Logo
Aktuell Wissenschaft

Nach Oder-Katastrophe fehlen mehr als die Hälfte der Fische

Ist die nächste Oder-Katastrophe nur eine Frage von Wochen? Ergebnisse von Gewässer-Experten und eine erste Schadensbilanz beunruhigen. Zudem bleibt das Verhältnis zu Polen getrübt.

Berlin
Bundesumweltministerin Steffi Lemke besucht das Leibnitz-Institut für Gewässerökologie. Foto: Wolfgang Kumm/DPA
Bundesumweltministerin Steffi Lemke besucht das Leibnitz-Institut für Gewässerökologie.
Foto: Wolfgang Kumm/DPA

Fast ein Jahr nach der Umweltkatastrophe in der Oder im vergangenen Sommer fehlen in dem Fluss laut Analysen mehr als die Hälfte der Fische. Vor allem in der Strommitte der Oder nahmen die Fischbestände um 53 bis 67 Prozent ab, wie wissenschaftliche Untersuchungen zum Zustand des deutsch-polnischen Grenzflusses in diesem Jahr zeigten. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) bezeichnete die Situation als »bedrückend«.

Sie sagte am Montag im Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin, die Zeit dränge, um den hohen Salzgehalt in der Oder zu verringern, der wahrscheinlich aus dem polnischen Bergbau stamme. Bislang sei hier in Polen aber »kein Paradigmenwechsel zu erkennen«. »Deshalb bleibt das Verhältnis angespannt«, sagte Lemke.

Sie informierte sich am Montag im Forschungsinstitut IGB über die bisherige Schadensbilanz nach der Umweltkatastrophe und die Erholung der Fischbestände. Die Sorge ist seit Monaten in Politik und Wissenschaft groß, dass sich das massenhafte Fischsterben aus dem vergangenen August in diesem Sommer wiederholt. Die Wissenschaftler des IGB forschen mit fast 5 Millionen Euro Fördermitteln zum Zustand der Oder und der Brackwasseralge Prymnesium parvum. »Diese kleine Alge gibt uns viele Rätsel auf«, sagte der Wissenschaftler Jan Köhler.

Hoher Salzgehalt, Niedrigwasser, hohe Temperaturen und das Gift der Algenart Prymnesium parvum, die auch Goldalge genannt wird, gelten als Ursachen für das massenhafte Fischsterben. Laut neuesten Angaben des IGB-Wissenschaftlers Christian Wolter verendeten laut Schätzungen rund 1000 Tonnen Fisch in dem Fluss. Die Zahlen liegen höher als bisher angenommen, denn viele Fische konnten nicht vom Ufer abgesammelt werden, da sie etwa auf den Flussgrund sanken, wie es hieß.

Anzeichen für eine erste Erholung

»Es gibt eine gewisse Beunruhigung, dass die Situation an der Oder der vom vergangenen Sommer ähnelt«, sagte IGB-Vizedirektor Thomas Mehner. Von März bis Juni dieses Jahres sei die Algen-Konzentration in der Oder auch stark gestiegen, sagte Projektleiter Martin Pusch. Das IGB will eine Art Frühwarnsystem für die Entwicklung der Algenart aufbauen, die ein tödliches Gift produzieren kann, aber bisher in Süßgewässern nicht auftrat. An Messstationen auf deutscher Seite wird laut IGB die Konzentration gemessen sowie mit einem speziellen Test analysiert.

Trotz der deutlichen Verluste beim Fischbestand der Oder - wie vor allem bei den Arten Güster, Stromgründling, Ukelei - gebe es Anzeichen für eine erste Erholung, sagte der Fischökologe und IGB-Wissenschaftler Wolter. Es seien alle Arten nachgewiesen worden. »Es war ein gutes Fortpflanzungsjahr.« Jede weitere Belastung der Oder hätte dramatische Folgen für einen sehr langen Zeitraum, hieß es. Das Forschungsinstitut IGB wie auch Lemke fordern seit langem einen Stopp des Oder-Ausbaus vor allem auf polnischer Seite.

© dpa-infocom, dpa:230626-99-193112/3