Logo
Aktuell Wissenschaft

Solaranlagen in den Alpen: Energielösung oder Verschandelung

Der Run mit Solaranlagen auf die Schweizer Alpengipfel hat begonnen: Sie könnten bald quadratkilometerweise mit Solarpanels bebaut werden. Der Widerstand von Anwohnern formiert sich.

Alpine Solaranlage
Bau einer alpinen Solaranlage an der Muttsee-Staumauer. Foto: Daniel Werder
Bau einer alpinen Solaranlage an der Muttsee-Staumauer.
Foto: Daniel Werder

Für Astronaut Buzz Aldrin ist es die tollste Landschaft, die er je gesehen hat, und der war immerhin schon einmal auf dem Mond. Zumindest beschrieb er das Saflischtal im Schweizer Kanton Wallis auf mehr als 2000 Metern Höhe 2015 in einem Werbespot so.

Nun ist die Natur dort in Gefahr, sagen Landschaftsschützer. Beim Bergdorf Grengiols ist eine gigantische Solaranlage geplant, so groß wie 700 Fußballfelder. Und nicht nur dort: Dutzende Projekte sind am Start, seit das Parlament Subventionen in Milliardenhöhe in Aussicht gestellt hat. Es herrscht Goldgräberstimmung in der Schweiz.

In Grengiols machen rund 600 Mitglieder der Interessengemeinschaft Saflischtal gegen die Pläne mobil, darunter Ulrike Steingräber-Heinen (42). Sie ist aus Magdeburg, hat neun Sommer als Hirtin und Käserin in der Region gearbeitet und ist heute mit einem einheimischen Landwirt verheiratet. Solarstrom zur Reduzierung der Treibhausgase sei wichtig, sagt sie der Deutschen Presse-Agentur. »Wir haben selbst eine Photovolatikanlage auf dem Dach. Aber es kann doch nicht das Ziel sein, Natur zu zerstören, um die Natur zu schützen.«

»Sonnenstrom-Bonanza in den Bergen«

Das neue Energiegesetz erleichtert Bewilligungen für alpine Projekte und verspricht Geld. Wer daran will, muss sich aber sputen: "Anlagen, die bis zum 31. Dezember 2025 mindestens teilweise Elektrizität ins Stromnetz einspeisen, erhalten vom Bund eine Einmalvergütung in der Höhe von maximal 60 Prozent der Investitionskosten", so das Gesetz. »Sonnenstrom-Bonanza in den Bergen« schrieb die "Neue Zürcher Zeitung".

Plötzlich gelten die Alpen nicht mehr nur als ein Freizeitparadies mit Weiden zur Produktion von gutem Bergkäse. Sie könnten der Schweiz auch aus dem Energiedilemma helfen. »Wir haben sehr viele Gebiete, die von der Sonneneinstrahlung her geeignet wären«, sagt Jürg Rohrer von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Der Dozent für erneuerbaren Energien ist ein Pionier alpiner Solaranlagen.

Was die so attraktiv macht: Sie liefern auch im Winter gut Strom, weil sie meist über der Nebeldecke liegen, bei Kälte sehr effizient sind und von Reflexionen durch den Schnee profitieren. Rohrer hat seit 2017 eine Versuchsanlage mit verschiedenen Solarmodulen bei Davos. »Sie produzieren im Winter drei- bis viermal so viel Strom pro Fläche wie Anlagen im Mittelland«, sagt er. Bislang ist das Potenzial praktisch ungenutzt: Außer einer kleinen Solaranlage in Österreich gibt es nach seinen Angaben in den Alpen nichts auf freier Fläche.

»Wir könnten mit alpinen Anlagen 40 Terawattstunden produzieren«, sagt Rohrer der dpa. Gemeint ist die Jahresproduktion, und das entspräche etwa zwei Drittel des jährlichen Strombedarfs der Schweiz. »Aber man muss beachten, dass die Gebiete halbwegs zugänglich sein müssen.« Es gibt ja andere erneuerbare Energiequellen, Wasserkraft etwa, oder Solarkapazität auf Dächern und an Autobahnen. Für realistisch hält er in den nächsten Jahren alpine Solaranlagen mit einem Potenzial von etwa fünf Terawattstunden pro Jahr. Dafür wäre insgesamt 30 Quadratkilometer Fläche nötig, so viel wie 4200 Fußballfelder. Das sei verglichen mit 4635 Quadratkilometern vegetationslosen Flächen wenig, sagt er.

Geplantes Projekt für Anwohner »Horrorvorstellung«

Für viele Anwohner von Grengiols und Umgebung ist das von der Gemeinde und der lokalen Elektrizitätsgesellschaft geplante Projekt aber eine Horrorvorstellung. Sie werben mit einer Fotomontage für Widerstand: auf ein Foto der unberührten Natur haben sie zur Illustration künstlich tausende Solarpanels gesetzt. Ob es je so aussehen würde, ist natürlich unklar. »Solaranlagen sehen aus der Ferne wie Felsformationen aus, wenn man geschickt baut«, sagt Rohrer.

"Wir weiden unsere Tiere dort im Sommer", sagt Steingräber-Heinen. "Die Alpweiden sind ohnehin mager, aber durch den Bau mit Betonstützen, Bodenverankerungen und so weiter würde die Grasnarbe so beschädigt, dass eine Beweidung nicht mehr möglich wäre." Das Gebiet liegt im Landschaftspark Binntal, 2011 gegründet, um die Schönheit der Region zu erhalten. Sabrina Gurten, eine Biologin aus Grengiols, die ebenfalls gegen das Projekt kämpft, spricht von faunistischen und floristischen Schätzen" in dem Gebiet. Je nach genauem Standort der Anlage bestehe Gefahr, dass Arten lokal aussterben.

Die Alpenschutzorganisation Mountain Wilderness Schweiz macht gegen ein anderes Projekt in Wallis, in Gondo, mobil. Bevor die unberührte und unerschlossene Natur zugebaut wird, solle man erstmal das Potenzial mit Anlagen auf Gebäuden und Infrastrukturen ausbauen, heißt es dort. Dass wegen der Fristen für die Subventionen nun überall auf die Schnelle Solarparks geplant werden, macht auch Rohrer Sorge. »Man hat es versäumt, Qualitätskriterien einzubinden«, sagt er. »Das Wahnsinnige ist, dass es für die Subventionen völlig egal ist, ob es ein guter oder schlechter Standort ist.«

Die bislang größte alpine Solaranlage hat der Stromkonzern Axpo gebaut. Seit August produzieren Solarmodule auf der Muttsee-Staumauer im Kanton Glarus auf rund 2500 Metern Höhe Strom. Der Konzern hat jede Menge Projekte in der Pipeline, etwa Nalpsolar in Graubünden. Um von den Subventionen zu profitieren, soll es ab Herbst 2025 Strom liefern, wie Axpo-Sprecherin Jeanette Schranz sagt: »Bei unserem Projekt Nalpsolar sollen rund 30.000 Solarmodule auf Weideland installiert werden, auf einer freien Fläche etwa so groß wie zwölf Fußballfelder.« Axpo hat in der Schweiz Pläne für Solaranlagen mit mehr als 1,2 Gigawatt Leistung, die Hälfte davon in alpinen Regionen. Auch der Energiekonzern Alpiq hat drei größere Projekte am Start.

© dpa-infocom, dpa:230126-99-363985/3