Große Kulleraugen, ein fröhlich wippendes Schwänzchen und vier staksige Beine - seit »Bambi« haben viele Menschen eine klare Vorstellung von der Rollenverteilung im Wald: auf der einen Seite das niedliche Reh, auf der anderen Seite die Jäger, die »Bambis« Mutter töten. Doch jetzt steht dieses Bild Kopf: Forstleute und Naturschutzverbände fordern, mehr Rehe zu schießen, denn diese bremsen ihnen zufolge den in der Klimakrise so wichtigen Waldumbau - so manche Jägerinnen und Jäger aber zögern. Um »Bambi« ist eine Art Kulturkampf ausgebrochen.
Vor etwa 100 Jahre erschien der Roman »Bambi - Eine Lebensgeschichte aus dem Wald« des österreichischen Schriftstellers Felix Salten. Berühmt machte »Bambi« dann rund 20 Jahre später der Zeichentrickfilm von Walt Disney, der auf dem Buch basiert. Für Generationen von Kindern war dieser prägend - auch für die Münchner Medienwissenschaftlerin Maya Götz: »Er prägt unser Bild, wie geht es einem Reh. Und er prägt das Bild vom Jäger – nämlich: Er schießt Rehe.«
Vor allem die Szene, in der »Bambis« Mutter bei einer Treibjagd erschossen wird, wirkt noch Jahrzehnte später nach, wie Götz in einer Studie zu Angst und Alpträumen herausfand, die Filme hervorrufen. Dazu befragte sie rund 630 Erwachsene aus acht Ländern. »«Bambi» war einer der am häufigsten genannten Filme«, sagt die Expertin vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen des Bayerischen Rundfunks.
Debatte um Abschusszahlen
»Bambi« sei bis heute ein »Supergau für die Forstwirtschaft«, meint der bayerische Heimatpfleger Rudolf Neumaier, der ein Buch über Rehe geschrieben hat. »Das Wildtier Reh ist durch die Marke «Bambi» so populär geworden, dass es schwierig ist, eine Geschichte zu erzählen, in der es ein Schädling ist.« Neumaier ist Jäger und beobachtet die Debatte um die Abschusszahlen ganz genau. »Ich finde, es wird zu schnell gefordert, die Rehbestände anzupassen - oder zu regulieren, wie es euphemistisch heißt.«
Das fordert zum Beispiel Ralf Straußberger vom Bund Naturschutz in Bayern. Etwa 450.000 Hektar Wald müssen nach Angaben des Bundesagrarministeriums in den nächsten Jahren in Deutschland wieder aufgeforstet werden. Doch oft hätten die jungen Bäumchen keine Chance hochzuwachsen, weil Rehe und Hirsche diese anknabberten, sagt Straußberger. Vor allem in Gebieten, wo der Wald geschädigt sei, müssten die Abschussquoten deshalb steigen.
Dass eine solche Forderung auch auf Unverständnis stößt, liege auch an »Bambi«, meint Straußberger. »Viele glauben auch wegen des Films, dass der Hirsch das männliche Reh ist. Da sieht man, wie man mit einer Erzählung einen völlig falschen Eindruck erweckt«, erläutert der Naturschützer. In Saltens Roman ist »Bambi« ein Rehbock. Im Film, der in Nordamerika spielt, wird daraus aber ein Weißwedelhirsch.
1,2 Millionen Rehe jährlich in Deutschland erlegt
Auch der Forstwissenschaftler Ulrich Schraml sieht ein besonderes Verhältnis zu Rehen und Hirschen in Deutschland. »Da wird beim Abschuss ganz anderes diskutiert als beim Wildschwein.« Aus ökologischer Sicht kann es ihm zufolge aber durchaus Sinn machen, dort verstärkt Rehe zu jagen, wo man den Wald umbaut.
1,2 Millionen Rehe werden nach Angaben des Deutschen Jagdverbands jährlich in Deutschland erlegt. Die Debatte, wie viele es zum Schutz des Waldes mehr sein müssten, greift nach Ansicht von Sprecher Torsten Reinwald zu kurz. »Man braucht eine wildökologische Raumplanung.« Das bedeute neben verstärkter Jagd in Aufforstungsflächen zum Beispiel auch Ruhezone mit attraktivem Nahrungsangebot.
Ähnlich sieht es Andreas Kinser von der Deutschen Wildtier Stiftung in Hamburg. In Gegenden, wo Stürme oder der Borkenkäfer gewütet hätten, spiele die Jagd eine wichtige Rolle, sei aber nicht die alleinige Lösung. Neu gepflanzte Bäume aus der Baumschule wie Douglasie oder Roteiche müssten in den ersten Jahren zusätzlich geschützt werden. Denn diese seien mit ihrem hohen Nährstoffgehalt ein Leckerbissen für Rehe.
In der Debatte um die Abschusszahlen könnte »Bambi« dem Reh sogar eher geschadet haben, meint Kinser. »Ohne das Klischee gebe es nicht so viel Emotionalität in der Debatte. Das macht es nicht leichter.« (dpa)