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Ein Leben an der Kette: Affen als Kokospflücker in Thailand

Affen als Kokospflücker einzusetzen, hat in Thailand Tradition. Die klugen Tiere werden für die Aufgabe hart gedrillt und leben ständig angekettet. Eine Spurensuche auf Ko Samui.

Affen als Kokospflücker
Besitzer Lek holt seinen Affen Nong nach getaner Arbeit, dem Kokosnusspflücken, wieder von der Kokospalme. Foto: Carola Frentzen
Besitzer Lek holt seinen Affen Nong nach getaner Arbeit, dem Kokosnusspflücken, wieder von der Kokospalme.
Foto: Carola Frentzen

Nong läuft seit einer Stunde im Kreis. An seinem engen Metallhalsband ist eine nur etwa drei Meter lange Kette befestigt, die am anderen Ende an einem Bambuspfahl hängt. Der kräftige Makake nimmt sie immer wieder in die Hand. Seine Mimik verrät, wie sehr er das Teil hasst.

Vier Jahre ist der Affe alt. Zweieinhalb davon lebt er beim Kokosfarmer Lek und seiner Familie. Nongs Aufgabe: Morgens früh, wenn die Tropenhitze auf Thailands Trauminsel Ko Samui noch erträglich ist, Kokosnüsse von hohen Palmen zu pflücken. Dafür kommt er für kurze Zeit an eine längere Kette.

»Für uns Menschen sind die Bäume zu hoch, es wäre viel zu gefährlich, da selbst raufzuklettern«, sagt Lek. »Deshalb benutzen wir in Thailand traditionell Affen, die das für uns erledigen.« Das sei seit Generationen so. Seinen Makaken hat sich Lek - wie viele andere - in der Affenschule in Surat Thani auf dem Festland besorgt. Dort werden Primaten für ihr Leben an der Kette gedrillt und lernen, wie sie die Früchte drehen, bis der Strang reißt und sie auf den Boden fallen.

»Meinen Affen habe ich aber selber trainiert«, betont der 47-Jährige. Wie er das gemacht hat, sagt er nicht. Aber Nong reagiert jedes Mal mit lautem Fauchen und zeigt seine scharfen Zähne, wenn Lek sich ihm nähert. Der Farmer schnauzt seinen Makaken im Befehlston an, bis dieser wieder still ist. Er hat Nong ganz offensichtlich das Kokosnusspflücken gewaltsam eingebläut: »Manchmal muss ich ihn immer noch schlagen, damit er lernt, nicht so aggressiv zu sein.«

Kontroverser Einsatz

Thailand ist einer der größten Produzenten von Kokosmilch weltweit. Dass Affen in dem wichtigen Industriezweig eingesetzt werden, sorgt aber zunehmend für Diskussionen. Speziell mehrere Untersuchungen der Tierschutzorganisation Peta (People for the Ethical Treatment of Animals) haben für Furore gesorgt - so sehr, dass Supermarktketten in aller Welt bereits Thai-Kokosmilch aus den Regalen verbannt haben.

Vor wenigen Wochen gab der deutsche Lieferdienst HelloFresh bekannt, in seinen Kochboxen keine Kokosmilch aus Thailand mehr anzubieten. »Wir dulden keine Form von Tiermissbrauch in der Lieferkette«, hieß es in einer Mitteilung.

Schon 2020 hatte die Regierung in Bangkok angekündigt, Kokosprodukte mit einem Code ausstatten zu wollen - um nachvollziehen zu können, ob sie ohne Hilfe von Affen hergestellt wurden. Jedoch ist es Peta zufolge fast unmöglich, die Produktionskette bis zur gepflückten Kokosnuss zurückzuverfolgen, da unzählige Farmer und Broker beteiligt sind. »Das wird sehr geschickt verschleiert«, sagt Jason Baker, Vizepräsident für internationale Kampagnen bei Peta Asien.

»Seelische Grausamkeit«

Der letzte Peta-Bericht stammt aus dem vergangenen Jahr. »Die schlechte Nachricht ist: Bisher hat sich trotz aller Kampagnen für die Affen nichts geändert«, sagt Baker. Dabei gäbe es Alternativen, die etwa in Indonesien und auf den Philippinen angewendet werden: »Man müsste in Thailand einfach Arten von Kokospalmen anbauen, die nicht so hoch werden, oder öfter neue Bäume pflanzen.« Brasilien oder Kolumbien etwa würden die Früchte mit traktormontierten hydraulischen Aufzügen, Seilsystemen oder Leitern ernten, so Peta.

Was den Affen angetan werde, sei »seelische Grausamkeit«, ist Baker überzeugt. Die meisten würden schon als Babys von ihren Müttern getrennt und seien dann ein Leben lang angekettet. »Ihnen wird alles vorenthalten, was natürlich für sie ist. Sie können immer nur im Kreis laufen.« Das Schlimmste sei die Langeweile ohne jegliche mentale Stimulation: »Dabei sind das sehr soziale und hochintelligente Wesen, die viel mit Menschen gemein haben.«

Hinzu kommt: Die in der Industrie vorwiegend eingesetzten Affen - Südlicher Schweinsaffe (Macaca nemestrina) und Nördlicher Schweinsaffe (Macaca leonina) - werden von der Weltnaturschutzunion als »stark gefährdet« beziehungsweise »gefährdet« eingestuft. »Die Affen können jedoch in Thailand legal als registrierte Haustiere gehalten werden«, so der Sender Thai PBC World im vergangenen Jahr.

Als Haustiere sehen die Farmer ihre Kokospflücker aber gar nicht. »Hunde sind Haustiere, Affen sind wilde Tiere«, sagen sie. Deshalb müssten sie auch angekettet sein: Sie würden sonst weglaufen. Die Ketten seien so kurz, weil die Affen angreifen könnten.

Eine Lizenz haben nur die wenigsten. »In unserer lokalen Kultur gibt es keine festen Regeln und auch kaum Kontrollen«, erzählt Pon, die sechs Affen hält. Darunter sind das Baby Khaopod und der 30-jährige Ker, der als Kokospflücker im Ruhestand ist. An der Kette hängt er trotzdem, in einem hinteren Teil des Grundstücks. »Ich würde ihn nie hergeben, ich liebe alle meine Affen«, sagt Pon. Immerhin, sie weiß: »Wenn sie anfangen, im Kreis zu laufen oder repetitive Bewegungen zeigen, dann langweilen sie sich. Dann spiele ich etwas mit ihnen.«

»Kokosnüsse zu pflücken ist sein Job«

Wie viele Makaken genau in der Branche arbeiten, ist unklar. Peta schätzt die Zahl aber auf mindestens 1000. Und tatsächlich, bei einer Fahrt durch die ländlichen Gebiete im Süden von Ko Samui wimmelt es von Plantagen mit rund 20 Meter hohen Kokospalmen. Wo immer sich am Wegesrand Kokosnuss-Schalen türmen, ist ein Affe nicht weit.

So wie Nin, der an einer Leine am Truck seines Herrchens Dam festgebunden ist. Immer wieder blickt er hoch in den Himmel, wo Vögel und Schmetterlinge fliegen. Ohne Kette, in Freiheit. Hat Dam Mitleid mit dem Tier? »Kokosnüsse zu pflücken ist sein Job«, sagt er schroff.

Aber es bewegt sich etwas: Die mediale Aufmerksamkeit habe bewirkt, dass viele Händler ihre Sortimente tierfreundlicher ausrichteten, auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz, sagt Tobias Schalyo von Peta Deutschland. »So haben etwa Lidl, Aldi, Rewe und Edeka ihre Tierwohlrichtlinien (...) erweitert und thailändische Produkte und Rohstofflieferanten aus ihren Sortimenten größtenteils ausgelistet.«

Dennoch, uralte Traditionen abzuschaffen, ist schwer. Speziell in Regionen der Welt, in denen ein Großteil der ländlichen Bevölkerung täglich um seinen Lebensunterhalt kämpft, steht Tierwohl oft nicht an erster Stelle. Bis Affen als Kokospflücker endgültig ausgedient haben, ist es ein weiter Weg. Solange läuft Nong jeden Tag im Kreis.

© dpa-infocom, dpa:230330-99-142899/4