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Schottergärten schaden Mikroklima und Artenvielfalt

Kieselsteine und Schotter statt blühender Sträucher und Stauden: Schottergärten mögen aufwandsarm sein und manche finden sie schick. Doch sie stellen eine Gefahr für Mikroklima und Artenvielfalt dar.

Schottergärten
Nur wenige Pflanzen ragen aus einem Vorgarten mit grauen und schwarzen Kieselsteinen - ein möglicher Kandidat für die »Gärten des Grauens«? Foto: Carmen Jaspersen
Nur wenige Pflanzen ragen aus einem Vorgarten mit grauen und schwarzen Kieselsteinen - ein möglicher Kandidat für die »Gärten des Grauens«?
Foto: Carmen Jaspersen

Ein akkurates Betonbett und darin ein Meer kleiner Steine: Schottergärten sind vielerorts sehr beliebt. Sie gelten als weniger arbeitsintensiv als ein Vorgarten voller Blumen und Sträucher. Für Artenvielfalt und Mikroklima sind die Steinwüsten aber ein schlimmer Trend. »Da findet ein Flächenverbrauch im Kleinen statt«, sagt Stefan Petzold vom Naturschutzbund (Nabu). Durch die Versiegelung könnten keine Pflanzen mehr wachsen, in der Folge fehle es Insekten und Vögeln an Nahrung.

Zudem erhitzen sich Schottergärten im Sommer auf bis zu 70 Grad, wie Petzold sagt. »Dann speichern die Steine diese Hitze auch über Nacht und entsprechend ist dann die Umgebungsluft auch deutlich heißer.« Das führe zu Veränderungen des Mikroklimas, also des speziellen Klimas eines Areals, bis in die Nachbarschaft hinein.

Pflegeleichter sind Schottergärten nur kurzfristig. Zwischen den Steinen sammelten sich Laub und Staub, heißt es vom Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg (LNV). »Auf diesem Nährboden können durch Vögel oder Wind verbreitete Samen keimen, und nach wenigen Jahren wächst auch in Schottergärten das Unkraut.« Die Pflege sei dann sehr aufwändig, vor allem, wenn man auf Gift verzichten wolle.

Boden verliert seinen Zweck

Wie viele Schottergärten es hierzulande gibt, ist schwer zu sagen. Dem Bundesumweltministerium lägen dazu keine gesicherten Angaben vor, heißt es auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Schon seit einiger Zeit aber mehrt sich der Gegenwind. Baden-Württemberg verbot 2020 die Neuanlage von Schottergärten, in mehreren weiteren Bundesländern und Gemeinden sind sie ebenfalls nicht erlaubt. Laut Niedersächsischer Bauordnung sind Schottergärten zum Beispiel bereits seit 2012 untersagt - erst kürzlich bestätigte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, dass Baubehörden in Niedersachsen Schottergärten verbieten dürfen.

Ein Schottergarten bringe letztlich den ganzen ökologischen Kreislauf durcheinander, erklärt Petzold. Der Boden als eigentlich artenreichstes Biotop in Europa verliere dort ohne Not seine Funktion und werde über Jahre unbrauchbar, sagt der Biologe Ulf Soltau. Das sei umso dramatischer, da Gärten und Siedlungsbereiche mittlerweile unsere artenreichsten Orte darstellten. Auf kleiner Fläche seien hier sehr viele verschiedene Lebensraumtypen vorhanden.

Soltau hat vor einigen Jahren die »Gärten des Grauens« ins Leben gerufen. Auf mehreren Social-Media-Plattformen sammelt er Bilder von Schottergärten und plädiert für den Naturgarten. »Unsere Artenvielfalt außerhalb der Städte ist inzwischen so drastisch zurückgegangen, dass unsere Städte und Kommunen als Biodiversitäts-Hotspot gelten«, sagt er. Doch: »Wo keine Pflanzen wachsen, wird sich auch kein Tier wohlfühlen.« Allgemeiner Artenverlust sei die Folge.

Bezug zur Natur geht verloren

Hinter Schottergärten sieht Soltau einen »übertriebenen Ordnungssinn«. Der macht der Artenvielfalt auch an anderer Stelle zu schaffen: Kurz, saftig grün und unkrautfrei – englischer Rasen ist ein Albtraum für die Artenvielfalt, aber noch immer der Traum vieler Gartenbesitzer. Doch selbst im Mutterland des gepflegten Rasens gibt es inzwischen Gegenbewegungen: Im Zuge der jährlichen Aktion »No Mow May« (etwa: Mai ohne Mähen) der britischen Naturschutzorganisation Plantlife sind Rasenbesitzer aufgefordert, zumindest im Mai ihre Wiese mal wachsen zu lassen. Dass Wildwuchs und wuchernde Gärten für Insekten wichtig sind, nimmt auch die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft 1822 (DGG) zum Anlass, zum »mähfreien Mai« aufzurufen.

Nicht nur die Artenvielfalt leidet unter wenig grünem Lebensraum. Es gebe auch psychosoziale Folgen, die man bei Schottergärten nicht unterschätzen sollte, meint Soltau. »Wer in so einem Umfeld aufwächst, der wird auch keinen Bezug zur natürlichen Umgebung aufbauen und der wird später die Natur nicht kennenlernen. Und was man nicht kennt, das schützt man nicht.«

Die Natur sei für den Menschen enorm wichtig, findet auch der Psychotherapeut Karl-Heinz Menzen. Der Bezug zur Natur sei vielen Menschen schon verlorengegangen - und falle als Anregung von außen weg. »Schotter, Zement und Beton sind nicht gerade das anregendste«, sagt er. »Und was ist eine bessere Anregung, als von der Natur angesprochen zu werden?«

Ist der Trend schon wieder vorbei?

Schottergärten können zudem eine direkte Gefahr für Menschen bedeuten. Sie sind oft auf einer Folie oder einem Vlies angelegt, die kein oder kaum Wasser durchlässt. Natürlicher Boden funktioniere wie ein Schwamm, erklärt Petzold: Das Wasser versickert und steht Pflanzen später zur Verfügung. Bei wasserdicht grundierten Schottergärten hingegen fließe der Niederschlag oberirdisch über den Gehweg in die Kanalisation ab. »Das ist natürlich auch bei möglichen Starkregen-Ereignissen, die wegen der Klimakrise zunehmen, eine deutlich höhere Belastung der Kanalisation«, sagt Petzold.

So sehr viele Menschen offenbar an ihrem grau gekieselten Vorgarten hängen: Der Trend zum Schottergarten sei - nicht zuletzt wegen der Verbote - vorbei, meint Bettina de la Chevallerie von der Gartenbau-Gesellschaft DGG. Das Interesse am Naturgarten wachse. In ihrer Schrebergartenkolonie etwa gebe es Überlegungen zur Gestaltung der allgemein zugänglichen Flächen mit Insektenhotels, Fledermausunterkünften und Blühstreifen.

Insgesamt ist der Weg zu mehr wildem Grün aber wohl noch weit. Das zeige sich auch in ihrer Schrebergartenkolonie, sagt de la Chevallerie. »90 Prozent der eigentlichen Gärten sind dann eher ohne Wildpflanzen, sondern eher geordnet mit Rasen und nur bei 10 Prozent probieren die Gärtner etwas aus. So ähnlich sieht es, denke ich, bundesweit aus.«

© dpa-infocom, dpa:230321-99-29578/2