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Wie schützt man die Erdumlaufbahn vor Weltraumschrott?

Mehr als 10.000 Tonnen beträgt die Masse der Raumstationen, Satelliten und Schrottpartikel im Orbit rund um die Erde. Zu viel, meinen einige Forscher und fordern einen rechtsverbindlichen Vertrag.

Weltraumschrott
Das computergenerierte Bild zeigt Weltraummüll früherer Weltraummissionen, der neben intakten Satelliten um die Erde kreist. Foto: ESA
Das computergenerierte Bild zeigt Weltraummüll früherer Weltraummissionen, der neben intakten Satelliten um die Erde kreist.
Foto: ESA

Mit Sputnik 1 wurde 1957 der erste Satellit in den Weltraum geschossen. Mehr als 60 Jahre lang hat die Menschheit nun verschiedenste Objekte in den Weltraum gebracht - und dort zurückgelassen. Über 10.000 Satelliten umkreisten nach Angaben der europäischen Weltraumbehörde Esa Ende 2022 unseren Planeten, darunter 7500 funktionsfähige. Die Masse aller Gegenstände im Erdorbit beziffert sie auf über 10.000 Tonnen.

Angesichts der rasch wachsenden Raumfahrtindustrie könnten bis 2030 mehr als 60.000 Satelliten die Erde umkreisen, schreibt ein Forscherteam um Imogen Napper von der britischen Universität Plymouth im Fachjournal »Science«. Es sei daher nötig, rechtzeitig einen »rechtsverbindlichen Vertrag auszuarbeiten, der hilft, die Erdumlaufbahn zu schützen«.

Die Erdumlaufbahn ist globales Gemeinschaftsgut

Eine ungenügende internationale Regulierung auf Hoher See habe unter anderem zu Überfischung, Zerstörung von Lebensräumen und Verschmutzung durch Plastik geführt, schreibt das Team um Napper. Fortschritte zu ihrem Schutz geschähen sehr langsam. Die Nutzung der Erdumlaufbahn stecke noch in den Kinderschuhen, steige aber rasch, was die Dringlichkeit ihres Schutzes unterstreiche. »Wie die Hohe See wird die Erdumlaufbahn als globales Gemeinschaftsgut angesehen, in dem die Ausbeutung einer scheinbar kostenlosen Ressource zunimmt und die wahren Kosten möglicher Umweltschäden verschleiert werden.«

Um zu vermeiden, dass sich die Fehler beim Schutz der Hohen See nun im Orbit wiederholen, sei eine kollektive, wissenschaftsbasierte Zusammenarbeit nötig, schreiben die Forscher. Das Abkommen sollte eine Hersteller- und Nutzerverantwortung für Satelliten und Trümmer ab dem Zeitpunkt ihres Starts umfassen. Schließlich sollte der Vertrag verlangen, dass sich alle Länder, die die Nutzung der Erdumlaufbahn planen, zu einer globalen Zusammenarbeit verpflichten.

Der Weltraum ist jedoch internationales Gebiet, was einen rechtlich bindenden Vertrag schwierig macht. »Die zentrale Regelung ist der Weltraumvertrag von 1967«, sagt Weltraumrechtswissenschaftler Marcus Schladebach von der Universität Potsdam. »Der sieht zwar einen Umweltschutzartikel vor, aber da steht nur etwas von «Kontaminationen sind zu vermeiden». Den wird man auf die Rückholung von solch kleinem Weltraumschrott oder auch größeren alten Satelliten nicht anwenden können.«

Es braucht eine Rückholverpflichtung

Das Problem: Rückholaktionen kosten viel Geld und lohnen sich nicht. Schladebach plädiert für die Aufnahme einer Rückholverpflichtung in den Weltraumvertrag. Heißt: Wer etwas gestartet hat, muss es auch zurückholen. Auch die Kostenbeteiligung bei Projekten mit mehreren Staaten solle festgeschrieben werden.

»Da ist großes Schweigen auf der Seite der Weltraumverschmutzer, also der Weltraumstaaten«, sagt der Professor für Weltraumrecht, Stephan Hobe von der Universität Köln. »Die sagen, sie sind dafür entweder nicht zuständig oder die Technologie ist dazu noch nicht in der Lage.«

Zudem, so heiße es bei den Raumfahrtbehörden und Unternehmen, fehle der politische Problemdruck, sagt Schladebach. »Will sagen, dass es noch nicht so viele Unfälle gegeben hat, die dann die politischen Entscheidungsträger dazu veranlassen sollten, hier tätig zu werden.« Der größte Unfall bisher geht bis in die 1970er-Jahre zurück. Damals stürzte der radioaktiv angetriebene russische Satellit Kosmos 954 über kanadischem Territorium ab und verseuchte ein ganzes Gebiet.

Trümmerteile werden zur Gefahr für die Raumfahrt

In puncto Weltraumschrott mache es sich die Raumfahrtindustrie sehr einfach, findet Schladebach. Man habe ja schließlich die Erdatmosphäre. Rund 131 Millionen Objekte mit einem Durchmesser von über einem Millimeter bis zehn Zentimetern fliegen nach Esa-Angaben in der Erdumlaufbahn. Die lasse man im Grunde einfach herabsinken. »Die Erdatmosphäre funktioniert dann wie so eine Art Backofen und verbrennt alles. Aber das ist natürlich auch nicht grundsätzlich die Aufgabe von einer Erdatmosphäre, dass sie dort als Backofen arbeitet.« Probleme sieht Schladebach auch bei stabileren und größeren Objekten wie Satelliten aus den 60er und 70er-Jahren. Diese könnten den Eintritt in die Erdatmosphäre zum großen Teil verkraften und so irgendwann zu einer potenziellen Gefahr von oben werden.

Die andere Gefahr besteht für die Raumfahrt selbst, denn bei den über 130 Millionen kleinen Schrottteilen bleibt es nicht: Allein durch Kollisionen werden es immer mehr Trümmerteile, die Raumfahrtobjekte beschädigen können. Die Internationale Raumstation ISS musste nach Angaben der russischen Raumfahrtorganisation Roskosmos erst anfang März erneut in eine andere Umlaufbahn bugsiert werden, um einen Zusammenstoß mit Weltraumschrott zu vermeiden. Für die ISS sei es bereits das 334. Ausweichmanöver seit ihrem Bestehen gewesen.

Es gibt jedoch schon Ansätze zum Schutz der Raumfahrtobjekte. So veröffentlichte das Büro der Vereinten Nationen für Weltraumfragen (UNOOSA) in Wien 2007 nach internationalen Verhandlungen die Space Debris Mitigation Guidelines. Diese sehen als zentralen Punkt vor, dass die Raumfahrtindustrie bereits bei der Produktion von Weltraumgegenständen daran zu denken hat, was nach der Nutzung mit diesen Gegenständen passieren soll.

Schladebach sieht aber auch problematische Lösungsansätze. Es gebe Überlegungen, dass ein Raumfahrtgegenstand, kurz bevor er quasi seinen letzten Atemzug tut, mit viel Energie in eine ganz hohe Umlaufbahn geschossen wird. Dann würden die Menschen erst in drei, vier oder fünf Generationen damit vor Probleme gestellt. Verbringen in sogenannte Weltraumfriedhöfe nennt sich das.

Die bisherige Rechtsordnung im All zeichne sich durch eine sehr starke Liberalität aus, erklärt Hobe. Dass Restriktionen schwierig zu erstellen seien, liege auf der Hand, denn die bisherigen Hauptakteure im All müssten ihrem eigenen Handeln nun Fesseln anlegen. Stellten sie sich aber gegen solche Regeln, stünden sie sich selbst im Weg, meint Hobe. »Sie schneiden sich nämlich die Möglichkeit ab, selbst weiter, auch über ihre Privatunternehmen, den Weltraum zu erforschen und vor allem auch zu nutzen.« Weltraumrecht sei maßgeblich Völkerrecht und ohne den Willen und das eigene Interesse der Staaten gehe dabei nichts. Hobe sieht diese Interessen zwar wachsen, aber es sei noch ein längerer Weg, bis sich wirklich etwas in Sachen Regeln für Weltraumschrott ändere.

© dpa-infocom, dpa:230402-99-180454/4