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Erschrockenes Schweigen zum Papier über Pandemie-Ursprung

Der Hamburger Nanowissenschaftler Wiesendanger will den Ursprung der Corona-Pandemie in einem Labor in China ausgemacht haben. Wegen seiner Methodik ist die Empörung in sozialen Netzwerken nun groß.

Coronavirus - Wuhan
Ein Mitarbeiter des Coronavirus-Nachweislabors »Huoyan« in Wuhan,. Die Suche nach der Herkunft des Erregers gilt als politisch heikel. C. Foto: Cheng Min/XinHua/dpa
Ein Mitarbeiter des Coronavirus-Nachweislabors »Huoyan« in Wuhan,. Die Suche nach der Herkunft des Erregers gilt als politisch heikel. C. Foto: Cheng Min/XinHua/dpa

HAMBURG. Seit die Universität Hamburg die Untersuchung des Nanowissenschaftlers Prof. Roland Wiesendanger über die Pressestelle hat veröffentlichen lassen, wonach der Ursprung des Coronavirus in einem Labor im chinesischen Wuhan zu finden sei, scheinen die wichtigsten Akteure in Schockstarre verfallen zu sein.

Zu heikel scheinen die Ausführungen, zu fragwürdig die wissenschaftlichen Methoden, als dass sich irgendjemand äußern oder gar den Scharfrichter spielen möchte.

Seien es das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) mit der Top-Virologin Marylyn Addo, das Hamburger Bernhard-Nocht-Institut mit dem ebenfalls prominenten Virologen Jonas Schmidt-Chanasit oder der Akademische Senat und der Hochschulrat der Universität - alle winken ab oder reagieren erst gar nicht. Schließlich kommt Wiesendanger in seinem Papier auf recht unkonventionelle Weise zum Ergebnis, dass sowohl Zahl als auch Qualität der Indizien für einen Laborunfall am virologischen Institut der Stadt Wuhan als Ursache der Pandemie sprechen. Seine Quellen sind dabei unter anderem Youtube-Videos - womit er eine Welle der Empörung im Netz ausgelöst hat.

Auch Uni-Präsident Prof. Dieter Lenzen will sich nicht äußern. Dabei hat er den Physiker Wiesendanger nach dessen Aussage sogar zur Veröffentlichung ermuntert. »Er hat mich ermutigt, in meiner Rolle als Wissenschaftler, diese Dinge jetzt in die Öffentlichkeit zu bringen und nicht nur in Wissenschaftskreisen zur Diskussion zu stellen«, sagte Wiesendanger der Deutschen Presse-Agentur. Nun heißt es von der Pressestelle nur: »Die Hochschulleitung und die Pressestelle der Universität Hamburg üben keine Zensur zu Forschungsgegenständen und -ergebnissen ihrer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus.«

Wiesendanger selbst ficht die Kritik nicht an. »Es war mir vollkommen bewusst, was da auf mich zukommt.« Auch die vorsichtige Absetzbewegung der Hamburger Wissenschaftsbehörde scheint ihn nicht zu beeindrucken. Dabei hat die klargestellt: »Wissenschaftsfreiheit ist ein unverrückbares Gut. Gleichwohl gilt für alle Form wissenschaftlicher Forschung, dass bei unklarer oder unsicherer Datenlage Zurückhaltung in der Bewertung angebracht ist«, sagte ein Sprecher von Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne).

Wiesendanger kündigte dagegen an: »Es ist vollkommen klar, wir werden die Studie jetzt zeitnah in vielen anderen Sprachen zur Verfügung stellen.« Die Problematik müsse thematisiert werden unter der Bevölkerung vieler Länder. »Das ist keine Studie für wissenschaftliche Fachpublikationen.« Wiesendanger hatte seine Untersuchung auf der Plattform »Research Gate« als soziales Netzwerk für Forscher hochgeladen, in wissenschaftlichen Fachblättern ist sie bislang nicht erschienen. »Diese wissenschaftliche Kritik und Methodik fehlt in diesem Fall noch komplett«, sagte Markus Weißkopf, Geschäftsführer der Initiative Wissenschaft im Dialog, die sich mit der Entwicklung und Qualität von Wissenschaftskommunikation befasst.

In den Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR werde davon abgeraten, aktive Pressearbeit über nicht extern begutachtete Studien zu machen, erklärte Weißkopf - auch und gerade in Zeiten der Pandemie, in denen vorläufige wissenschaftliche Erkenntnisse von der Öffentlichkeit begierig aufgesogen würden. Pressestellen müssten die Folgen ihrer Veröffentlichungen und Interpretationsspielräume stärker bedenken, betonte Weißkopf. »Wenn ein Thema erwartbar große Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird und die öffentliche Diskussion beeinflussen könnte, ist es Aufgabe von Pressestellen, bei Zweifeln kritisch bei Wissenschaftlern nachzufragen.«

Hamburgs Wissenschaftsbehörde verwies in ihrer Stellungnahme auch auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die erst vor Kurzem das Ausbruchsgeschehen in Wuhan untersucht hat. Wann deren endgültiger Bericht vorgelegt wird, steht jedoch nach wie vor nicht fest. Dass das Virus aus einem chinesischen Labor entwich, hatte der beteiligte Experte Peter Ben Embarek zum Ende des Besuchs aber bereits als unwahrscheinlich bezeichnet.

Das Wuhan-Institut für Virologie (WIV) sammelt und bearbeitet Virusproben und forscht dabei auch mit Coronaviren von Fledermäusen. Daher ist eine der zu prüfenden Theorien zum Ursprung, dass Sars-CoV-2 dort absichtlich erzeugt wurde oder versehentlich entstand und dann entwich. In Wuhan waren Anfang Dezember 2019 erstmals Ansteckungen mit dem neuen Erreger entdeckt worden.

Die Suche nach der Herkunft des Erregers gilt als politisch heikel. China fürchtet, als Schuldiger für die Pandemie angeprangert zu werden - wäre das Virus tatsächlich aus einem Labor entwichen, könnten Entschädigungsforderungen weltweit drohen. Für Wiesendanger steht aber schon fest, dass er Recht hat. (dpa)