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Ein Forscherteam sucht das Super-Seegras

Sie speichern CO2 und sind Lebensraum für zahlreiche Meeresbewohner: Seegraswiesen. Kieler Forscher suchen nach Arten, die mit der steigenden Ostsee-Temperatur klarkommen.

Aussaat von Seegras in der Kieler Förde
Die australische Meeresbiologin Angela Stevenson taucht an einer Seegraswiese in der Kieler Förde. Foto: Axel Heimken
Die australische Meeresbiologin Angela Stevenson taucht an einer Seegraswiese in der Kieler Förde.
Foto: Axel Heimken

Das Wasser in der Kieler Förde ist im April mit gut sieben Grad noch kalt. Die Sicht der Taucher des Geomar Helmholtz Zentrums für Ozeanforschung ist für Ostseeverhältnisse mit gut zwei Metern aber ganz gut. Die Wissenschaftlerin Angela Stevenson und ihr Kollege Tadhg O Corcora haben in diesem Jahr erstmals selbst geerntete Samen ausgesät - mit Erfolg. »Da ist Rasen«, jubelt Stevenson beim Auftauchen von den Versuchsfeldern. Im Februar hatten sie an dieser Stelle erste Samen ausgebracht.

»Seegräser sind unsere Korallenriffe - sie erhöhen die Biodiversität und speichern Kohlenstoff im Boden«, sagt der Biologe Thorsten Reusch. Er leitet die Marine Evolutionsökologie in Kiel. Der Nutzen für den Klimaschutz sei je Quadratmeter ähnlich groß wie der von Hochmooren. »Ein Hektar Seegraswiese speichert pro Jahr etwa zwei Tonnen Kohlendioxid.« In Seegraswiesen in deutschen Gewässern seien insgesamt etwa zehn Megatonnen CO2 gespeichert.

Intensive Landwirtschaft bedroht Seegraswiesen

In der deutschen Ostsee gibt es Reusch zufolge derzeit nur noch weniger als 300 Quadratkilometer Seegraswiesen. Etwa 60 Prozent der Wiesenfläche vom Anfang des 19. Jahrhunderts seien verlorengegangen. Hauptursache sei die intensive Landwirtschaft: Der Eintrag von Stickstoffverbindungen aus Düngemitteln fördere das Wachstum von Planktonalgen. Die nähmen Licht weg und erstickten das Seegras im Extremfall.

Die Erwärmung der Meere gefährdet die verbliebenen Flächen zusätzlich. »Die Ostsee erwärmt sich sogar dreimal schneller als der Weltozean«, erklärt Reusch. »Sie hat das Pariser Klimaziel, den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, längst gerissen.« Sein Team hat herausgefunden, dass der Schwellenwert für hiesiges Seegras bei 25 bis 26 Grad liegt: »Wenn diese Temperatur in sommerlicher Hitze länger überschritten wird, sterben die Wiesen ab«, sagt Reusch.

Im Sommer will sein Team in Flachwasser-Bereichen der Kieler Bucht nach Pflanzen suchen, die höheren Temperaturen ausgesetzt waren. »Wir hoffen, dass die genetische Variation in unseren Beständen bereits solche Individuen enthält, die dem zukünftigen Klimawandel gewachsen sind. Wir wollen also das Super-Seegras finden, das schon angepasst ist an die Klimaänderung.« Es könne allerdings auch sein, dass keine Pflanzen den Hitzestress in lagunenartigen Bereichen etwa zwischen Sandbänken länger überstehen. Reusch ist optimistisch - auch bei Korallenbänken unter Hitzestress gebe es einzelne Überlebende, sogenannte Super-Corals. 

»Wie Blumenpflücken an Land«

Seit zwei Jahren pflanzen die Kieler zudem Seegras an. Rund 3000 Quadratmeter haben sie bislang geschafft. »Innerhalb von einem Jahr konnten wir an zwei Standorten am Ende des Sommers Dichten feststellen, die auch eine natürliche Wiese in der näheren Umgebung aufgewiesen hat«, sagt Reusch. Im vergangenen Sommer haben die Kieler von »ihren« Wiesen erste 70.000 Samen geerntet. »Das ist wie Blumenpflücken an Land«, sagt Stevenson. Die Kanadierin ist für die Arbeit aus British Columbia nach Norddeutschland gekommen.

»Unser Ziel für diesen Sommer ist es, eine Million Samen zu ernten«, sagt Reusch. Die Kieler Forschenden haben errechnet, dass sich die Zahl der Wiesen in deutschen Gewässern durch eine dauerhafte Senkung der Schadstoffeinträge deutlich steigern ließe. »Mit einem Wiederaufbau können wir einen Beitrag leisten zur deutschen Bilanz beim CO2-Ausstoß.«

© dpa-infocom, dpa:230421-99-393423/2