandatsrelevanten Wahlfehlern betroffen.

Urteil bislang einzigartig in Deutschland

Das Urteil über eine komplette Wahlwiederholung aufgrund massiver Fehler ist in dieser Form bislang einzigartig in Deutschland. Das Hamburgische Verfassungsgericht hatte die Wahl zur Bürgerschaft 1991 für ungültig erklärt, allerdings aus anderen Gründen: Die CDU hatte ihre Kandidaten unrechtmäßig aufgestellt. In der Folge gab es dann 1993 eine Neuwahl, nachdem sich das Parlament aufgelöst hatte.

Die Berliner Entscheidung ist nicht unumstritten - auch in den Reihen des Verfassungsgerichts. Das Urteil sei mit 7:2 Stimmen ergangen, teilte Präsidentin Selting mit. Etliche Politiker und Rechtsexperten hatten in den vergangenen Monaten für eine Teilwiederholung plädiert.

Bundestagswahl wird nur in 431 Wahlbezirken wiederholt

In diese Richtung läuft es bei der Bundestagswahl: Der Bundestag beschloss in der vergangenen Woche auf Basis einer Empfehlung seines Wahlprüfungsausschusses mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP, dass sie in 431 Berliner Urnen- und Briefwahlbezirken wiederholt werden muss. Die Fraktionen gehen aber davon aus, dass der Beschluss vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten wird.

Das Berliner Gericht blieb hingegen bei seiner Linie einer kompletten Wiederholung, die es schon in einer mündlichen Verhandlung Ende September angekündigt hatte. Zudem sah es keine Gründe, die Sache den Richtern in Karlsruhe vorzulegen, wie es die Senatsinnenverwaltung angereget hatte. »Es gibt keinen neuen rechtlichen Maßstab«, sagte Selting. »Neu ist vielmehr der Sachverhalt, über den ein Gericht bislang noch nie zu entscheiden hatte.«

CDU ätzt gegen Senat

Die Regierende Bürgermeisterin Giffey versprach, dass der Senat alles tun werde, um eine reibungslose Abstimmung vorzubereiten. Es seien Fehler passiert, die nicht noch einmal passieren dürften. CDU- Generalsekretär Mario Czaja sagte, Fehler wie bei der Berliner Wahl kenne man sonst nur aus Staaten, die von internationalen Wahlbeobachtern begleitet würden. »Es ist traurig zu sehen, dass der Berliner Senat nicht mal in der Lage war, eine ordnungsgemäße Wahl zu organisieren.« Czaja forderte auch personelle Konsequenzen. Unterdessen versicherte der Präsident des Abgeordnetenhauses, Dennis Buchner, dass das Parlament weiter arbeitsfähig sei.

Laut Wahlleiter Bröchler sollen bei der Wiederholung in den Wahllokalen mehr Wahlkabinen bereitstehen. Statt 34.000 Wahlhelfern sollen mindestens 38.000 im Einsatz sein, womöglich noch mehr. Ihre Entschädigung, das »Erfrischungsgeld«, wurde von 60 auf bis zu 240 Euro erhöht.

© dpa-infocom, dpa:221116-99-536618/12