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Konstanzer Wissenschaftler wollen Wettlauf mit den Heuschrecken gewinnen

Seit Jahrzehnten hat Ostafrika keine so schlimme Heuschreckenplage gesehen. Die Maßnahmen, die ergriffen werden, reichen nicht aus - es steht eine zweite Invasion bevor. Wie sind derartige Plagen zu bekämpfen? Wissenschaftler aus Konstanz suchen in Kenia Antworten.

Plage
Ostafrika, hier der Norden Kenias, wird von Milliarden Heuschrecken heimgesucht. Die Insekten fallen über Pflanzen her und können in kürzester Zeit ganze Felder zerstören. Experten befürchten eine Hungersnot. Foto: Ben Curtis/AP/dpa
Ostafrika, hier der Norden Kenias, wird von Milliarden Heuschrecken heimgesucht. Die Insekten fallen über Pflanzen her und können in kürzester Zeit ganze Felder zerstören. Experten befürchten eine Hungersnot. Foto: Ben Curtis/AP/dpa
ARCHERS POST. Gräser, Büsche und Akazienbäume bedecken die Landschaft Samburus. Heuschrecken sind keine zu sehen. Es herrscht Stille. Wo sind die Insekten, die hier im Norden Kenias in schier apokalyptischem Ausmaß über die Landschaft hergefallen sind? Erst bei genauem Hinsehen zeigt sich: Der gelbgrüne Grasteppich ist gar keiner, es sind Wüstenheuschrecken, dicht an dicht. Zu Tausenden und Abertausenden wuseln sie über den Boden. Gelbgrün mit schwarzen Punkten bedecken sie die kahle, trockene Erde. Geht man auf den Insektenteppich zu, bricht Panik aus; die Heuschrecken hüpfen weg, retten sich auf Sträucher und unter Bäume.

Drei Forscher vom Bodensee bahnen sich einen Weg durch das Gewusel am Boden. Mit dabei haben sie ein Fangnetz, Eimer, Kameras und Trinkwasser. Dem Team von der Universität Konstanz steht ein langer Tag mit den Heuschrecken in der trockenen Hitze Samburus bevor. Der 30-jährige Postdoktorand Felix Oberhauser aus Österreich hält inne, zeigt auf die Insekten: »Das ist die sich vorbereitende zweite Invasion der Heuschrecken.«

Seit Wochen machen sich zig Milliarden Wüstenheuschrecken in Ostafrika breit und versetzen Bewohner und Behörden in Angst. Zu recht. Kenia hat seit mehr als 70 Jahren keine so schlimme Heuschrecken-Invasion gesehen, den umliegenden Ländern geht es ähnlich. Aus dem Jemen kommend über Äthiopien und Somalia haben kilometerlange Schwärme ganze Landstriche kahlgefressen. Ein Schwarm von etwa einem Quadratkilometer kann laut UN-Landwirtschaftsorganisation (FAO) an einem Tag potenziell so viel vertilgen wie 35 000 Menschen. Hunderttausende Hektar Land sind demnach schon betroffen.

Und es kommt wohl noch schlimmer: Die ersten Schwärme haben auf ihrer Reise Eier gelegt, die nächste Generation ist geschlüpft. Noch können diese Heuschrecken nicht fliegen und bewegen sich in sogenannten Hopper-Banden auf dem Boden fort. Doch bald haben sie Flügel. »Neue Schwärme fangen an, sich zu bilden«, sagt Keith Cressman, der Mann bei der FAO, der sich um Heuschrecken-Ausbrüche kümmert. Genau zur wichtigsten Pflanz- und Erntezeit in der Region. »Die Lage ist extrem alarmierend.«

Für die Forscher aus Konstanz ist die beste Waffe Wissen. Es ist ein faszinierendes Phänomen, das zur Bildung der Schwärme führt, die den Himmel über Kenia verdunkeln können. Normalerweise sind Heuschrecken Einzelgänger und meiden ihre Artgenossen. Bilden sie aber doch durch bestimmte Umstände - etwa wegen Futter - eine Gruppe, werden sie schlagartig zu einem Gruppentier. Innerhalb von Stunden verändert sich ihr Verhalten: Sie bewegen sich als Kollektiv, ihre Reproduktionszeit wird kürzer, die Lebensdauer auch. Andere Einzelgänger werden vom Schwarm aufgesogen.

»Wir wissen, was passiert«, erklärt Einat Couzin-Fuchs, die Leiterin des Forschungsteams, die früher nach Konstanz zurückgeflogen ist. »Aber wir wissen nicht genau wie.« Wie bleiben die Heuschrecken zusammen? Über Berührung, Sicht, Gerüche? Wer gibt die Richtung an? Kann man vorhersagen, wo die Tiere hinziehen werden? Und am allerwichtigsten: Kann man die Bildung solcher Gruppen verhindern?

Die Forscher haben ein ausgetrocknetes Flussbett gefunden, das für die heutigen Experimente ideal ist. Im Schatten des Ufers packt die Doktorandin Inga Petelski ihre Instrumente aus: Pinsel und Acrylfarbe. Aus einem Eimer, den sie zuvor mit eingefangenen Heuschrecken gefüllt hat, nimmt sie vorsichtig ein Insekt nach dem anderen. Einige malt sie grün an, andere bekommen neon-gelbe Punkte auf den Rücken. Dann kommen sie in eine leere Plastikflasche. Petelski versucht auch zu testen, wie sich Heuschrecken verhalten, wenn ihre Augen verdeckt oder Antennen abgeschnitten sind.

Die Forscherin will rausfinden, mit welchem Sinn sich die Insekten aneinander orientieren. Etwas Aufschluss hat sie während der Tage in Kenia bereits bekommen. »Anscheinend orientieren sie sich stark visuell«, sagt die 32-Jährige. Die Arbeit der Wissenschaftler scheint mühsam und langwierig. Die Heuschrecken wollen heute nicht so recht, sie wechseln die Richtung und klettern das Flussufer hoch.

Der 24-jährige Doktorand Yannick Günzel, der die Bewegungsrichtung der Insekten beobachtet, muss sein Experiment abbrechen. Die Sonne steigt, es wird heißer, die Insekten bewegen sich weniger, die Zeit rennt davon. Die Wissenschaftler müssen umdenken und improvisieren. Es ist anders als im Labor in Konstanz, wo sie mit viel weniger Heuschrecken arbeiten und externe Faktoren kontrolliert werden können. Hier in der Natur verhalten sich die Insekten ganz anders als erwartet. Die Forscher müssen sich anpassen, an die Heuschrecken und die Elemente.

Doch genau das ist auch der Grund, warum sie nach Kenia gereist sind. »Alles, was wir über Heuschreckenplagen wissen, stammt aus zwei oder drei Feldstudien, die vor etwa 70 Jahren in Kenia durchgeführt wurden«, sagt Couzin-Fuchs. Seitdem sei quasi keine wissenschaftliche Forschung im Feld gemacht worden. Das liegt vor allem daran, dass Heuschreckenplagen nicht oft vorkommen und wenn, dann meist in Ländern wie dem Jemen, die schwer zugänglich sind.

Allerdings wirkt die Wissenschaft im Vergleich zur Dringlichkeit der Krise extrem langsam. Das ist dem Team bewusst. »Unser Ziel ist es nicht, bei diesem Ausbruch zu helfen«, sagt Couzin-Fuchs. Sie hofft auf einen Beitrag zu langfristigen Lösungen. Etwa, die Heuschrecken davon abzuhalten, sich von einem Einzelgänger zu einem Gruppentier zu wandeln. »Wir könnten konkrete Mittel entwickeln, um diesen Mechanismus zu blockieren«, sagt sie.

Ein wenig können die Forscher aber doch bei der aktuellen Plage helfen. Ihre Beobachtungen in den abgelegenen Gebieten geben sie an die Behörden weiter. Etwa an Daniel Lesaigor, der für die Bekämpfung der Heuschrecken im Bezirk Samburu verantwortlich ist. Sein Team besprüht die Insekten aus der Luft und von Fahrzeugen aus mit Pestiziden.

Lesaigor ist klar: Die beste Chance, die Invasion noch in den Griff zu bekommen, ist jetzt. Solange sie noch am Boden sind, sind Wüstenheuschrecken vergleichsweise langsam unterwegs. Am Tag legen sie nur wenige Kilometer zurück - fliegende Schwärme dagegen 100 bis 150 Kilometer. Und während sie jung sind, können die Tiere noch keine Eier legen. Bislang hat sein Team 74 Hopper-Banden besprüht, allerdings gibt es mindestens 164 weitere, wie Lesaigors erklärt. »Wir versuchen den Kreislauf zu durchbrechen, damit keine der Hopper wegfliegen.«

Wenn sie einmal fliegen, geht alles wieder von vorne los: Die Schwärme fressen weitere Landstriche kahl, werden vom Wind kilometerweit getragen, legen Eier. »So eine Plage kann sich mehrere Jahre halten«, sagt Oberhauser. Wie und wann Ostafrika sie los wird, liegt nicht allein am Willen des Menschen. Ungünstiges Wetter würde helfen, sagt Cressman von der FAO. Damit meint er Trockenheit.

Doch nun steht in der Region die Regenzeit an und damit auch die wichtigste Erntezeit des Jahres. Die Heuschrecken seien eine große Bedrohung für die Lebensgrundlage und Nahrungsmittelsicherheit der Menschen, sagt Cressmann.

In Samburu haben sich die Forscher einen neuen Platz ausgesucht, weiter oben am Berg. Günzel baut wieder seine Kamera auf und Petelski macht sich dran, ihre bunt markierten Heuschrecken in eine Gruppe Artgenossen zu entlassen und ihr Verhalten zu beobachten. (dpa)